Die Lügen der Sieger von Christoph Hochhäusler. BRD, 2014. Florian David Fitz, Lilith Stangenberg, Horst Kotterba, David C. Bunners, Ursina Lardi, Arved Birnbaum
Der Titel des Films entspringt einem Poem von Lawrence Ferlinghetti, ziemlich sicher in ganz anderem Kontext entstanden und auf andere Dinge gerichtet, aber natürlich auf den Film bezogen grandios passend: Geschichte wird gemacht aus den Lügen der Sieger. Die Sieger, das sind die Großen, die man grundsätzlich laufen lässt, das sind die Macher, die Strippenzieher, die, die das System prägen, im Grunde sind die Sieger gleichzusetzen mit dem System an sich. So ist das mit diesen Verschwörungsfilmen: Für die einen sind sie weinerlich und paranoid, für die anderen irgendwie anziehend. So auch für mich. Schon klar, dass das dort zumeist transportierte Weltbild vielleicht ein bisserl schlicht ist, Gut und Böse sauber sortiert, hier die Sieger, dort die Opfer, hier die zynischen Intriganten und Machtmenschen, dort die ohnmächtigen Opfer, und statt harter politischer Argumentation kann man sich bei Bedarf immer auf das sprichwörtliche „System“ zurückziehen, das System, das halt einfach da ist und an allem Schuld.
Das mag alles stimmen, ist mir aber leider wurschtegal, weil ich mag Verschwörungsfilme und habe sie immer gemocht. „Die Lügen der Sieger“ ist ein waschechter Verschwörungsfilm, ein seltenes Exemplar aus deutschen Landen, und ich muss schon echt nachgrübeln, bis mir andere einfallen, „Messer im Kopf“ von Reinhard Hauff sicherlich, „Gambit“ von Peter F. Bringmann, vielleicht auch „Katharina Blum“, aber der ist schon wieder nicht ominös genug. In den letzten Jahren sind sie eigentlich ausgestorben. Geht es uns zu gut? Oder sind die Strukturen mittlerweile so undurchsichtig, dass die Filmemacher sich daran gar nicht mehr abarbeiten wollen? Resigniert oder zu satt oder was? Aber jetzt haben wir ja mal wieder einen und zwar ein ausgesucht schillerndes Exemplar seiner Gattung. Hochhäusler hat vor ein paar Jahren „Unter uns die Stadt“ gemacht, der ist ziemlich ähnlich in Gestaltung und Attitüde, sodass man mit Fug und Recht von einer sehr eigenen Handschrift des Regisseurs sprechen kann. Sperrig, bruchstückhaft, elliptisch erzählt, viele Lücken und Fragen bleiben bewusst unbeantwortet, ein äußerst kunstvoller, aber auch manirierter Bild- und Schnittstil mit ebenso faszinierenden wie gewollt fragmentarischen Impressionen. Frankfurt oder Berlin, gleichviel, beides sind hochkarätige Großstadtfilme, sehr modern, sehr schick irgendwie, aber eben auch sehr aufregend und toll anzuschauen.
Genau wie im ersten Film haben wir es auch hier eher mit atmosphärischen Schilderungen und weniger mit einer stringent und klar erzählten Geschichte zu tun. Das Personal: Ein investigativer, einigermaßen furchtloser Journalist mit zwei entscheidenden Schwächen (Spielsucht, Diabetes), eine eifriger Praktikantin, die ihm natürlich gegen seinen Willen an die Hacken gehängt wird, ein Großkonzern aus dem Bereich der Chemieindustrie und etliche Marionetten, die mit ihm assoziiert sind. Das Bauernopfer: Ein Mann springt ins Löwengehege im Gelsenkirchener Zoo und verliert seinen Kopf, niemand kann sich erklären, was ihn zu der Aktion trieb. Unser Held als Quereinsteiger, der eigentlich mit dem Thema Giftmüll beschäftigt ist und die Praktikantin auf die vermeintlich banale Schlagzeile ansetzt. Bald aber werden Zusammenhänge, Verbindungen klar, zieht sich die Linie plötzlich aus Afghanistan und den dortigen Mülldeponien bis in die BRD, wo die traumatisierten Veteranen an den Folgen der Umweltgifte leiden oder auch an den Nebenwirkungen mangelhaft erprobter neuer Medikamente. Die Wirtschaft will Lockerungen, will mehr politische Toleranz im Bereich der Müllentsorgung, muss nur noch ein wenig Zeit gewinnen bis zur nächsten Entscheidung und kann deshalb irgendwelche unbequemen Artikel in der Presse absolut nicht gebrauchen. Also werden unseren Schnüfflern alle möglichen Knüppel zwischen die Beine geworfen, um sie zu behindern, zu täuschen, von der richtigen Spur abzulenken. Falsche Zeugen tauchen auf, falsche Fotos und Stories, bis niemand mehr weiß, was wahr ist und was nicht. Unser Held hat die Taktik zuletzt kapiert, doch da ist es schon zu spät, sein groß aufgemachter, aber leider auf falschen Informationen beruhender Artikel, steht in den Startlöchern, und sein Redakteur lässt sich auch nicht mehr überzeugen, ihn zurückzuziehen. Die Praktikantin verabschiedet sich Richtung Hamburg, eine hinterhältige Attacke auf seine Gesundheit kann er zwar knapp überstehen, aber unser Held bleibt einsam und resigniert zurück, und sein Gefühl der großen Leere überträgt sich ein wenig auf uns, wenn wir aus dem Saal hinaus auf die Straße treten.
Genau das ist Hochhäusler besonders eindrucksvoll gelungen, das Gefühl totaler Machtlosigkeit im Angesicht schier unbegrenzter Allmacht in Bilder und Emotionen zu fassen. Die große Intrige, der gemeine Verrat an essentiellen demokratischen Werten, das rücksichtslose Vorgehen im Interesse der Machterhaltung. Es wird getan, was nötig ist, Skrupel oder Fragen sind nicht angebracht, er hier zaudert, gehört nicht zum Club. Die Anzugträger konferieren natürlich hoch über der Stadt, blicken aus ihren Glaskästen tief hinab auf den Rest, überlegen, distanziert, abgehoben. All dies ist selbstverständlich sehr symbolisch und meinetwegen auch überdeutlich, aber es funktioniert. So wirkungsvoll wie selten werden wir mit der Perspektive unseres Helden Fabian Groys gleichgesetzt: Alles erscheint unsicher, vage, unklar, überall nur Andeutungen, Möglichkeiten, nirgendwo eine einzige sichere Gewissheit, an die man sich halten kann. Niemand ist verlässlich, jeder spielt sein eigenes Spiel, selbst die scheinbar harmlose Praktikantin erscheint im Zwielicht, Groys kann keinem trauen, eigentlich nicht mal sich selbst. Je tiefer er gräbt, desto monströser werden die Schweinereien, desto unmöglicher wird es aber auch, irgendjemandem irgendwas davon zu beweisen. Die Schachzüge seiner übermächtigen Gegner sind ebenso schamlos wie dreist und leider auch sehr effektiv. Sie erreichen ihr Ziel, der lästige Journalist wird aufs Abstellgleis geschoben oder darf sich wahlweise mit einem haltlosen Artikel lächerlich machen, von ihnen umgarnte Politiker winkt am Ende die erstrebte Gesetzesnovelle durch, alles wird gut. Hochhäusler hat dafür fiebrige, zittrige, nervöse Bilder gefunden, die uns nachfühlen lassen, wie es ist, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Suggestiv, irrlichternd, flackernd. Wie gesagt, wer handfeste und übersichtliche Analysen erwartet, wird am Schluss genervt und enttäuscht sein. Mir hat der Film gerade deshalb so gut gefallen, weil Hochhäusler sein Kernsymptom zum Kernstilmittel gemacht hat, und das absolut Konsequenz und extrem gekonnt. Ich meine, es ist ja nicht so, dass wir hierzulande keinen Stoff für Verschwörungsfilme haben, oder…? Man muss sich nur trauen. (22.6.)