Eden von Mia Hansen-Løve. Frankreich, 2014. Félix de Givry, Pauline Etienne, Roman Kolinka, Vincent Macaigne, Hugo Conzelmann, Golshifteh Farahani, Laura Smet, Greta Gerwig, Zita Hanrot

   1992 ist Paul gerade mal 16, 2013 ist er 37. Dazwischen liegen über 20 Jahre Leben in Paris, und trotzdem meint die alte Oma im Treppenhaus immer noch ihn, wenn sie sich über die „Jugend von heute“ entrüstet. Diese ganz kurze Szene sagt fast schon alles, und so hat Mia Hansen-Løve ihren Film insgesamt angelegt – das Große, Wichtige, Elementare geschieht eher am Rand, die Beiläufigkeiten, die Details machen ihn aus. Und das einhundertdreißig Minuten lang, also ist eine Menge Geduld gefragt, umso mehr, als Hansen-Løve ihren charakteristisch spröden, elliptischen Erzählstil heranzieht, und der lädt uns nicht unbedingt dazu ein, über zwei Stunden total gebannt vor der Leinwand zu hocken.

   Es geht um eine Epoche, eine Kultur, eine Generation, ein Lebensgefühl. Nennt sich French House, explodierte als spezifisch französisches Derivat US-amerikanischer Einflüsse in den frühen 90ern in den Pariser Clubs, und Leute wie Daft Punk oder Laurent Garnier waren die Protagonisten, trieben die Welle bis in die späten 90ern zu beachtlichem kommerziellen Erfolg, bevor sie dann wie jede Welle vor oder nach ihr auch wieder langsam verebbte, immerhin nicht ohne deutlich hörbare Einflüsse in weiterentwickelten Stilrichtungen wie etwa Electro hinterlassen zu haben.

   Die Gang um Paul und Cyril sind musikbegeisterte Nerds, Klangtüftler, eigensinnige Spinner, die zunächst nur mit einiger Mühe einen Fuß in die Tür der Clubszene kriegen, sich dann aber rasch als DJs einen Namen machen und einige Jahre mit einigem Erfolg tätig sind, sich aber eben nicht wirklich weiterentwickeln, und als der Boom dann im neuen Jahrtausend an Fahrt verliert, verpassen die meisten von ihnen den Absprung und können sich nur schwer umstellen und versuchen, ein neues, anderes Leben anzusteuern. Nach einem Viertel der Laufzeit ungefähr rückt Paul mehr und mehr ins Zentrum der Erzählung, sein Weg wird in erster Linie begleitet, die ungezügelte Euphorie der Entdecker- und Anfangsjahre, das wilde Clubleben abseits der geordneten bürgerlichen Welt, aus der er stammt (und in die er nur gelegentlich mal zurückkehrt, um die Mama um Geld anzupumpen), die endlose Party mit allem, was halt so dazu gehört, vor allem Drogen und noch mehr Drogen. Manche Beziehung geht rasch vorüber, andere halten länger, doch da Paul im Grunde immer ein kleiner Junge bleibt, verliert jede Frau früher oder später den Mut, auf eine gemeinsame Zukunft mit ihm zu bauen, und so muss er auch einige ziehen lassen, die er wohl wirklich geliebt hat, vor allem Louise, deren Weg er immer mal wieder kreuzt, auch als sie später eine Familie gründet. Die eine zieht zurück in die Staaten, die andere versucht ihn zu retten, eine dritte kann er auch nicht halten. Und mit der Zeit schleichen sich leise aber sicher Tristesse ein Verdruss ein – Cyril verfällt zunehmend in depressive Zustände und begeht schließlich Selbstmord, die Drogen rücken mehr und mehr in den Vordergrund, und vor allem ergibt sich keine dauerhafte wirtschaftliche Basis, Paul ist immer chronisch pleite, legt jedoch stoisch  weiter auf, lässt sich treiben, unternimmt kaum etwas, um seine Lage zu verbessern. Andere aus der alten Szene sind in einer ähnlichen Situation und sind gleichsam nicht imstande, darauf zu reagieren, sie machen einfach weiter wie bisher, so als sei noch immer 1992 und sie noch immer sechszehn. Und so driften sie weiter, ziehen sich meterweise Koks rein, haben ab und zu einen Auftritt, doch selbst eine Reise in die USA zu ihren Idolen bringt wenig ein außer Frust und Zank, und erst als Paul ziemlich am Boden ist, rafft er sich auf, erzählt seiner Mutter von seinen Problemen und zeigt sich bereit, etwas zu verändern. Er nimmt, wenn auch nicht sehr dauerhaft, verschiedene Jobs an, kommt von den Drogen und der Musik los landet in einem Kurs für kreatives Scheiben, trifft auf ein weiteres Mädchen, das Interesse an ihm hat, wobei am Ende offen bleibt, was er mit seinem neuen Leben anfangen wird.

 

   Mia Hansen-Løve folgt ihrem bisherigen Stil, ihre Haltung ist diskret, zurückhaltend, manchmal fast etwa distanziert, dann aber auch wieder sehr aufmerksam. Momente der Empathie gibt es durchaus, doch werden die Personen nicht zugedeckt davon, niemals bevormundet, sie bleiben immer eigenständig, autonom in ihrem Tun und Denken. Diese Stärke beinhaltet auch gewisse Nachteile: Es fiel mir nicht ganz leicht, engeren Kontakt zu den Personen und ihrem Milieu zu bekommen, unabhängig davon, ob ich nun Fan dieser Sorte Musik bin oder nicht. Hansen-Løve versucht nicht, die Szene auf ihre Ursprünge oder Phänomene hin zu betrachten, geht ihr nicht sehr tief auf den Grund, bemüht sich auch nicht um eine aussagestrake Chronologie, sondern bleibt sprunghaft, flüchtig, so als wolle sie gerade die Flüchtigkeit und Monotonie der Szene und ihrer Musik veranschaulichen. Pauls missglückte Liebesgeschichten bekommen vergleichsweise viel Raum, haben mir auch am besten dabei gefallen, während French House vornehmlich als Party Event vorkommt, und Entwicklungen vermutlich nur von Eingeweihten wahrgenommen werden können. Beeindruckend ist, wie konsequent die Filmemacherin bei ihrem Stil bleibt, sich zu keiner Zeit ans Publikum heranschmeißt, was im Endeffekt für mich bedeutet hat, dass der Kinobesuch bis halb zwölf nachts eher in die Kategorie „anstrengend“ einzusortieren ist – was nicht bedeutet, dass er sich nicht zwischendurch auch durchaus gelohnt hat. Die Schauspieler fand ich sehr gut, den Soundtrack sowieso, obwohl French House an sich nicht so meins ist, und irgendwie bin ich die ganze Zweit über doch dabei geblieben, weil eben Hansen-Løve diese Fähigkeit hat, zwischendurch dann doch mal ein paar richtig starke und emotionale Szenen einzubauen, auch wenn sie rein äußerlich nicht viel dafür tut. Insgesamt also fand ich den Film schon okay, hätte mir aber gewünscht, dass die Regisseurin etwas mehr aus dem Thema herausholt. (5.5.)