Une nouvelle amie (Eine neue Freundin) von François Ozon. Frankreich, 2014. Anaïs Demoustier, Romain Duris, Raphaël Personnaz, Isild Le Besco, Aurore Clément, Jean-Claude Bolle-Reddat
Ein Spiel, ein Irrlicht zwischen Traum, Vision und einer höchst brüchigen, fragwürdigen Realität, ein Film der Fantasie, ein im wahrsten Sinne des Wortes fantastischer Film. Und so beginnt er auch: Eine junge Frau wird schön gemacht, wird eingekleidet, geschmückt, geschminkt, ein Hochzeitskleid wird zärtlich über sie gestreift, und erst nach einigen Augenblicken wird uns klar, dass diese schöne junge Frau tot ist. Den Schock darüber fängt François Ozon ganz sanft auf, leicht, elegant, lässt ihn kurz nachwirken, geht dann behutsam darüber hinweg. Auch wenn ich nicht mit jedem seiner Filme gleich glücklich war, ist dies dennoch das Werk eines meisterlichen Regisseurs, der sein bestechendes Talent in „Une nouvelle amie“ besonders glanzvoll zur Geltung gebracht hat.
Laura ist jung gestorben, an einer schweren Krankheit, kurz nachdem sie mit ihrem Mann David eine Tochter bekommen hat. Einen anderen Menschen trifft ihr Tod besonders schwer, die Freundin Claire, die sie in der Schule kennen lernte, mit der sie seither unzertrennlich verbunden war und die ihr am Krankenbett versprach, sich um Mann und Tochter zu kümmern. Als sie anderntags rüberfährt zu Davids und Lauras Haus, trifft sie eine blonde Frau an, die sich um das Baby kümmert, und als diese Frau sich umdreht, erkennen sie und wir nach ganz kurzer Verblüffung, dass des sich um David handelt, der nun Claire gesteht, dass er diese Neigung schon immer hatte, nur während seiner Ehe mit Laura nicht auszuleben brauchte. Laura wusste davon – das einzige Geheimnis, das sie vor ihrer besten Freundin hatte. David bittet Claire um Hilfe, Hilfe dabei, sich als Frau zu verwirklichen, sich als Frau auch in der Öffentlichkeit endlich frei bewegen zu können. Claire ist zunächst ein wenig überrumpelt, traut sich auch nicht, ihrem Ehemann Gilles überhaupt davon zu erzählen, findet dann aber zunehmend Gefallen an der bizarren Situation. Sie erfindet als Ausrede für Gilles eine angebliche Schulfreundin, Virginia, und David gefällt der Name so gut, dass er ihn auch für sich annimmt. Sie beiden werden Freundinnen, gehen shoppen, gehen aus in Schwulen- und Transvestitenclubs, Claire erlebt, wie David mehr und mehr in seiner neuen Identität aufgeht und wie er nur mühsam gelegentlich seine männliche Rolle spielt, Gilles gegenüber zum, Beispiel, dem sich die beiden nicht anvertrauen wollen, obwohl er langsam eine Affäre zu vermuten beginnt. Damit liegt er gar nicht so falsch – Claire verliebt sich tatsächlich, nur ist die Frage, in wen. Als sie und David eines Tages im Hotelzimmer landen, kann sie nicht mit ihm schlafen, weil sie plötzlich bemerkt, dass er ein Mann ist. Frustriert läuft er auf die Straße, wird von einem Auto erfasst und schwer verletzt. Nun erfahren all jene die Wahrheit, die sie nicht wissen sollten – Gilles und auch Lauras Eltern. Am Ende, sieben Jahre später, sehen wir Virginia und Claire die Tochter von der Schule abholen und gemeinsam zu dritt davongehen wie eine normale Familie. Claire ist schwanger, wir wissen aber nicht, von wem.
Mit großartiger Eleganz fügt Ozon hier Drama, Komödie und Erotik zusammen, sehr delikat, sehr diskret und doch auch sehr offen. Davids Begehren, eine Frau zu sein, wird für uns sofort verständlich, sein inneres Strahlen, seine Zufriedenheit, sein Wunsch, schön zu sein. Bei ihm hat das nichts Sexuelles, denn er liebt weiterhin Frauen, wie er glaubhaft erklärt, und wie Claire selbst ja auch zu spüren bekommt. Die komödiantischen Aspekte dieser Travestie werden durchaus nicht verheimlicht, werden hier aber nicht zugunsten billiger Schenkelklopfer realisiert, gottseidank, kann ich nur sagen, denn die Versuchung ist in solchen Fällen ja überaus groß. Ein bisschen denkt man manchmal an „Tootsie“, wenn es beispielsweise darum geht, dass sich der große David mit den Geheimnissen und Unwägbarkeiten der weiblichen Welt herumschlagen muss, den richtigen Klamotten, dem richtigen Makeup undsoweiter. Im Mittelpunkt aber steht seine Neugier auf eine andere Perspektive, ein anderes Lebensgefühl, eine neue Identität. Als Mann wirkt er müde, matt, ein wenig farblos, schlaksig und ungelenk, als Frau leuchtet er regelrecht von ihnen, und wie Romain Duris diese Wandlung in wenigen Zügen zum Vorschein fördert, das ist ganz große Schauspielkunst. Dieser Kunst steht Anaïs Demoustier übrigens in nichts nach, denn sie ist es eigentlich, die den Film trägt, die die Emotionen transportiert, mit der zusammen wir versuchen, mit der Situation zurechtzukommen, nicht nur das, sondern die Situation anzunehmen und zu genießen. Das anfängliche Befremden und die Angst, tauen allmählich auf, weichen ebenfalls einer Neugier, zunehmend gemischt mit Spaß am Verkleiden, am plötzlichen Ausbruch aus der täglichen Routine zwischen Eheleben und Büro, zunehmend gemischt auch mit einer erotischen Anziehung, nur dass es dabei weniger um David geht als vielmehr um Virginia. Das gescheiterte Abenteuer im Hotelzimmer bringt Claires Dilemma auf den Punkt, zeigt auch ihre eigene Verwirrung, ihre Unsicherheit, wo sie selbst im Moment steht. Hat sie sich zu sehr mit der toten Freundin identifiziert, ihren Platz eingenommen und sich in ihren Mann verliebt? Oder geht es doch im Virginia, die in Relation zu David immer dominanter und stärker wird und deren Charme sich Claire offenbar nicht entziehen will. Natürlich geht sie Gilles gegenüber auf Distanz, weiß nicht, wie sie ihn einbeziehen soll in dieses Leben, ob überhaupt, und wie sie künftig mit ihm weitermachen soll, doch in erster Linie kann sie ihre Gefühle für David/Virginia nicht klären, erst nachdem er schwer verletzt im Krankenhaus liegt, beschließt sie, dem Versteckspiel ein Ende zu machen, und sie kleidet David im Krankenbett als Virginia um, erweckt ihn gleichsam wieder zum Leben. Immer wieder nimmt der Film surreale, märchenhafte Züge an, und immer bleibt Ozon so leicht und cool, als sei all dies vollkommen selbstverständlich. Einige wüste Schreckensvisionen, auch Sexphantasien schrecken uns und Claire zwischendurch hoch, und die werden so selbstverständlich in den Fluss der Erzählung integriert, dass sie ebenso gut real sein könnten. Also ein Liebesfilm über Geschlechterrollen und –identitäten, kein flammendes Pamphlet für Toleranz und Offenheit, sondern eine sehr selbstbewusste und zugleich zärtliche Vision der Möglichkeiten und einer Freiheit, die mehr als wünschenswert ist, zumal in einer Gesellschaft, die ja immer so gern ihre eigene Freizügigkeit anpreist. David/Virginia hat nichts Aggressives oder Forderndes oder gar Anklagendes, er ist kein Kämpfer für die Rechte von Transvestiten oder gegen bürgerliche Engstirnigkeit dergleichen, er hat lediglich herausgefunden, wie er leben, wie er sich fühlen möchte, und dies er äußert er auf vollkommen friedliche, positive Weise. So entsteht auch keine schrille Transvestitentragödie, sondern ein Film, der uns ganz unaufgeregt dazu anregt, den Blick ein wenig zu öffnen, ein wenig weiterzudenken, der vor allem ganz deutlich darauf hinweist, dass eine „gute“ Frau oder ein „guter“ Mann nicht automatisch in der dafür vorgesehenen Hülle stecken müssen – David nimmt seine Rolle als Vater genauso verantwortungsvoll und ernsthaft wahr wie die der Mutter, die er auch noch auszufüllen gedenkt, und man hat wohl zu keiner Zeit Zweifel, dass es seiner Tochter mit beiden gut gehen wird. Ein wunderbarer Film, komisch, sinnlich, poetisch und dabei im Kern absolut ernsthaft. Na also - sie können es ja doch noch, die Franzosen. (3.4.)