Everything will be fine von Wim Wenders. Kanada/Schweden/Norwegen/ Frankreich/BRD, 2014. James Franco, Charlotte Gainsbourg, Marie-Josée Croze, Rachel McAdams, Robert Naylor, Julia Sarah Stone, Patrick Bauchau, Peter Stormare

   Was wird von diesem Film bleiben? Die Bilder in erster Linie, jedenfalls was mich betrifft, und die gewohnt geschmackvolle musikalische Begleitung. Ein göttlicher Ästhet isser ja immer gewesen, der Wim Wenders, das steht ganz außer Frage – nur ein Geschichtenerzähler, das wird er wohl nie werden, nicht so richtig. Dabei hat gutes Geschichtenerzählen gar nichts mit aufgeblähtem Drama oder anderen Aufregungen zu tun, das geht auch ganz anders und ist mir viel lieber so. Und es ist wunderbar, wenn der Junge gegen Ende des Films, nachdem er sehr lange in seinem Rucksack kramt und der Mann ihn schon ein wenig irritiert beobachtet, wenn der Junge also aus diesem Rucksack keine Knarre hervorzieht, um seine ganzen verqueren Gefühle auf bewährte Art und Weise abzulassen, sowie es in garantiert neunzig Prozent aller vergleichbaren US-Melodramen geschehen wäre. Was zieht der Junge stattdessen aus dem Rucksack hervor? Einen Bücherstapel! Manchmal ist man doch stolz, Europäer zu sein…

   Der Wenders bemüht also keine der sattsam bekannten und klischeehaften Tricks und Effekte, um unsere Aufmerksamkeit zu erhalten, er tut aber leider auch sonst sehr wenig dafür, und so vergehen die zwei Stunden schon recht langsam. Eine Geschichte um einen tödlichen Unfall, um Schuld, Trauer und den schwierigen Weg in ein neues, ein auf die Zukunft gerichtetes Leben, sowas ist im Prinzip nicht sehr neu, schafft aber immer wieder Raum für intensive Gefühle und viel Zwischenmenschliches. Davon wird hier zwar sehr viel behauptet, in Wenders‘ Umsetzung allerdings spiegelt sich davon weniger, weil er als Geschichtenerzähler unverändert behäbig, fragmentarisch und auch kraftlos geblieben ist. Für seine Roadmovies mochte das noch hingehen, die leben ja davon, dass sich einer treiben lässt, doch dies ist ein konzentriertes, dichtes Drama, das von wenigen Situationen und Personen lebt, und wenn die dann nicht entsprechend spannend gestaltet sind, dann geht’s ganz schnell in Richtung Kunstgewerbe, und genau dort war der Wenders immer schon zuhause. Blendend schöne, brillant komponierte Bilder aus Kanada umrahmen eine Abfolge von Szenen, die sich über gut zehn Jahre erstrecken und die wohl den Weg der Protagonisten nach dem tödlichen Unfall begleiten sollen. Eigentlich aber begleiten sie nur den Mann, den Fahrer, einen Schriftsteller mit akuter Schreibblockade, die sich paradoxerweise erst nach dem traumatischen Erlebnis und einer Trennung löst. Mit der Frau, der Mutter des überfahrenen Jungen, kann Wenders viel weniger anfangen, aber der war immer schon eher ein Regisseur für Männer, und so bleiben die Frauen auch hier trotz absolut erstklassiger Besetzung nur Randfiguren, oder besser Reizfiguren für unseren Schriftsteller, der sich manchmal auseinandersetzen muss mit unzufriedenen Partnerinnen, die ihn partout rauslocken wollen aus seinem verkapselten, fast schon autistischen Dauerzustand, und obwohl auch ich mich gern mit all den leidgeprüften Jungs verbrüdere, kann ich die Ladies in diesem Fall bestens verstehen, denn unser Tom tut fast nichts anderes, als dunkel, melancholisch und leer in die Weltgeschichte zu starren, von ihm kommt fast nie ein Lebenszeichen, eine Reaktion, eine spontane Gefühlsregung. Er wirkt fast unmenschlich beherrscht und distanziert, mehrfach fragte ich mich, wieso er überhaupt Beziehungen zu Frauen eingeht, was sie ihm gegen können und vor allem, was er ihnen umgekehrt geben kann. James Franco erscheint als eine halbwegs blanke Projektionsfläche, nur findet sich in der Geschichte wenig, was sich auf ihn projizieren ließe. Er wirkt ständig müde und erschöpft, ohne dass ich verstehe, wieso, ich erfahre nichts über seine Bücher, über seinen Schreibprozess, auch nichts darüber, was sie ihm bedeuten oder was er in ihnen möglicherweise verarbeitet. Immerhin gelingt es Christopher, dem älteren Bruder des getöteten Jungen, ihn am Schluss vielleicht doch ein wenig aus seiner inneren Isolation herauszuholen, ihm sogar ein Lächeln abzuringen und so etwas wie ein neuen, optimistischen Ausblick aufs Leben – nur ist in dem Moment der Film vorbei, und wir können uns nicht mehr daran erfreuen. Davor gibt‘s viel schwere, tiefe, trübe Momente, viel Stille, viel Kontemplation, nur wenn ich versuche, diese Momente mit Inhalt zu füllen, mit möglichen Themen, Motiven, lässt mich der Film ein wenig im Stich, weil er letztlich zu vage bleibt. Der Autor ist Skandinavier, und die sind bekanntlich Spezialisten für solche Arrangements, nur haben die daraus zahlreiche wirklich herausragende Filme gemacht, großartiges, mitreißendes Kino, das auch auf platte Kommerzmache verzichten kann. Wenders ist so kultiviert und distinguiert, dass er sich irgendwie nie traut, einmal richtig ins volle Leben zu greifen, so als würde das seinem Temperament total widerstreben. Diese Story ist einfach nicht die richtige für ihn, oder umgekehrt, er ist ganz klar nicht der passende Filmemacher für sowas. Er hat neben all dem prätentiösen Scheiß auch ein paar wirklich wunderbare Filme gemacht, aber das waren genau seine Stoffe, die waren auf seine Vorlieben und sein Wesen viel besser zugeschnitten als diese Geschichte, der er nicht das abgewinnen kann, was es eigentlich für einen richtig guten Film brauchte.

 

   Also nochmal, grandiose Bilder, schöne Musik, tolle Schauspieler, ein im Kern vielversprechendes menschliches Drama, und doch hatte ich nach zwei Stunden das Gefühl, einfach nicht besonders bewegt worden zu sein. Aber vielleicht liegt’s ja auch an mir… (14.4.)