Youth (Ewige Jugend) von Paolo Sorrentino. Italien/Frankreich/England/ Schweiz, 2015. Michael Caine, Harvey Keitel, Rachel Weisz, Paul Dano, Luna Zimic Mijovic, Roly Serrano, Alex Macqueen, Jane Fonda
Ein luxuriöses Wellness-Hotel in den Schweizer Alpen, irgendwo zwischen Marienbad und Zauberberg. Hier verbringen die alten Freunde Fred und Mick seit Ewigkeiten ihre Sommerferien. Fred ist ein prominenter Komponist im Ruhestand, Mick ein Filmemacher, der den Absprung noch nicht geschafft hat und gerade versucht, mit ein paar jungen Autoren ein neues Projekt zu stemmen. Fred kriegt Besuch von seiner Tochter Lena, die soeben von ihrem Ehemann, zugleich Mick Sohn, verlassen wurde. Ein junger Hollywoodschauspieler, ist auch mit von der Partie, versucht seit langem vergeblich, sich vom Image des Comichelden zu lösen. Außerdem: Eine multitalentierte Masseuse, Diego Maradona, Miss Universum, Paloma Faith (Lenas Nachfolgerin) und jede Menge Angehörige des internationalen Jet Sets inklusive täglicher und vor allem abendlicher Animation sehr unterschiedlicher Qualität. Fred wird von einem Abgesandten der Queen bedrängt, zum Anlass von Prinz Philips Geburtstag daheim in London eine seiner bekanntesten Kompositionen zu dirigieren, was er ebenso hartnäckig ablehnt, sich zuletzt dahingehend öffnet, dass dieses Stück bislang einzig von seiner Ehefrau öffentlich gesungen wurde, und er sich nicht vorstellen könne, dass eine andere es singt. Außerdem wirft ihm Lena eines Nachts vor, ein kalter, abwesender, egozentrischer Vater gewesen zu sein, der nur für seine Musik lebte und dem sich die Familie total untergeordnet hat. Fred besucht seine Ehefrau in Venedig, wo sie zurückgezogen und geistig umnachtet dahinvegetiert. Mick erlebt sein Waterloo, als seine Hauptdarstellerin, ein lang befreundete Diva, ihm eröffnet, sie werde nicht in seinem Film mitspielen, und überhaupt sei er mittlerweile ein schlechter Regisseur geworden, der dringend in Ruhestand gehen solle. Immerhin aber werden Fred und Mick Zeuge, wie Miss Universum splitterfasernackt zu ihnen ins warme Bad steigt, der junge Schauspieler gibt die Idee auf, Hitler spielen zu wollen, um sich künftig lieber positiven Rollen zu widmen, Fred und Lena versöhnen sich wieder, zumal sie auflebt, als ein Klettermaxe um sie wirbt, und Mick hält ungebrochen an seinem Plan bzw. Film fest. Schließlich gibt er doch auf und stürzt sich aus dem Fenster. Am Schluss sehen wir Fred, wie er seine „Simple Songs“ dirigiert, wobei er die flamboyante koreanische Sopranistin doch mit seiner Melanie vergleicht.
Eine üppig und launig fabulierte, optisch wie akustisch gleichermaßen luxuriös ausgestaltete Reflexion über das Leben, die Liebe, den Tod. Natürlich auch Alter und Jugend, Schönheit, Sex, Kunst, Sehnsucht und Trennung, Krankheit und Körperkult. Vielfach ironisch gebrochen, auch die Männerphantasien, die uns an jeder Ecke begegnen, zumeist verkörpert von Fred und Mick, die sich mit verhaltener (Fred) und eher unverhohlener (Mick) Begierde schöne junge Leiber aus der Ferne ansehen, um sich im nächsten Moment über ihre vermeintlichen Prostataprobleme auszutauschen. Sorrentino zeigt eine bizarre Gesellschaft zwischen europäischer Kulturdekadenz und elitärer Weltentrücktheit, man weiß nie so recht, womit man als nächsten rechnen muss, und gerade das macht den Reiz dieses Films aus. Es gibt wunderbar komische und auch ebenso wunderbar zarte, intime Momente, wobei sich Sorrentino sichtlich nicht darum schert, eine kohärente Handlung oder Dramaturgie zu entwickeln, lieber lebt er den Moment, inszeniert Kabinettstückchen. Das aber macht er toll. Er schwelgt in großartiger Musik und pompösen Alpenpanoramen, hat Momente melancholischer, sehr ernsthafter Tiefe, auch Zärtlichkeit und Freundschaft, um gleich darauf in grotesken Slapstick abzubiegen oder eine Fülle sehr sonderbarer, dennoch durchaus liebenswürdiger Personen zu präsentieren. Fred und Mick sind abwechselnd alte Männer mit allem, was so dazugehört, und dann auch wieder kleine Jungs, die sich an ihre erste Liebe zu erinnern versuchen, um gleichzeitig festzustellen, dass ihr Gedächtnis sie regelmäßig auf beängstigende Weise im Stich lässt. Fred hängt im Besonderen seinen Versäumnissen als Ehemann und Vater nach, sieht nun, da er nicht mehr als Künstler aktiv ist, endlich ein, wie selbstsüchtig und rücksichtslos er sich aufgeführt hat, sieht aber zugleich bitter ein, dass er nichts mehr ungeschehen, nichts mehr rückgängig machen kann. Sein Auftritt als Dirigent vor königlichem Publikum scheint so etwas wie eine Wiedergutmachung anzudeuten, den Versuch, mit seinen Dämonen ins Reine zu kommen, denn das Bild von Melanies verzerrtem, starrem Gesicht lässt ihn nicht so schnell los. Mick ist entschlossen, genau diesem Schicksal zu entgehen, und statt immer und ewig der verlorenen Zeit nachzutrauern, beendet er sein Leben lieber schnell und ohne Umstände.
Ein solches Unterfangen wandelt auf schmalem Grat, das Risiko, zur platten Altherrenphantasie zu degenerieren, ist ebenso unabweisbar wie die Möglichkeit, Fellinis üppigen, letztlich aber selbstzweckhaften Bilderstürmereien nachzueifern. Beidem ist Sorrentino entgangen, in erster Linie durch den erwähnten Humor, die Ironie, die er immer einbaut, die nicht bösartig oder bloßstellend wirkt, die aber maßgeblich dafür sorgt, dass hier kein Macho-Selbstmitleid aufkommt, wie irrtümlich in manchen Kritiken bemerkt. Und natürlich sind da die Schauspieler, vor allem Caine und Keitel, die zusammen wunderbar spielen und durch ihre feinen Nuancen sicherstellen, dass weder Banalität noch Plattheit aufkommen. Und so ist dies ein zugleich sinnliches wie philosophisches Vergnügen, selten genug in dieser gekonnten Mischung, vor allem aber Kino zum Genießen, nicht nur mit Augen und Ohren. (1.12.)