Frau Müller muss weg! von Sönke Wortmann. BRD, 2014. Gabriela Maria Schmeide, Anke Engelke, Alwara Höfels, Mina Tander, Justus von Dohnányi, Ken Duken
Willkommen in der Hölle. Die Hölle, das sind wir alle, die ist überall: Kinder haben? Die Hölle! Eltern haben? Die Hölle! Lehrer sein? Die Hölle! Schüler sein? Die Hölle! Ossi sein? Die Hölle! Wessi sein? Die Hölle! Verheiratet sein? Die Hölle! Einen Job haben? Die Hölle! Keinen Job haben? Sowieso die Hölle! Und aus alledem will man nun ne Komödie machen? Geht, man musses es bloß wollen. Das Theaterstück von Lutz Hübner hab ich schon in Bielefeld in einer sehr amüsanten Aufführung gesehen, und nun der Film, da hatte ich angesichts des Herrn Wortmann und seiner „Verdienste“ für die leichte Muse schon meine Vorbehalte. Alles in allem aber ist es ihm durchaus gelungen, die Substanz des Stücks ins Kino herüberzuretten (Hübner hat auch am Drehbuch mitgearbeitet), also einen an der Oberfläche lustigen Film über eine im Kern ganz und gar nicht lustige Sache zu machen.
Alle, die das Vergnügen hatten, ihre Kinder durch die deutsche Schullaufbahn schleusen zu müssen, kennen das, kennen die Situation, kennen die Typen, haben all das in irgendeiner Weise sicher auch erlebt. Elternabende, eine hochnotpeinliche Veranstaltung, Plattform für die Macher und Selbstdarsteller, Plattform vor allem auch für den ewigen Streit zwischen Schule und Eltern: Wer ist denn nun zuständig für die Erziehung der Kinder? Jeder schiebt’s dem anderen zu, die einen wollen nicht wahrhaben, dass ihre Goldengelchen auch monströse Züge haben, die anderen wollen nicht wahrhaben, dass ihre pädagogischen Konzepte eventuell einer Auffrischung bedürfen. Die Kinderchen verschlechtern sich rapide, kommen klagend nach Hause, wer ist schuld? Klar, die unfähigen Lehrer! Und im Ernstfall muss dann eben auch mal ein Kopf rollen. So wie in dieser Geschichte der Kopf von Frau Müller, die nach Mehrheitsbeschluss der Elternschaft abgesägt werden soll, weil sie offenbar nicht mehr imstande ist, die Schüler unter Kontrolle zu bekommen und viele Eltern um die Gymnasialeignung ihrer Sprösslinge bangen. Letzteres vor allem. Eine kleine Abordnung der Elternschaft will Frau Müller zur Rede stellen, doch aus dem geplant kurzen, knappen Gespräch wird doch eine abendfüllende Angelegenheit, weil erstens die Frau Müller sich nicht so verhält wie erwartet, sprich das Urteil in Demut entgegennimmt und sich widerspruchslos fügt, und zweitens die Eltern nach und nach die Hüllen der Zivilisation abstreifen und sich in alle möglichen Privatfehden ergehen. Nach wiederholtem Einblick in Frau Müllers Unterlagen wollen die Eltern schließlich das Ruder um einhundertachtzig Grad herumreißen, weil sie annehmen, ihre Kids bekämen doch weitaus bessere Noten als befürchtet und der ersehnten Gymnasialkarriere stehe somit nichts im Weg, doch Frau Müller kann noch einen draufsetzen und das Schlachtfeld als feixende Siegerin verlassen.
Das Stück fokussiert anders als viele andere Filme aus dem Bereich mal nicht auf dysfunktionale Lehrer, sondern schaut auf die andere Seite, präsentiert uns einige Eltern-Prototypen, überspitzt und karikiert, doch jederzeit bis zur Kenntlichkeit, sodass uns Leidensgenossen ein wohlig-hämischer Schauer über den Rücken laufen darf (uns, die natürlich immer alles richtig gemacht haben…). Der Polter-Paps, zurzeit ohne Beschäftigung, der all seine Zeit, all seine Energie, all sein Wollen und Streben in das „Wohl“ seiner geliebten Tochter investiert, ihre Hausaufgaben macht, für sie denkt und plant, und für den es naturgemäß essentiell wichtig ist, dass Töchterlein auf der besten Schule landet, damit wenigstens sie es mal zu was bringen wird. Die Wessi-Eltern aus Köln, die es berufsbedingt nach Dräääsdn verschlagen hat, er ganz auf den Beruf, sie ganz auf den Sohnemann fixiert, die klassische Übermama, die ihre Augen konsequent vor der Realität verschließt, nämlich der, dass ihr Söhnchen ein affektgestörter Chaot ist und all ihre fürsorgliche Belagerung nicht helfen wird. Dann die Dame aus dem Ministerium, das anzugtragende Alphatier, tough und straight, so scheint es jedenfalls, strikt auf Kosten-Nutzen-Rechnungen gepolt und dementsprechend jederzeit bereit, die Taktik zu ändern, falls die Umstände dies erfordern. Leitsatz: Sie ahnen gar nicht, was man im Ministerium alles zurücknehmen kann. Auch sie zeichnet sich durch eine totale Verkennung des Wesens ihrer Tochter aus, die sich als hochnäsiges, verweigerndes Mobbingmonster entpuppt. Dann noch die Mama des Klassenbesten, scheinbar die besonnene, zurückhaltende, die nur mitgekommen ist, um Solidarität zu bezeugen, denn ihr Sohnemann hat‘s absolut nicht nötig, um Gutachten zu feilschen. Sie hat eine kurze Frustaffäre mit dem Polter-Paps hinter sich, versucht nun, ihn auf Abstand zu halten und leidet ansonsten darunter, dass sie zu ihrem Sprössling keinen Kontakt herstellen kann, nicht weiß, was in seiner Welt geschieht, was ihn bewegt und interessiert. Wir sind nun aufgerufen, uns aus all diesen Mustern die passenden Einzelteile für das Selbstporträt zusammen zu suchen, irgendwas ist für jeden dabei, denke ich. Das Stück erinnert in vielem an die alten Sachen aus dem Grips-Theater oder so, Alltagsthemen witzig, spritzig, aber auch mit einem nachdenklichen Anteil aufgearbeitet. Über die Karikatur nähert man sich der Realität, erleichtert so womöglich die Auseinandersetzung, auch mit eigenem Handeln und Denken. Das beliebte Kompetenzgerangel zwischen Eltern und Lehrern kommt ebenso zum Tragen wie das unerbittliche Konkurrenzgehabe, das die Eltern immer an den Tag legen, ein Automatismus, gegen den es offenbar kein Rezept gibt. Textbeispiele? „Ja, du hast gut reden, dein Sohn bringt ja immer nur Einser nach Hause.“ Oder: „Was kann ich denn dafür, dass eure Tochter unserer Tochter immer hinterherläuft?“ Oder: „Wie – euer Sohn hat meinen Sohn geschlagen? Davon wusste ich ja gar nichts!“ Die Possessivpronomen sind dabei von entscheidender Bedeutung – Kinder als Besitz, als Verlängerung der eigenen Persönlichkeit, mal als Triumphtrophäe, mal als Schandmal. Es ist eben nicht leicht…
Nicht alles wird in diesem Film behandelt, logisch, doch alle, die um die Situation wissen, werden im Kopf sofort Bilder, Szenen, Sätze, Stereotypen parat haben und können sie nach dem Baukastenprinzip nach Belieben dem passenden Moment zuordnen. Mal herrscht fröhlicher Slapstick, mal auch beklommene Stille, die Schauspieler schmeißen sich mit sichtlicher Lust voll rein, bleiben aber jederzeit (ganz gegen meine Befürchtungen) auf der guten Seite, und Wortmann hat es irgendwie (ebenfalls ganz gegen meine Befürchtungen) geschafft, daraus keine Klamotte zu machen, sondern eine bissige Komödie aus unserem deutschen Bildungsalltag, dessen Wahnsinn man vermutlich am besten mit Scherz, Satire und Ironie beikommt, weil sonst dreht man einfach durch. (17.1.)