Hedi Schneider steckt fest von Sonja Heiss. BRD/Norwegen, 2014. Laura Tonke, Hans Löw, Leander Nitsche, Melanie Straub, Simon Schwarz, Margarita Broich
Hedi Schneider steckt genauer gesagt zweimal fest. Das erste Mal im Fahrstuhl, und das ist überraschenderweise noch ganz folgenlos, denn diese Episode, die vielen vor allem weiblichen Zuschauern bereits den Angstschweiß in den Nacken treibt, meistert sie bravourös, sehr nonchalant und mit Humor. Falsche Fährte, wer nun dahinter tiefere Ursachen für späteres Ungemach vermutet. Das zweite Mal steckt Hedi Schneider sehr viel folgenreicher und nachhaltiger fest, als sie aus heiterem Himmel von einer massiven Angstpsychose überrumpelt wird, die sie zunächst als Schlaganfall missdeutet. Und nun steckt sie wirklich fest, denn es geht nichts mehr. Nicht im Beruf, nicht in der Familie. Sie, ihr Mann Uli und der Sohn Finn, sind eigentlich auf dem Sprung nach Afrika, wo Uli seinen seit Jahren ersehnten Job antreten wird. Doch aus alldem wird nichts, es ist nicht mal klar, ob die Familie überhaupt eine Zukunft haben wird. Hedi kann nicht mehr aus dem Haus, Uli muss bei ihr daheim bleiben, sie stopft sich mit Aufhellern und Antidepressiva voll, um zumindest temporär wie ein „normaler“ Mensch funktionieren zu können, er macht mit ihr Übungen gegen die Angst, sie versucht’s mit Entspannung nach Jacobson, er versucht’s mit Geduld und steckt all den Frist des kleinen Sohnes ein, der plötzlich gar nichts mehr mit der Mama anfangen kann, sie macht sogar einen Belastungsversuch im Büro, der nach wenigen Tagen abbricht, weil der Chef nicht den Mund halten konnte und alle sie nun wie eine Todkranke behandeln. Schließlich lässt er sich auf einen Seitensprung mit einer taubstummen Frau ein, und nun wird’s höchste Zeit, einen letzten Rettungsversuch zu unternehmen, Die drei mieten sich ein einsames Ferienhaus irgendwo im Norden und verabreden, für 24 Stunden einfach wieder glücklich zu sein. Wie es nach Ablauf dieser Frist allerdings weitergehen wird, bleibt offen.
Psychische Erkrankungen, seelische Störungen und dergleichen sind seit einigen Jahren eine gern und häufig gemolkene heilige Kuh im deutschen Fernsehspiel, lässt sich doch mit ihrer Hilfe so schön menschliches Drama verhandeln (und den Akteuren bringt’s auch einen Preis ein…). Das geschieht dann immer mit feierlichem Ernst, sehr betont ausgestellter Betroffenheit, der gebotenen Schwere und gern auch einigen ethisch-moralischen Handreichungen, praktisch Lebenshilfe light. Wie es ausgerechnet einer Autorin aus der sogenannten Berliner Schule gelingen konnte, all diesen Fallen und Konventionen zu entgehen, ist zunächst recht wundersam, wenn man ihren ersten Langfilm „Hotel Very Welcome“ von vor acht Jahren noch in Erinnerung hat, wird man das schon nicht mehr so erstaunlich finden, denn schon dort zeigte sie ihre Kunst, präzise Alltags- und Verhaltensstudien mit skurrilem Humor zu mixen und gleichermaßen überzeugend zu sein.
So auch hier: Hedi Schneiders Geschichte ist völlig im Alltag zwischen Familie und Beruf verortet, also genau dort, wohin sie gehört, und dort, wo sich ihre Probleme auswirken. Laura Tonke, die man endlich mal wieder in einer fordernden Rolle außerhalb des „Tatort“-Einerleis besichtigen darf, ist schlicht brillant, allein durch ihre mutig unkonventionelle Darstellung geht Sonjas Heiss‘ Konzept voll auf, erhält das Drama seine Intensität und Glaubwürdigkeit. Bedrückende und humorvolle Momente liegen ganz nahe beieinander, ohne einander zu entwerten, vor allem wird das Ernste nicht banalisiert, nie auch nur entfernt auf Seifenoperebene transportiert, es bleibt so stehen, wie es ist, nur gibt es hier trotz allem zwischendurch auch komische, absurde, zärtliche Augenblicke, die in der Tat auf eine Perspektive für Hedi, Ulli und Finn hoffen lassen. Gerade die Übergänge sind sonders wirkungsvoll, Hedis unvermitteltes Abgleiten in einen neuen Angstzustand, und auch ihr Auftauchen daraus, ihre Entschlossenheit, den Kampf wieder aufzunehmen, raus auf die Straße oder sogar ins Büro zu gehen. Tonke lässt uns spüren, wie sie in ihrer Angst gefangen ist, in der Angst vor der Angst, in ihrem Körper, ihrem Kopf. Man sieht ganz deutlich, wie sie um eine Erklärung ringt, wie sie verstehen möchte, was mit ihr geschieht, auch wie überrascht sie davon ist. Ganz plötzlich fällt eine Klappe, nichts geht mehr, sie ist regelrecht isoliert, eingeschlossen in der Angst, kann kaum noch einen Schritt tun geschweige denn irgendwas Komplexeres tun. Mal kann sie ganz klar und reflektiert Auskunft über ihre Befindlichkeit und Bedürfnisse geben, mal überlässt sie sich der Chemie und dem, was die mit ihr macht, mal ist sie sehr erwachsen, mal sehr kindlich. Wer oder was kann helfen in solch einer Lage? Und wie? Techniken scheint es viele zu geben, Chemie sowieso, vor allem aber wird von allen Betroffenen ein Maß an Geduld und Kraft verlangt, das sie kaum aufzubringen imstande sind. Der doofe Chef und die gedankenlosen Kollegen nicht, die routiniert-oberflächliche Ärztin nicht, der kleine Sohn schon gar nicht, aber auch nicht der Ehemann, dessen lang gehegte Pläne plötzlich akut bedroht sind, der zwar immer wieder mit Rat und Tat zur Seite steht und viel auf sich nimmt, der aber seine Grenzen hat und schließlich nach Männerart lieber Reißaus nimmt und sich einer anderen Frau nähert. Der Blick nicht nur auf die kranke, sondern auch auf ihr engstes Umfeld ist hier sehr viel besser und überzeugender gelungen als etwa in dem Alzheimerdrama „Still Alice“, denn krank wird niemals nur der Mensch selbst, sondern auch die, die täglich mit ihm umgehen, ihm helfen, ihn heilen wollen, und in diesem Zusammenhang gibt’s in diesem Film viele starke und beeindruckende Szenen, die nicht nur von Tonke, sondern auch von allen übrigen Beteiligten toll gespielt werden.
Sonja Heiss holt das Genre damit aus der Schublade des allzu schweren Melodramas, des publikumswirksamen Kitsches heraus, zeigt eindrucksvoll, das man eine Krankheit ernst nehmen kann, ohne in steriles Pathos zu fallen und schafft damit hoffentlich eine Blaupause für kommende Projekte. Es gibt immerhin schon ein paar Tourette-Filme, die ebenfalls mit frechem Witz punkten, doch scheint mir „Hedi Schneider“ im Vergleich und im Anspruch deutlich ambitionierter, wenn so will, seriöser. Insgesamt ein sehr starker, sehr gefühlvoller Film, und ab und zu bringt das kleine Fernsehspiel auch mal richtig kinotaugliche Produkte hervor. (15.5.)