Ich und Kaminski von Wolfgang Becker. BRD, 2015. Daniel Brühl, Jesper Christensen, Amira Casar, Jördis Triebel, Denis Lavant, Geraldine Chaplin, Jan Decleir
Den Roman von Daniel Kehlmann kann ich mir direkt vorstellen – bin ich gar nicht so neugierig drauf. „Clevere“ neudeutsche Literatur halt. Ich denke eher, dass in diesem Fall das Medium Film durchaus seine Vorteile hat, über mehr Möglichkeiten verfügt, Ideen und Motive zu versinnbildlichen. Jedenfalls ist Wolfgang Becker dies gelungen, in seinem ersten Film seit Menschengedenken, genauer gesagt seit „Goodbye Lenin“ vor zwölf Jahren. Dass sich ein solch guter Regisseur so rar macht, ist einfach nicht in Ordnung, aber das heißt ja nicht, dass ich mich nicht dennoch freue, wenn er mal wieder von sich hören lässt. Und mit „Ich & Kaminski“ ist ihm ein sowohl sehr komischer als auch sehr geistreicher Film gelungen, der zwar wenig mit seinen früheren Werken zu tun hat, für sich genommen aber absolut sehenswert ist.
Daniel Brühl ist vorzüglich als Zöllner, ein denkbar unsympathischer, selbstsüchtiger, einfältiger Journalist, der den verschollenen Maler Kaminski aufspüren und dessen Biografie verfassen will. Kaminski, das ist der letzte Überlebende der Klassischen Moderne, eine Legende, ein Schüler von Matisse, Weggefährte Picassos und all der anderen Genies jener Zeit, später dann in New York Teil der Pop-Art-Szene um Warhol und seine Jünger, ein Mythos und ebenso brillanter Maler wie Selbstdarsteller. Sein größter Coup: Er soll angeblich fast blind sein und als Blinder auch seine bekanntesten Gemälde geschaffen haben, und natürlich dreht sich Zöllners Ehrgeiz vor allem darum herauszufinden, ob dies tatsächlich so ist. Er spürt Kaminski in den Schweizer Alpen in einem entlegenen Haus auf, trifft auf dessen Tochter Miriam, die streng über ihren Vater und sein Erbe wacht, dringt aber dennoch zu ihm vor und kann offenbar eine Art Vertrauensverhältnis aufbauen. Zwar eckt er bei allen Freunden an, inszeniert peinliche Szenen, macht sich bei Miriam durch seine plumpe, arrogante Art nicht gerade beliebt, doch ist die große Story zum Greifen nahe, als er herausfindet, dass Kaminskis große Jugendliebe Therese nicht wie behauptet seit vielen Jahrzehnten tot ist, sondern irgendwo an der Nordseeküste lebt, und er den alten Mann überreden kann, sich ins Auto zu setzen und sich auf die Reise zu machen. Unterwegs kreuzt ein dubioser Anhalter ihren Weg und stibitzt flugs den Wagen mitsamt zweier später Kaminskis, der Zöllner sich unter den Nagel reißen wollte, daheim trifft Zöllner dann noch auf sein frisch getrennte Ex, die ihm eine ziemlich eiskalte Schulter zeigt, und die Zusammenkunft mit Therese oben in Belgien erweist sich als höchst ernüchternd und frustrierend. Und: Bis zuletzt kann Zöllner das ersehnte Geheimnis nicht lüften, weil der alte Mann ständig Katz und Maus mit ihm spielt.
Das tut der gesamte Film mit uns auch ein bisschen. Los geht’s als eine gefakte Doku über den Werdegang Kaminskis, ein vergnügliches Spiel mit Schein und Sein in der Art von „Zelig“, um sich dann zu einer teilweise bissigen, teilweise einfach nur genussvollen Satire gegen den überkandidelten und abgehobenen Kunstbetrieb im allgemeinen zu entwickeln. Leute wie Zöllner sind ein ganz gewöhnliches Nebenprodukt dieser Szene, aber es gibt auch noch genügend andere, die sich mehr oder weniger parasitär um den „großen“ Künstler scharen in der Hoffnung, ein wenig von seinem Ruhm (besser noch seinem Geld) abzukriegen. Auch die gegenwärtige „avantgardistische“ Elite kriegt ihr Fett ab, da tummeln sich genügend groteske und abseitige Gestalten, um einen Fellini neidisch zu machen. Kaminski scheint all dies zunächst gar nicht zur Kenntnis zu nehmen, ein mürrischer, wortkarger, gebrechlicher alter Knacker, doch je länger sich die Story entwickelt, desto größer wird der Verdacht, dass er sehr wohl Bescheid weiß und durchaus in der Lage ist, die Verhältnisse in seinem Interesse zu lenken. Einen Einfaltspinsel wie Zöllner lässt er jedenfalls am langen Arm verhungern, nur die Therese, die ist sein weicher Punkt, und hier entfaltet der Film auf einmal eine gewisse Ernsthaftigkeit, fast Einfühlsamkeit. Die Szene mit Geraldine Chaplin und Jan Decleir ist besonders brillant gespielt und hält für Kaminski die erschütternde Einsicht bereit, dass seine bildschöne Muse von einst ein biederes, leicht seniles Mütterchen geworden ist, die gern ihre Enkel zählt und noch lieber das „Millionenspiel“ guckt, und die dem Liebhaber von einst klarzumachen versucht, dass die alten Zeiten für sie schon längst vorüber sind, während der Maler nie über den Verlust hinweggekommen ist. Selbst ein Depp wie Zöllner wird auf einmal still und schaltet sogar sein Aufnahmegerät aus, erkennt, dass sein kleinliches Geschreibsel vor der Wirklichkeit lachhaft aussehen würde.
Becker erzählt launig, unterhaltsam, unterbricht den Fluss immer wieder mit überraschenden Einsprengseln, Träumen, Phantasien, die mal skurril, mal makaber sind und vor allem Spaß machen. Die ironische Betrachtung der selbstverliebten und –vergessenen Kunstwelt ist ebenso polemisch wie hinreißend witzig, Jördis Triebel legt eine tolle Show als coole Zicke hin, die den ewigen Jungen Daniel Brühl ebenso überfordert wie Jesper Christensens verschlagener, mysteriöser Kaminski und auch Amira Casars schöne aber unnahbare Miriam, die seine dümmlichen Avancen mit gebührender Verachtung straft. Sehr gekonnte, allerbeste Unterhaltung mit Hintersinn – aber weitere zwölf Jahre möchte ich trotzdem nicht auf einen Film von Wolfgang Becker warten müssen... (28.9.)