Inherent Vice von Paul Thomas Anderson. USA, 2014. Joaquin Phoenix, Katherine Waterston, Josh Brolin, Owen Wilson, Reese Witherspoon, Benicio del Toro, Joanna Newsom, Jena Malone, Martin Short, Martin Donovan

   Irgendwie finden sie sich immer – extravagante Autoren und extravagante Filmemacher. William S. Burroughs kriegt David Cronenberg. Hunter S. Thompson kriegt Terry Gilliam. Und Thomas Pynchon kriegt Paul Thomas Anderson. Was immer man von den jeweiligen Resultaten halten mag, die Paarungen schienen fast schon folgerichtig zu sein. Und auch diesmal, die ausufernde, mäandernde, launische Erzählweise eines P.T. Anderson scheint wie geschaffen für Pynchon, dessen Person unsereinem mindestens genauso große Rätsel aufgibt wie seine Literatur, üppig wuchernd, randvoll mit Anspielungen, Zitaten und dergleichen. Ich gebe verschämt zu, noch nie einen Roman von Pynchon gelesen zu haben, kann also die Qualität des Films nicht von dieser Perspektive aus beurteilen, sondern einzig als das, was er für sich genommen ist, und da muss ich doch sagen, dass er mir zwar besser gefallen hat als der seltsam stockige „The Master“, andererseits aber nicht so gut wie Andersons beste Filme von „Boogie nights“ bis „There will be blood“.

   Anderson verfolgt sein Konzept zugegeben sehr stringent, präsentiert uns ein ironisch-nostalgisches Porträt der frühen 70er in L.A., doch inhaltlich kommt dabei gar nicht soviel rüber. Natürlich ist die sprichwörtliche Unübersichtlichkeit der Handlung Programm – man erinnert sich an all die vielen Film-Noir-Klassiker, für die man auch schon ein Navigationsgerät benötigte, und hier wird das Chaos auf die satirische Spitze getrieben. Tiefer und tiefer wühlt sich unser struppiger Antiheld in eine Story hinein, die gar keine ist, mehr und mehr Figuren tauchen auf, bis niemand mehr auch nur annähernd überblicken kann, um was es eigentlich ursprünglich ging. Und da kann uns unser ständig kiffender, sniffender, koksender und sonstiges konsumierender Doc auch nicht wirklich weiter helfen, denn der verliert sich auf halber Strecke ebenso wie wir. Aber genau das ist ja auch der Punkt, schon klar. Alle beteiligten Figuren inklusive ihrer Namen sind mehr oder weniger schräg oder stoned oder am besten beides, es geht um schmutzige Geschäfte, Sex and Drugs (leider weniger Rock’n Roll), es geht um Hippies, die standhaft Hippies bleiben, obwohl der Hippietraum just von Charlie Manson und seinen Mordmarionetten endgültig zerstäubt worden ist, es geht um verschwundene, verflossene und sonstige Frauen, um Spekulationsobjekte draußen in der Wüste, aber das mit der Handlung sollte man nicht zu wörtlich nehmen, denn von einer dramaturgisch entwickelten Story kann keine Rede sein. Der Film bummelt träge zweieinhalb Stunden lang dahin, wir schauen Doc zu, wie er eine nach der anderen durchzieht, wie er einen Auftrag nach dem anderen annimmt, wie ihm das ganze Gebilde zuletzt deutlich über den Kopf wächst und er nur knapp davonkommt, aber dann geht’s doch mit dem Mädel auf dem Beifahrersitz ab in den Sonnenuntergang. Wer Spaß hat an Kifferfilmen, der wird das hier möglicherweise genießen, andere werden vielleicht bereuen, selbst nichts eingeworfen zu haben, da der Einfluss bewusstseinserweiternder Substanzen dieses Werk möglicherweise in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt, wieder andere werden die recht lange Spieldauer mild amüsiert durchstehen, ohne tiefer berührt zu sein. In letztgenannte Kategorie würde ich mich ungefähr einordnen, nicht allerdings ohne mich zu fragen, was genau Anderson erreichen, was er sagen wollte. Die abgelaufenen einhundertfünfzig Minuten haben mir leider wenig Aufschluss gegeben, es sei denn, er hatte eh nur vorgehabt, Kiffern beim Kiffen zuzusehen und ihre vage interessanten kleinen Abenteuer zu verfolgen. Falls er mehr über die USA und die Zeit sagen wollte, würd ich schon sagen, dass ihm dies allerhöchstens bedingt geglückt ist – die Erwähnung von Manson oder Vietnam irgendwann zwischen all dem krausen Geplapper allein tut sehr wenig zu Sache. Wie ich las, spielt im Roman der laufende Prozess gegen Mansons Family eine zentrale Rolle, doch im Film ist davon nichts geblieben. Zuviel Pose also und zu wenig Substanz.

   Schöne Bilder immerhin und ein kompetenter Soundtrack von Johnny Greenwood, obwohl ich persönlich das Fehlen zeitgenössischer Musik beklage – Cans geniales „Vitamin C“ am Anfang entschädigt zwar, doch danach kommt nicht mehr viel. Schade, war doch fast die beste Zeit. Sehr ansehnlich ist natürlich auch die Besetzung, aus der Joaquin Phoenix klar herausragt. Der liefert eine grandiose Show ab, die das Eintrittsgeld allein schon wert ist. Einen so abgefuckten, glasigen, schmierigen, schlappen Privatdetektiv hat man kaum je gesehen, gegen den sieht selbst Charlie Manson aus wie Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer…

 

   Also, als Schenkelklopfer eignet sich der Film natürlich nicht, als kritisches, komplexes Zeitporträt aber irgendwie auch nicht. Als Krimi nicht, als Drama aber auch nicht. „Inherent Vice“ hockt zwischen allen Stühlen, was an sich nicht verkehrt ist, woraus Anderson aber auch diesmal kein Kapital schlagen kann, es sei denn, man ist als Kinogänger mit Filmen zufrieden, die einen milde amüsieren. Bin ich aber nicht. (18.2.)