Kafkas Der Bau von Jochen Alexander Freydank. BRD, 2014. Axel Prahl, Kristina Klebe, Josef Hader, Roeland Wiesnekker, Robert Stadlober, Fritz Roth, Erwin Leder, Devid Striesow

   Also – was soll oder kann uns der Kafka heute noch sagen, liebe Schüler? Da stellen wir uns mal ganz dumm und fangen mit dem Begriff „kafkaesk“ an, der immer dann zum Einsatz kommt,  wenn es um Zwang, Klaustrophobie, Paranoia geht. Und das ist absolut zeitlos, keine Frage, hat in unserer heutigen Welt genauso viel oder eher noch mehr Relevanz als in Kafkas Welt damals in den 20ern. Kafka ist aktuell und wird es wohl immer bleiben, wenn man es denn schafft, diese Substanz zu begreifen und gegebenenfalls zu aktualisieren. So gesehen ist dieser Film schon mal eine gute Idee, und ich würde auch meinen, dass er in vielen etwas kafkaeskes an sich hat. Die düsteren, fahlen, monochromen Bilder, die kalten, unbehausten Industriewüsten, das intensive Gefühl von Enge, Bedrohung, Kontrollverlust, Obsession. Das jähe Geworfensein in eine Situation, für die es keine Erklärung gibt, keine logische Herleitung, die einfach da ist und mit der wir uns auseinanderzusetzen haben.

   Ein Mann und seine Familie in der neuen Wohnung in einem neuen Bau. Er präsentiert stolz die Sicherheitsvorkehrungen, verkündet selbstzufrieden, dass ihnen hier nichts geschehen könne und er alles unter Kontrolle habe – und natürlich ist es genau das, was ihm nach und nach verloren geht. Erst verschwindet die Familie, dann der Bürojob, die wenigen anderen Bewohner des Baus erscheinen zunehmend verdächtig und bedrohlich, er selbst verfällt und verwahrlost, streift ruhelos durch den Bau und seine Wohnung, schließlich vollkommen vereinsamt und gefangen in seinen Ängsten und Zwängen, getrieben von einer inneren Stimme, die ihn schließlich hinaustreibt, wo er unter vielen anderen Obdachlosen ziellos durch eine Abbruchgegend streift, die man ohne viel Mühe jeder beliebigen modernen Großstadt zuordnen könnte.

   Eine Allegorie, suggestiv und vieldeutig, die man in einige mögliche Richtungen deuten kann. Der moderne Bau erscheint als die Festung, in der sich die Bewohner am liebsten verschanzen, die sie gegen jeden Eindringling von außen beschützen würden. Uniformierte, faschistoid wirkende Wachmänner dreschen auf zerlumpte Gammler ein, die belagern jedoch mehr und mehr die Treppenhäuser, strecken die Hände aus nach dem vermeintlichen Wohlstand. Unter den Nachbarn herrschen Neid und Aggression, alle stehen unter Druck, misstrauen den anderen, verrammeln ihre Türen, verbarrikadieren sich in einer Pseudosicherheit, die umso anfälliger ist, je radikaler sie zum alleinigen Fundament der Existenz wird. Jedes Geräusch ist plötzlich verdächtig, jeder Mensch eine potentielle Bedrohung, je mehr der Mann sich ständig seiner eigenen Sicherheit vergewissern muss, desto ängstlicher wird er im Grunde. Als dann alles um ihn herum zerfällt, bleibt ihm nur noch die Besessenheit, das Klammern an die Vision von Kontrolle.

   So wie der Film gestaltet ist, hätte er meiner Ansicht nach sehr gut ohne Sprache auskommen können. Ein Stummfilm wäre weitaus wirkungsvoller, überzeugender geworden. Die ausführlichen Monologe, ganz offensichtlich Direktzitate Kafkas, stören und nerven ein wenig, sie sind zum Teil akustisch unverständlich, sie bereichern den Film in keiner Weise, dienen weder als Ergänzung noch als Verständnishilfe, sie wiederholen sich inhaltlich und geben dem Ganzen einen unangenehm prätentiösen Ton. Vieles wirkt überdeutlich, gestelzt, und der Film ist mit seinen fast zwei Stunden obendrein viel zu lang und auf Dauer ermüdend. Immer wieder finden sich ganz spannende Details oder Ansätze, und man kann sich gut vorstellen, dass eine insgesamt überzeugendere Version möglich gewesen wäre, zumal exzellente Darsteller zur Verfügung standen (vor allem Axel Prahl müht sich nach Kräften, die sehr dominante Hauptrolle zu gestalten) und die Optik durchgehend sehr effektvoll ist. Doch viel von dem vermeintlich Bedeutungsvollen und Ominösen läuft einfach ins Leere, es fehlen vielfach die greifbaren Gedanken und Ideen. Schon klar, kafkaesk hat oft auch etwas mit ungreifbar, unbegreiflich zu tun, doch hätte der Film dann doch konsequenter sein müssen, zum Beispiel indem er seinen Bildern vertraut und den Text ganz weggelassen hätte.

 

   Insgesamt also ein Experiment, das nur ansatzweise gelungen ist, das sich zwar angenehm weit vom Mainstream abhebt, das aber die Möglichkeiten der Geschichte nicht vollständig auslotet und unser Fassungsvermögen ausgiebig strapaziert. Die auffällig vielen WC-Gänge der Kinobesucher zwischendurch legen hiervon Zeugnis ab (ich war auch dabei…). Kunstkino von der etwas anstrengenden Sorte also. (13.7.)