Love & Mercy von Bill Pohlad. USA, 2014. Paul Dano, John Cusack, Elizabeth Banks, Paul Giamatti, Jake Abel, Bill Camp, Brett Davern, Kenny Wormald
Die Geschichte von Brian Wilson, der irgendwann in den 80ern von einer Cadillacverkäuferin namens Melinda Ledbetter (sic!) aus den Fängen seines faschistoiden Psychodiktators gerettet wird und zurück ins Leben findet (sprich Heirat und fünf adoptierte Kinder). Klingt irgendwie pilcheresk, gelt? Aber manchmal ist das Leben halt so trashig. Hier ist alles drin, was eine richtig saftige Seifenoper braucht: Das tragisch verirrte, psychisch labile Genie, den bösen Gehirnwäscher und den blonden Engel, der das Licht zurück in Wilsons Leben bringt. Mutig nimmt Melinda den Kampf auf gegen Dr. Landys drakonisches Regime, das eine massive Hochdosierung psychotroper Medikamente ebenso einschließt wie rigorose Überwachung und Restriktionen, doch es dauert einige Zeit und Rückschläge, bis Wilson endlich frei kommt, sie heiratet und zugleich seine Kunst wieder zum Leben erweckt. Um seine Kunst geht es auch in dem anderen Erzählstrang, der zurück in die späteren 60er führt, in jene Zeit, da sich Brian Wilson langsam aber sicher aus dem Verbund der fröhlichen Surfer Boys herauslöste, um andere, ambitioniertere Musik aufzunehmen. Angespornt durch „Rubber Soul“ von den Beatles und der Befürchtung, die Liverpooler Knaben könnten ihn künstlerisch womöglich abhängen, ging er radikalere, wagemutige Wege, die ihn sofort vom Mainstream und dem Kommerzgewerbe entfremdeten. Er nutzte die neuen Möglichkeiten der Studiotechnik, experimentierte mit Klängen, Instrumenten, Orchestern, schuf bizarre Klangcollagen, lud Tiere ins Studio und erschuf eine Klangwelt zwischen Psychedelik und den vertrauten Wohlfühlklängen früherer Jahre, das klassisch missverstandene Genie, entfremdet von der Familie und den Fans, und auch wenn damals schon die zeitgenössischen die Kritiker Beifall klatschten, sollte es Jahrzehnte dauern bis zur weitgehenden Rehabilitierung Wilsons und seiner endgültigen Aberkennung als eine der bedeutenden schöpferischen Triebfedern der Popmusik in den 60s. Getrieben von den Stimmen in seinem Kopf, die lauter, dissonanter, dominanter werden in diesen Jahren, angefeuert vom arg zunehmenden Drogenkonsum und den Traumata einer Kindheit, die zumindest in der Lesart dieses Films bestimmt wird von gnadenlos strengen, prügelnden Vater, der die Boys managt und anschiebt, der Brians Talent nie richtig würdigen wollte und nach dessen Liebe und Anerkennung der Junge dennoch unentwegt strebt. Der Zwist mit den Brüdern und dem besonders kritischen und streitsüchtigen Vetter Mike Love nimmt massivere Formen an, ab und zu kann er dem Publikum noch eine brillante Single wie „Good Vibrations“ hinwerfen, doch im Ganzen distanziert er sich innerlich von Business und der unbeschwerten Kumpanei an den kalifornischen Stränden. Wiewohl beide Erzählstränge für sich genommen höchst interessant und spannend sind, bringt der Film sie thematisch nicht wirklich gut zusammen, vor allem weil er Brian Wilson als Künstler in den 80ern nicht mehr richtig erfasst und hier das verängstigte, verunsicherte, eingeschüchterte Opfer eines manipulativen, machtgeilen Arztes in den Vordergrund stellt, während man in den 60ern den Künstler sieht, wie er mit sich, seinen inneren Stimmen und Ideen ringt, um ihnen die Klänge, die Musik abzutrotzen, die ihm irgendwo im Innern vorschwebt. Zwar sind auch in den 80ern die Stimmen noch da, doch sie generieren keine Kunst mehr, Musik scheint keine Rolle mehr zu spielen, der kreative Geist scheint von Psychopharmaka abgetötet zu sein, Wilson ist ein freundlicher, etwas unbeholfener großer Junge, der seine unglaubliche Geschichte wie etwas völlig Normales erzählt und ab und zu versucht, sich wie ein kleiner Lausbub hinten durchs Fenster hinauszustehlen und den unerbittlichen, allgegenwärtigen Aufpassern mal für eine Stunde zu entwischen. Aber gut, vielleicht war‘s auch wirklich so.
Dennoch bieten diese zwei Stunden einen wirklich tiefen, eindrucksvollen Einblick in eine Biographie, die reich an Brüchen, Höhen und Tiefen ist und die sich tatsächlich in den letzten Jahrzehnten zum Positiven gewendet zu haben scheint. Sowohl die 60er als auch die 80er werden gekonnt und ohne viel Aufwand nachvollzogen, Brians Mitstreiter innerhalb der Beach Boys bekommen leider so gut wie kein Profil, aber das wäre in diesem Rahmen vielleicht auch einfach zu viel geworden, denn Autor und Regisseur haben sich eh einiges vorgenommen und zwischendurch auch ein wenig Mühe, alles überzeugend unter einen Hut zu kriegen. Die Schauspieler sind ganz fabelhaft, besonders Paul Dano als fiebriger junger Brian Wilson, John Cusack als verstörter Mittvierziger, Elizabeth Banks als blonder, scheinbar völlig makelloser Engel (auch ein bisschen eine Frau ohne Eigenschaften) und Paul Giamatti als genüsslich fieser Witch Doctor, der in erster Linie seine Macht im Sinn hat und nicht das Wohl seines prominenten Patienten. Inwiefern diese manchmal etwas stereotypen Personenzeichnungen einen Abgleich mit der Wirklichkeit standhalten, vermag ich nicht zu beurteilen, eine gehörige Portion Polemik scheint hier aber auf jeden Fall am Werk zu sein, wenn es um die Festlegung der Bösen, der Schuldigen geht.
Ich war nie ein besonderer Fan der Beach Boys, nicht mal sonderlich an ihrer Musik interessiert, erst recht nicht am Brian-Wilson-Hype, der in den letzten Jahren mal durch die Medien ging, aber ich denke, dass ich mir jetzt mal so einiges von den Leuten zu Gemüte führen und besonders auf Hundebellen und andere schräge Geräusche achten werde. Dieser wirklich gute und beeindruckende Film gibt einige Anstöße, sowieso für alle, die Musik lieben und ernst nehmen und sich auch für die Geschichten dahinter interessieren. Und da gäbe es wahrlich noch die eine oder andere zu erzählen… (23.6.)