Macbeth von Justin Kurzel. England, 2015. Michael Fassbender, Marion Cotillard, Sean Harris, Paddy Considine, David Thewlis, Jack Reynor, Lochlann Harris, Maurice Roëves, David Hayman, Elizabeth Debicki
Okay, wenn man fies wäre, könnte man fragen: Wer braucht diesen Film? Präsentiert er eine revolutionäre neue Interpretation? Enthüllt er einen Aspekt, der bislang noch nicht enthüllt worden ist? Kann er einen neuen, anderen, originellen Akzent setzen? Und wenn man noch fieser wäre, könnte man antworten: Nö, eigentlich nichts von alledem. Oberflächlich betrachtet jedenfalls. Er hat weder Orson Welles‘ expressionistische Bildersprache, noch Kurosawas seidenraschelnde Suggestivität – eher scheint er sich an Polanskis drastischem Naturalismus zu orientieren, den er übrigens locker übertrifft, weswegen sich ab jetzt niemand mehr darüber beschweren dürfte, dass Polanski aus dem Stück nicht mehr als ein Horrorspektakel gemacht hat. Wenn man den Film in der Originalfassung sehen kann, was ich für unbedingt empfehlenswert erachte, hört man aber schon, dass Justin Kurzel seinen Macbeth ganz klar und deutlich in Schottland ansiedelt und zwar als genuin schottisches Drama. Nicht nur setzt er die grandiose schottische Landschaft sehr gebührend und eindrucksvoll in wuchtige Panoramabilder um, die dringend nach der ganz großen Leinwand verlangen, sondern er besetzt auch sehr viele Rollen mit schottischen Akteuren, und so hört man vielfach schweren Akzent, und da nicht alle Schauspieler Schotten sind, hört man zudem ein interessantes Gemisch – Fassbender kann seinen Iren nicht ganz verleugnen, und wie Cotillard es geschafft hat, ihren französischen Akzent gänzlich zu tilgen, ahn ich nicht, Tatsache ist, sie hat es geschafft. Oder ist es am Ende gar nicht ihre Stimme, die da zu uns spricht…?
Also doch was Neues? Noch etwas kommt hinzu: Zu Beginn des Films sehen wir Macbeth und seine Frau, die den Tod ihres Kindes betrauern, ein Ereignis, das vor allem sie immer wieder heimsuchen und letztlich, so die Interpretation hier, wenigstens teilweise mit in den Tod treibt. Dies ist nun doch eine deutlichere Abweichung vom Stück und den vorherigen Filmen, gibt der Lady Macbeth eine andere, verletzlichere, wenn man so will fraulichere Note, die in dem Moment durchdringt, da sie die mörderische Dynamik der in Gang gesetzten Ereignisse zu fürchten beginnt und ihren Mann dazu bewegen will, das Töten zu beenden. Die weibliche Kunst der Verführung und Überredung hat sie zuvor zwar ebenfalls demonstriert, doch spätestens beim grausamen Tod der Familie Macduffs kommt die eigene Trauer wieder in ihr hoch. Ob ich dieser Version der Lady Macbeth unbedingt den Vorzug vor anderen gebe, weiß ich nicht, so hundertprozentig überzeugend finde ich sie nicht, aber jedenfalls ist Marion Cotillards Darstellung so beeindruckend, dass ich ihr gern folge. Fassbender natürlich auch, der seine besondere Stärke für äußerlich ruhige, gefasste, innerlich aber brodelnd zerrissene Extremtypen sehr nachhaltig zur Geltung bringen kann. Um sie herum gruppieren sich markante, herb-knorrige Charakterköpfe, die den archaischen, schroffen, authentischen Charakter des Dramas unterstreichen. Und visuell gesehen hat Kurzel sowieso ganz Arbeit geleistet – einen ausdrucksstärkeren Macbeth hat man wohl noch nie gesehen, sicherlich auch noch keinen gewalttätigeren, ähnlich düsteren. Polanski mag als Referenzpunkt gedient haben, aber alles ist noch um einige Grade weiter getrieben worden, und zweifellos haben fast fünfundvierzig Jahre mit all den daran hängenden Entwicklungen und Veränderungen das Ihre geleistet. Der grausame Sog der Macht, der Gewalt und Gegengewalt, der, einmal in Gang gesetzt, alle mit sich reißt und verschlingt, wurde selten so kongenial in Bilder umgesetzt wie hier. Shakespeares zeitloses Drama wird in Originalsprache dargeboten in einer zugleich zeitlosen und doch sehr modernen Version, die den hier thematisierten menschlichen Abgründen in jeder Hinsicht ebenbürtig ist. Großen Anteil hat auch die Filmmusik von Jed Kurzel, dem Bruder des Regisseurs, die sich sehr auffällig an den nervenzerrenden, dunkel hypnotischen Klängen der Third Ear Band orientieren, die ja Polanski für seinen Film ausgewählt hatte. Nochmal zum Thema Referenzpunkt also.
Und nochmals zurück zur Frage eingangs: Ob man den Film wirklich braucht oder nicht, ist eigentlich wumpe angesichts seiner Qualitäten, und die sind kaum von der Hand zu weisen. Solch ein bild- und wortmächtiges Stück Kino mit so vielen erstklassigen Schauspielern und solch zwingender Dramaturgie ist auf jeden Fall ein Ereignis, auch wenn es den Macbeth schon zigmal gegeben hat. Es wird ihn bestimmt auch weiterhin geben, aber was Leinwandadaptionen angeht, wurde die Latte hier wieder ein Stückchen höher gelegt. (Meine ganz ganz private Meinung trotzdem: Kurosawa hat nach wie vor die genialste Interpretation vorgelegt…) (8.11.)