Dancing Arabs (Mein Herz tanzt) von Eran Riklis. Israel/BRD/Frankreich, 2014. Tawfeek Barhom, Yaël Abecassis, Michael Moshonov, Danielle Kitzis, Razi Gabareen, Ali Suliman, Marlene Bajali, Laëtitia Eido
Herkunft, Identität, Familie, Glaube, Zugehörigkeit, Ethnie – wo, wenn nicht in Israel, sind diese Begriffe von entscheidender, buchstäblich schicksalhafter Bedeutung! Sie prägen, schützen, stärken, sie engen aber auch ein, bedrohen, verfolgen. Stets finden sich diese beiden Aspekte nebeneinander, niemals oder nur höchst selten gelten allein die positiven oder die negativen. In der BRD mussten wir (gottlob!) lernen, maßvoll und umsichtig damit umzugehen, in anderen Ländern klappt das nicht, wurde nie für notwendig erachtet. Schwierig bleibt es, egal wie man sich annähert, weil halt der Mensch offenbar nicht dazu geschaffen ist, in Frieden zu koexistieren, Menschen anderer Hautfarbe, Religion oder Rasse einfach als gleichwertig zu akzeptieren und nicht immer und überall gleich wieder die fatale Machtfrage auszupacken.
Filme aus Nahost haben sich diesem Themenkreis auf vielfältige Weise genähert – als Drama, Groteske, Komödie, wütend, bitter, grausam, ironisch, selten nur einseitig polemisch, immer eher im Geiste einer Verständigung, Befriedung. Das gilt jedenfalls für die Werke, die im hiesigen Arthouse zu besichtigen sind, mag durchaus sein, dass es auch ganz andere Stimmen gibt. „Dancing Arabs“ jedenfalls gehört ganz genau in diese Kategorie, und das ist natürlich auch gut so, und wie viele vor ihm hat er mich ebenso bewegt wie beeindruckt.
Geschildert wird der Weg des Jungen Eyad, der als Angehöriger der arabischen Minderheit in Israel aufwächst, ein gescheitert, unangepasster Bursche, dessen Vater eher zu politischer Radikalität neigt, und den er auch deshalb besonders bewundert. Er bewirbt sich für ein angesehenes Internat in Jerusalem und wird zum größten Stolz seiner Eltern dort angenommen, einer von ganz wenigen Arabern, was ihm zunächst einen schweren Start beschert. Er verliebt sich in das jüdische Mädchen Naomi, obwohl beide wissen, dass ihre Verbindung nirgendwo toleriert wird und sie sie geheim halten müssen, woran Naomi letztlich scheitert und weswegen sie nach langem, zermürbendem Versteckspiel aufgibt und um die Trennung bittet. Eyad kommt über ein Sozialprojekt als Betreuer zu Yonathan, der an Muskelschwund leidet und im Rollstuhl sitzt und gemeinsam mit seiner Mutter Edna lebt. Die betrachtet Eyad anfangs deutlich distanziert, doch als die Jungs sich nach einigem Abtasten anfreunden und eine wirklich enge Bindung entwickeln, fasst auch sie Vertrauen zu ihm, bietet ihm einen Platz in ihrer „Familie“ an. Er akzeptiert nicht mal bewusst, lässt die Dinge aber geschehen, und das hat Folgen. Seine Bindung zu dieser neuen „Familie“ wird in dem Maße enger, da die Bindung zur alten abnimmt, einerseits bedingt durch die Entfernung, andererseits dadurch, dass Eyad in Jerusalem Erfahrungen macht, die ihn von dem alten einfachen Schwarzweiß-Weltbild seines Vaters entfremden. Er verlässt das Internat, um Naomi nicht zu kompromittieren, schlägt sich mit Jobs durch und schreibt sich schließlich als Student in Berlin ein. Als Yonathan immer schwächer wird und die überforderte Edna ihn immer häufiger um Hilfe bitte und ihn schließlich ganz bei sich wohnen lässt, schnappt er sich eines Abends eher spontan den Pass seines Freundes, der ihm plötzlich neue Bewegungsfreiheit gewährt, und als Yonathan schließlich stirbt, trifft Edna, vielleicht selbst auf der Suche nach einem Ersatz-Sohn, eine Entscheidung, indem sie Eyad offiziell sterben und Yonathan leben lässt, und so ist aus dem arabischen Junge ein jüdischer geworden, der in seinem Land nicht länger zur Außenseitergruppe gehört.
Ein Film mit Gefühl und Humor, vor allem aber der Bereitschaft, sich Land und Leuten ohne Pathos und Polemik zu nähern. Der Alltag der arabischen Familie Eyads trägt oberflächlich durchaus burleske Züge, dennoch wird niemals geleugnet, dass die Realität ganz und gar nicht komisch ist. Der gut ausgebildete akademische Vater muss sich mit schäbigen Jobs herumschlagen, weil es für einen Araber undenkbar ist, eine angemessene Arbeit zu bekommen. Die tägliche Diskriminierung der Minderheit ist mal grob, mal demütigend, sie ist auf jeden Fall aber immer gegenwärtig, und natürlich befeuert sie den Fanatismus des Vaters, denn wie sollte er imstande sein, mit den verhassten Juden zu reden, wo die ihn nur wie den letzten Dreck behandeln. Eyads eigene Erfahrungen gehen zunächst auch in diese Richtung, und auch später wird ihm immer mal wieder Hass und Verachtung begegnen, doch indem er Naomi und Yonathan kennenlernt, ändert sich das Bild weitet sich der Horizont. Die unschuldig kindlichen Kalauer vom Terroristenvater werden nun ersetzt durch eine zornige Rede gegen Amos Oz‘ „Mein Michael“, und die zeigt, dass Eyad sehr wohl ein sehr starkes Identitätsbewusstsein hat, nur geht er damit nicht so hausieren wie andere, und er ist imstande, andere, private Prioritäten zu setzen, wie seine Freundschaft zu Naomi und Yonathan beweist. Wenn sein Vater und andere Araber nachts auf dem Dach stehen und die gegen Israel abgeschossenen Marschflugkörper bejubeln, wendet er sich ab, hat sich längst entfernt von jener Weltsicht, die ihn als Kind auch prägte. Das bedeutet für ihn gleichzeitig eine Infragestellung seiner gesamten Identität, denn wohin soll er nun gehören? Die Juden würden ihn niemals als einen der Ihren akzeptieren, Naomis Eltern ihn nie als Schwiegersohn anerkennen, für viele bleibt er stets der dreckige Araber, der es auf die reinen jüdischen Mädchen abgesehen hat. Erst Yonathans Pass eröffnet ihm neue Wege, und den ist er offensichtlich bereit zu gehen, auch wenn dies in letzter Konsequenz einen drastischen Bruch mit seiner Vergangenheit bedeutet, die er im wahrsten Sinne begräbt. Dieser Schluss hat schon etwas Schockierendes, Radikales, legt auch die Vermutung nahe, dass Eyad sich von seinen Wurzeln abnabeln will, ohne dass man im Film genau erfährt, wie weit er dabei geht, ist aber in vieler Hinsicht nur eine konsequente Folge der bitteren Lehren, die Eyad machen musste und die ihm immer wieder bestätigt haben, dass er als Araber in Israel keine Chance haben wird.
Es ist wie man sieht sehr viel drin in diesem hervorragenden Film, der, und das macht ihn ja so gut, unter dieser Last nicht zusammenbricht oder verquast oder kitschig wird, sondern sich mit Eyad einen ruhigen, besonnenen Blick behält, Riklis erzählt durchaus mit Blick für die eine oder andere komische Situation, und so etwas wie feierliches Pathos will ihm zu keiner Zeit in den Sinn kommen. Die Geschichte eines Einzelnen steht natürlich für mehr, steht für das große Ganze, will etwas aussagen, aber das ist ja auch legitim und in diesem Film absolut gelungen. Eyad ist keine bloße Projektionsfläche für Aussagen oder Anliegen, sondern ein komplexer Charakter in einer mehr als komplexen Gesellschaft, die ihn mehr oder weniger direkt zu gewissen Entscheidungen zwingt, und da er trotz aller Rückschläge, Trauer und Enttäuschungen noch immer ein Ziel vor Augen zu haben scheint, muss er diese Entscheidungen eben durchziehen und tut das auch. Riklis hat das vortrefflich inszeniert mit sehr starken Schauspielern, und vielleicht haben die Stimmen ja Recht, die da so optimistisch sagen, dass die Hoffnung noch nicht völlig verloren ist, solange noch solche Filme und solche Signale aus der Region kommen. Wäre ja fast wie im Märchen, wenn Kunst doch mal bewegen könnte… (9.6.)