Mænd og høns (Men and chicken) von Anders Thomas Jensen. Dänemark/BRD, 2015. Mads Mikkelsen, David Dencik, Nikolaj Lie Kaas, Søren Malling, Nicolas Bro, Ole Thestrup, Bodil Jørgensen, Kirsten Lehfeldt
Die Filme, für die Anders Thomas Jensen nur das Drehbuch verfasst hat, sind die eine Sache, und da gibt es eine beeindruckende Reihe von wirklichen Meisterwerken, angefangen mit Dogmawerken wie „Mifune“ oder „Open Hearts“, fortgesetzt dann mit den „reiferen“ Dramen wie „Brothers“, “In einer besseren Welt“ oder „Nach der Hochzeit“. Große Kinomomente, entstanden aber eben unter der Regie von Leuten wie Lars von Trier oder hauptsächlich Susanne Bier, mit der Jensen eine wirklich großartige Partnerschaft entwickelt hat.
Die Filme, bei denen er sowohl Autor und Regisseur war, sind die andere Sache. Keine Meisterwerke, so würde ich es jedenfalls sehen, kein einziger davon, allesamt aber Zugehörige eine höchst eigenartigen Kosmos‘ und allesamt extrem unterhaltsam, sofern man eine gewisse Neigung zu etwas rabiaterer, makaberer Kost hat. „Adams Äpfel“ ist nun schon zehn Jahre her, seither hat er nur als Autor gearbeitet, nun aber hat er seine Kräfte mal wieder gebündelt und richtig einen rausgehauen, und wieder werden wir auf die vertraute Weise im Kino durchgeschüttelt und wissen am Ende nicht so recht, was wir hier gerade erlebt haben: Eine abstruse Horrorfreakshow oder ein zutiefst humanes Manifest? Oder beides? Oder keines von beiden? Vielleicht nur ein Jux, der vor nichts und niemandem Halt macht und es offensichtlich darauf anlegt, jedwede Geschmacksgrenze niederzureißen? Bei Jensen ist immer alles möglich, und wie immer bei ihm habe ich das Gefühl, die Antwort liegt irgendwo in der Mitte, und es gehört bei ihm genau dazu, uns im Dunklen zu lassen, sich um Himmel Willen nicht festzulegen auf die eine oder andere Auslegung.
Gabriel und Elias sind Brüder, die außer einer Hasenscharte nicht viel gemeinsam haben, und die nach dem Tod ihres Vaters erfahren, dass ihr biologischer Vater ein berühmter Genetikforscher ist und auf einer Insel namens Ork lebt. Dort treffen die beiden in einem großen, halb verfallenen Anwesen auf drei weitere Männer mit Hasenscharte, eine wahrhaft wilde Meute, auf die Tobe Hooper in alten „Texas Chainsaw“-Zeiten stolz gewesen wäre. Jeder der fünf hat, so erfahren sie, eine andere Mutter, und als Gabriel entdeckt, dass ihr greiser Vater gar nicht mehr lebt, sondern bereits oben in seinem Bett vergammelt, macht er sich daran, ihre wahre Geschichte zu erkunden. Und die ist im wahrsten Sinn des Wortes markerschütternd…
Anders kann ich es nicht nennen. Ich kann und will auch nicht alles beschreiben, was ich hier zu sehen und hören bekommen habe, man muss das einfach selbst erleben. Was als skurrile, durchgeknallte, aber noch eher harmlose und derbe Komödie beginnt, entwickelt sich zunehmend zu einer dunkelschwarzen Gruselmär, die uns dichter und dichter an einen fürchterlichen Abgrund stößt, und nachdem wir alle dann über die Klippe gefallen sind, fängt uns Jensen mit leichter Hand wieder auf und zaubert uns ein veritables Märchenfinale, die friedvolle, versöhnliche, fast süßliche Vision von einer Welt, in der genug Platz ist für Mensch und Tier und all jene, die irgendwo dazwischen stehen, so wie unsere fünf Brüder, die jeweils einen Anteil Stier, Hund, Eule, Maus oder Huhn in ihren Genpool haben. Und so wird auch das Publikum insgesamt ein wenig erleichtert nach Hause gehen, denn das anfangs zahlreich zu hörende Gelächter dünnte im Verlauf deutlich aus, wich dann zunehmendem Unbehagen, weshalb manch einer den harmonischen Schlussakkord als willkommene Trostpille empfunden haben wird. Gabriels Entdeckungen in des Vaters Versuchskeller hätten vermutlich nicht einfach so im Raume stehen bleiben können, soviel steht fest.
Anders Thomas Jensen dreht das ganze extrem cool und konsequent runter, serviert uns ungeheuerlichste Ungeheuerlichkeiten fast beiläufig und ohne besonderen Aufwand, deckt ein eindrucksvolles Spektrum zwischen Masturbationszwang und Sodomistenorgien ab und betrachtet seine gezeichneten Protagonisten mit einer Mischung aus lustvollem Exzess und fast zärtlichem Mitgefühl. Diese eigenartige Paradoxie wird von den Darstellern voll mitgetragen, eine Art Eliteeinheit dänischer Schauspielkunst, allesamt häufig und gern, doch wohl noch niemals auf diese Weise gesehene Gesichter, die dem ganzen tragikomischen Wahnsinn zwischendrin einen deutlichen Hauch von Würde verleihen, und genau der bewahrt den Film davor, in zynische Spekulation abzudriften. Jensen ist dagegen in seinen eigenen Filmen nie so ganz gefeit, oft hat man den Eindruck, alle Gäule und ein böses inneres Kind gehen voll mit ihm durch, und es fehlt dann eben die regulierende Hand eines anderen Regisseurs, um das ungestüme Temperament des Autors ein wenig einzudämmen. Andererseits ist es eben genau das, was Jensens Filme ausmacht, und wenn er plötzlich all seine fiesen Dämonen im Griff hätte, würde er und womöglich enttäuschen oder langweilen. Beides ist hier nicht geschehen, Jensens Dämonen sind überaus wach und aktiv, seine Lust an der Provokation ebenso, und folglich kriegen wir, was wir erwartet haben, und wer damit nicht klarkommt, sollte generell keinen Jensen-Film ansehen. Ich hab’s wieder sehr gern getan, musste zwischenzeitlich aber auch mal gaaanz tief durchatmen. (8.7.)