Regression von Alejandro Amenábar. Spanien/Kanada, 2014. Ethan Hawke, Emma Watson, David Thewlis, David Dencik, Devon Bostick, Dale Dickey, Lothaire Bluteau, Aaron Ashmore
Wat also isse ne Regression? Da stelle mer ons mal janz dumm und lese nach bei Wikipedia. Und was lesen wir? Regression, oder genauer „hypnotische Regression“ ist eine Form der Psychotherapie, die darauf basiert, den Patienten vermittels Hypnose an einen bestimmten Zeitpunkt seiner Vergangenheit zurückzuführen, um ihn erneut mit seinen damaligen Emotionen in Kontakt zu bringen. Wie ich weiterhin lese, war diese Methode in den Staaten zu Beginn der 90er besonders populär, gerade auch im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen, oder solchen Fällen, in denen der dringende Verdacht auf Missbrauch in der Kindheit vorlag. Und weiter lese ich, dass die Methode alsbald in Verruf geriet, weil nämlich das Risiko der Suggestion und der voreiligen Tatsachenannahme viel zu groß war.
In Alejandro Amenábars Film lernen wir verstehen, was genau damit gemeint ist. Er bezieht sich angeblich auf einen wahren Fall, der zudem noch im Milieu der Satanisten angelegt ist, die seinerzeit ebenfalls ziemlich en vogue waren und durch ihre skurrilen, abseitigen und bisweilen sicherlich auch nicht gerade harmlosen Praktiken und Rituale alle erdenklichen Phantasien freisetzten, manchmal zurecht, manchmal aber eben auch nicht. So wie in dieser Geschichte, die sich im tristen Minnesota zuträgt und in der ein junges Mädchen schwerste Vorwürfe gegen ihren Vater und später auch die Großmutter erhebt. Die verkehren in einer obskuren Satanistengemeinschaft, auf deren Konto angeblich sogar das Opfern neugeborener Babys geht, und die durch fortwährende gezielte Bedrohungstaktiken Menschen einschüchtern und an sich binden. Der Vater hat sie angeblich häufig missbraucht, wahrscheinlich auch ihren Bruder, der die Familie verließ, als die Mutter gestorben war. Der örtliche Detektiv Bruce Kenner vertieft sich sehr intensiv in den Fall, unterstützt von einem Psychologieprofessor, der ein Verfechter eben jener Regressionstherapie ist und diese im Verlauf der Ermittlungen auch zur Anwendung bringt. Alptraumhafte Szenen und Erinnerungen kommen ans Tageslicht – doch entsprechen sie auch der Wahrheit? Kenner droht die Kontrolle zu verlieren, er ist total auf dem falschen Dampfer, bis ihm kurz vor knapp doch noch ein Licht aufgeht und er erkennen muss, dass die gute Angela kein Missbrauchs- und auch kein Satanistenopfer ist, sondern einfach ein raffiniertes Ding, das sich an seiner verhassten Familie rächen will.
Amenábar lässt diese äußerst bizarre, ungewöhnliche Geschichte nicht als schrilles Horrordrama ablaufen, wie es gemeinhin mit Sicherheit geschehen wäre, sondern als schleichend langsamen, hypnotisch intensiven, extrem suggestiven Psychothriller, der sich behutsam und schrittweise vorantastet, nie mehr weiß als der verbissen im Dunkel stochernde Detektiv, und erst ziemlich gegen Ende die entscheidende Wendung anbahnt, obwohl krimierfahrene Zuschauer natürlich zwischendurch längst mal dachten, na, wenn das mal alles seine Richtigkeit hat mit diesem Früchtchen. Je erfolgreicher sie ihren Hermione-Granger-Charme auf den braven Mr. Bruce anwendet, desto misstrauischer müssen wir naturgemäß werden, aber dass sie allein aus Hass so perfide lügt, hätte zumindest ich mir nicht träumen lassen, doch was weiß ich schon von den Abgründen der weiblichen Psyche…
Das herbstlich-trübe Setting in einer Kleinstadt am großen See wird sehr effektvoll eingewoben in die abgründige Erzählung, die schrittweise immer neue Dimensionen und Aspekte enthüllt und letztlich auch unseren Professor überfordert, der bis zuletzt den entscheidenden Haken an seiner Methode nicht zugeben mag: Durch die Befragung in eine entsprechende Richtung gelenkt, erzählen die unter Hypnose stehenden Probanden irgendwann unweigerlich, was die Interviewer von ihnen hören wollen, und die wiederum sind allzu eifrig bereit, sofort zu glauben, was sie hören. Und so entwickelt sich ein Kreislauf, ein fest geschlossenes System aus Selbst- und Fremdhypnose, in dem die Wahrheit niemals gefunden werden kann, weil von vornherein feststeht, was am Ende herauskommen soll. Und das ist in diesem Fall die Bestätigung, dass Angela jahrelang von ihrem Vater missbraucht wurde. Bei einem solch heiklen Thema gehört ja auch schon ein ganzes Stück Mut dazu, eine andere Version überhaupt in Betracht zu ziehen. Man könnte Amenábar mit einiger Berechtigung vorhalten, dass er nicht besonders tief in die die beiden zentralen Themenbereiche eingestiegen ist (also Regression und Satanismus), was mir zur Hälfte auch wenig leidgetan hat (was den Psychoaspekt der Story angeht), andererseits aber verstehe ich das auch, denn gerade wenn es um die ganzen schrägen Abwege der Kultisten geht, kann solch ein Film schnell mal in allzu spekulative und seichte Fahrwasser geraten, sodass mir Amenábars Zurückhaltung in dieser Hinsicht ganz vernünftig erschien. Immerhin erweist er sich einmal mehr als ein Filmemacher, der sich vorzüglich auf dichtes, stimmungsvolles, suggestives Handwerk versteht (siehe vor allem „The Others“, der in vielem an diesen Film erinnert), und der auch hier wieder eine perfekte Form für die wilde Geschichte findet. Ethan Hawke ist wieder immer äußerst überzeugend als ein Mann unter Stress, dessen Welt zunehmend in Auflösung begriffen ist, und Emma Watson ist fast die ganze Zeit über ein schön verheultes Opfer, das jede Menge Beschützerinstinkte freisetzt, und genauso gut kriegt sie kurz vor Schluss den Dreh und ist plötzlich ein böses Mädchen, auch dies ohne viel Getue.
Also: Kein lautes Gedröhne, ein Film der leisen Töne, der seine zwischenzeitigen Schockmomente umso effektiver zur Geltung bringt. Alles in allem eine extrem seltsame Geschichte natürlich, aber wie wir alle wissen, gibt’s zwischen Himmel und Erde noch viel Seltsameres… (7.10.)