Sicario von Denis Villeneuve. USA, 2014. Emily Blunt, Benicio del Toro, Josh Brolin, Daniel Kaluuya, Victor Garber, Jon Bernthal, Maximiliano Hernández
Kate, die ehrgeizige FBI-Agentin und Spezialistin für operative Einsätze, wird mit ihren eigenen Grenzen konfrontiert, als sie in einem Kaff in Arizona ein Drogenhaus ausheben und in den Wänden insgesamt 42 Leichen finden, abgeschlachtet vom Kartell. Trotzdem scheint sie ihre Grenzen weiter testen zu wollen und nimmt das Angebot an, an einer konzertierten Aktion in El Paso, Texas teilzunehmen. Die Gruppe ist ziemlich gemischt und undurchsichtig, ein paar hartgesottene Soldaten und ein paar andere Knaben, die sie ganz richtig beim CIA ansiedelt, unter anderem Matt, den Leiter der Aktion, dem ihre fragende, kritische Haltung von Beginn an nicht so recht gefällt und der sie deshalb bevorzugt ins letzte Glied beordert, wo sie möglichst wenig Schaden anrichten soll. Sie lernt weiterhin Alejandro kennen, der mit Matt zusammenarbeitet und dessen Identität und Motive noch viel undurchsichtiger sind. Kate wird bald klar, dass Mat sie über die wirkliche Absicht der Aktion bewusst im Unklaren gelassen hat. Die Gruppe bleibt mitnichten in den Staaten, sondern geht über die Grenze nach Juárez, holt dort einen Gefangenen ab und bringt ihn über den Fluss zurück nach El Paso, alles in der Absicht, die Hintermänner, die Bosse des Kartells aufzuscheuchen, nervös zu machen und zu Fehlern zu verleiten. Dann finden sie den lang gesuchten Tunnel, der unterirdisch die Grenze quert und einen wichtigen Transportweg für Drogen, Waffen und Leuten darstellt. Auch hier wirbelt die Gruppe wieder viel „Staub“ auf, auch hier müssen wieder viele Menschen sterben, und als Kate erkennt, welche Ziele Alejandro verfolgt und auf welche Weise Matt sich einen persönlichen Rachefeldzug zunutze macht, ist ihr Weltbild vollends in Trümmern. Als Alejandro sie dann am Schluss mit vorgehaltener Waffe auch noch dazu zwingt, ein Papier zu unterzeichnen, das die Rechtmäßigkeit und Regelkonformität der gesamten Aktion bestätigt, bleibt ihr nichts übrig, als resigniert zu unterschreiben. Sie kann den davongehenden Alejandro nicht erschießen. Der hatte ihr zuvor erklärt, weshalb sie hier nicht am richtigen Ort ist: „Hier können nur Wölfe überleben, denn dies ist jetzt die Welt der Wölfe.“
Ein monströser Film aus einer monströsen Welt. Man kann sich zurecht daran stoßen, dass eine so naiv und verletzlich wirkende FBI-Agentin wie Kate äußerst unrealistisch ist, und dieser Einwand ist auch für mich durchaus relevant, zumal sie anfangs so tough und selbstbewusst und cool rüberkommt, andererseits aber brauchen wir hier unbedingt eine Figur wie sie, eine Art Stellvertreter, ein ganz normales menschliches Wesen, das ganz normale menschliche Werte und Vorstellungen transportiert und eben stellvertretend für alle Entsetzen und Erschütterung über die irrsinnige Gewalt und den Zynismus zu artikulieren, von denen diese Welt beherrscht wird. Viel hat man schon gehört oder gelesen über den seit vielen Jahren wütenden Drogenkrieg in Mexiko, Horrormeldungen en masse über die Frauenmorde, die Studentenmorde, die täglichen Massaker, vor allem eben in Juárez. All dies entzieht sich ehrlich gesagt meiner Vorstellungskraft – es erscheint mir kaum möglich, dass sich unmittelbar südlich an die sogenannte „zivilisierte“ Welt eine derartig grauenvolle Barbarei abspielt und niemand etwas dagegen unternehmen kann (oder will). Matt erklärt der fassungslosen Kate die Lage: Früher, als das kolumbianische Kartell noch die Fäden in der Hand hielt, war die Situation stabil, berechenbar, alle konnten damit leben - und kräftig profitieren. Nun ist alles außer Kontrolle geraten, der Mob tobt, mehrere Gangs kämpfen um die Vorherrschaft, es herrschen blankes Chaos und totale Anarchie, in der kein Mensch mehr sicher ist. Juárez scheint ein Moloch zu sein, im Vergleich zu dem Beirut sich wie Disneyland ausnimmt. Die örtliche Polizei ist durch und durch korrupt und arbeitet zum Teil ganz offen fürs Kartell, wie hier am Beispiel eines einfachen Uniformträgers und Familienvaters gezeigt wird, der tagsüber mit dem Sohnemann Fußball spielt und abends Drogen in seinem Streifenwagen transportiert, bis Alejandro ihn erschießt und eine weitere Familie ins Unglück reißt. Die US-Behörden haben sich auf die veränderte Lage eingestellt, haben die bis dato geltenden Grenzen „erweitert“, haben die Regeln „angepasst“ und führen nun einen Krieg, der sich längst verselbständigt hat. Beide Seiten töten, infiltrieren, taktieren, und es kommt eigentlich nichts dabei heraus als mehr und mehr Tote. Speziell die USA können dabei nichts gewinnen, denn die Strukturen bleiben die gleichen, und die Profiteure auf Seiten der Kartelle werden solange nachwachsen, wie es oberhalb der Grenze Abnehmer gibt. Und die Amis in ihrer Ohnmacht wollen nicht mehr tun, als noch mehr Soldaten und Waffen zu entsenden, eine andere, politische Lösung scheint nicht mal in der Diskussion zu sein. Ein erbarmungsloser Kreislauf der Gewalt, von beiden Seiten mit verbissener Härte aufrechterhalten, und die von außen neu dazukommende Kate erkennt, dass Menschlichkeit und Vernunft hier längst verloren haben, dass Leute wie Matt an ihrem blutigen Handwerk sogar in gewisser Hinsicht Spaß zu haben scheinen. Alejandro ist derweil als Rächer in eigener Sache unterwegs, will den furchtbaren Mord an seiner Frau und seiner Tochter vergelten, und tut dies mit maximaler Effektivität. Matt lässt ihn gewähren, denn erstens ist es ihm lieber, wenn ein wildgewordenes Tier wie Alejandro für seine Seite tötet und nicht für die andere, und zweitens hat das den willkommenen Nebeneffekt, dass immer ein paar Verbrecher weniger im Spiel sind, und in diesem Falle sogar einer der großen Bosse draufgeht.
Denis Villeneuve hat diese grausame Geschichte mit der ihm eigenen Wucht und Intensität in einen zweistündigen Malstrom verwandelt, dem man sich nicht entziehen, den man nicht so rasch vergessen kann. Die faszinierenden Bilder von Roger Deakins, die fast beängstigend dräuende Musik von Jóhann Jóhansson, der unaufhaltsam vorwärtstreibende Fluss der Ereignisse, alles fügt sich zusammen zu einem Film von bemerkenswerter Ausdruckskraft. Ich war zumeist ganz bei der Figur Kates – als kleiner, naiver Westeuropäer kann ich mir so vieles nicht vorstellen (oder mag es mir nicht vorstellen) und betrachte das selbstzweckhafte Morden auf beiden Seiten mit Abscheu und Fassungslosigkeit. Die Besetzung ist dabei kongenial: Del Toro sind Brolin sind großartig als zwei abgezockte, eiskalte Typen, die genau das tun was sie wollen und die nur jemanden vom FBI brauchen, weil ihre Aktion in fremden Land durch das Mitglied einer staatlichen Behörde legitimiert wird. Kate ist Mittel zum Zweck und Köder zugleich, denn der Typ, den sie eines Abends in der Bar abschleppt, arbeitet natürlich auch für das Kartell und wird Matt und Alejandro unter sanfter Druckanwendung mit wichtigen Informationen versorgen. Und Emily Blunt hat endlich, endlich mal wieder eine Rolle, die sie jenseits des gefälligen Mainstream als Schauspielerin fordert, und sofort zeigt sie, wie bestechend gut sie wirklich sein kann. Sie entwickelt eine völlig andere Präsenz als in den seichten Unterhaltungsfilmchen, in denen sie zumeist auftritt, und ich frage mich nur, weshalb das nicht häufiger möglich ist.
Villeneuve ist einer der wenigen Regisseure, die diesen dunklen, unwiderstehlichen Sog erzeugen können, und hier dient er nicht mal nur zur effektvollen Unterhaltung, sondern versinnbildlicht eine humane Katastrophe furchtbarsten Ausmaßes. Lösungen bietet auch dieser Film nicht an, kann er gar nicht anbieten, weil unter den gegebenen Umständen auf beiden Seiten niemand an einer Lösung interessiert zu sein scheint – und das ist die größte Katastrophe dabei. (5.10.)