Spectre von Sam Mendes. England/USA, 2015. Daniel Craig, Léa Seydoux, Christoph Waltz, Ralph Fiennes, Naomi Harris, Ben Wishaw, Rory Kinnear, Andrew Scott, Monica Bellucci, Jesper Christensen
Bond, die 24. - nun also. Ich könnte nicht behaupten, dass der neue Bondfilm dem Hype, der ihm vorausging, standhielte, kein Film vermag dies. Das ist kein Zeichen mangelnder Qualität, nur ein Zeichen dafür, dass der Marketingsektor vor einiger Zeit von einer gewissen Grenzenlosigkeit infiziert wurde und seither jedes Maß verloren hat. Dies ist nicht der Film des Jahres, und auch kein Jahrhundertereignis, dies ist schlicht ein Actionfilm nach sattsam bekanntem Muster, was man entweder als Vor- oder als Nachteil auslegen mag. Ein Film mit wenig anderen Ambitionen, als uns zweieinhalb Stunden auf konstant erhöhtem Adrenalinpegel zu unterhalten. Kriegt er das hin? Und ob!
Bond ist diesmal auf einer eher privaten Vendetta unterwegs, was sich bereits in „Skyfall“ angedeutet hatte, der ja erstmals Ausflüge in die Vergangenheit des bis dato eher biographielosen Superhelden gewagt hatte. Nun geht‘s noch ein Stückchen weiter und konkreter zurück, und 007 stöbert einen Mann auf, der allgemein für tot gewähnt wurde, der sich aber als Bonds ältester, intimster und dunkelster Alptraum entpuppt, und außerdem als Ernest Stavro Blofeld, der uns ja im Verlauf der Jahrzehnte in verschiedenen Inkarnationen immer mal begegnete. Blofeld, der Großmeister des beängstigend allmächtigen und motivlosen internationalen Terrors, lässt diesmal seinen mächtigen Arm bis ins Herz des britischen Abwehrsystems reichen und schafft es beinahe, ein neues, auf totaler Überwachung basierendes Regime zu errichten, das den alten MI 6 entmachten und das Doppel-Null-Programm obsolet machen würde. Das wäre die Chance gewesen, die Bond-Reihe zu einem pathetischen Ende zu führen, doch es soll nicht sein, die Bösewichter werden einmal mehr unschädlich gemacht, und zwischen Mexiko, Rom, Österreich, Marokko und natürlich London liefern sich die Kontrahenten einige ansehnliche Gefechte, die allerdings, und das ist ein Unterschied zu vielen früheren Filmen der Serie, von einigen ausgedehnteren Ruhephasen unterbrochen werden. Manch einer, so hörte ich es zumindest, stört sich sofort an „zuviel Gelaber“, und unterm Strich sind satte einhundertfünfzig Minuten auch kein Pappenstiel. Dennoch bringt der Film die beträchtliche Distanz souverän über die Runden, bleibt auch in den ruhigen Momenten dicht und spannend, und hat zudem auf der Habenseite auf jeden Fall die gewohnten Attraktionen globaler Schauplätze zu bieten und ein paar Actionkracher, die unseren (männlichen) Puls zumindest leicht in Wallung bringen. Autos, Hubschrauber, Boote, Züge, alles, was fahren, schwimmen oder fliegen kann, ist mit von der Partie, und die obligatorischen Monumentalexplosionen dürfen naturgemäß auch nicht fehlen. Ein Bondfilm, der das nicht bietet, taugt nichts. Der hier bietet es, und also taugt er auch was.
Ob er sich nun in die besten einreiht, weiß ich nicht, und ob er so sehr in die Tiefe geht, wie mancherorts behauptet wird, weiß ich auch nicht. Die Spekulationen um Daniel Craigs Verbleib in der Reihe sind einigermaßen nachvollziehbar, wenn man mitansieht, wie merkwürdig stoisch, fast unbeteiligt er in einigen Szenen wirkt. Von Charme sowieso keine Spur, aber auch die animalische Anziehungskraft und die beeindruckende Vitalität und Dynamik, die ihn in seinem ersten Auftritt noch auszeichneten, haben sich irgendwohin verflüchtigt, aber das mögen die Damen im Kinosaal vielleicht ganz anders sehen. Die früher bei Craig wenigstens ansatzweise zu spürende Selbstironie ist hier jedenfalls gänzlich verschwunden, wie überhaupt dieser Film zu den humorfreisten aller Bondfilme zählen dürfte, wie auch immer man das nun bewerten mag. Craig sieht noch immer so aus, als beiße er auf einer Patrone herum, lässt nichts und niemanden an sich heran, und so kann sich auch oben erwähnte Tiefe nicht recht einstellen, weil Bond als Mensch weiterhin nicht greifbar ist – und wahrscheinlich auch nie sein wird, denn ein Mythos ist immer ungreifbar. Weshalb die Versuche des Drehbuchs, in einigen „Dialogen“ so etwas wie Charaktertiefe herzustellen, schon konzeptionell paradox erscheinen. Ich persönlich muss aber zugeben, dass sich Craigs Ausstrahlung von „Casino Royale“ bis heute deutlich zum Negativen verändert hat und der Gedanke ein einen neuen, einen vielleicht frischeren Bond gar nicht mehr so abwegig erscheint (nur bittebitte nicht den hässlichen Kerl aus „Homeland“…). Ihm gegenüber steht als Bonds Zieh-Bruder (!) und ewiger Opponent Blofeld Christoph Waltz, der seine übliche Christoph-Waltz-Show abzieht, und die geht mir so langsam aber sicher auf den Geist (und ich hab den ganzen Tarantino-Scheiß nicht mal gesehen…). Gerade hier hätte ich zu gern erlebt, wie er seinem gekonnt fiesen, unter der gepflegten Oberfläche total kranken Wiener Schmäh mal ein paar andere Töne beimischt, denn die hat er drauf, die werden bloß von den Regisseuren offenbar nicht verlangt. Alle sind sie so begeistert von seinem kultiviert lächelnden, sanft säuselnden Monster, dass sie gar nix anderes sehen wollen – schade. Aber andererseits gibt’s auch ein paar Pfunde, mit denen „Spectre“ wuchern kann: Léa Seydoux ist ein hinreißendes Bondgirl, eines der allerbesten überhaupt (neben Eva Greens Vesper Lind natürlich), und Naomi Harris ist die sexieste Moneypenny, die es je gab, und das ist verdammt gut so. Q und M haben diesmal viel mehr zu tun als sonst, und zum ersten Mal kommt fast so etwas wie ein Team Spirit zum Tragen, und das bei einem passionierten Einzelkämpfer wie Bond. Vielleicht passt man sich ja doch auf manchen Gebieten den neuen, veränderten Zeiten an und trägt die überlebensgroßen Solohelden still und heimlich zu Grabe.
Nachdem „Casino Royale“ vor Jahren die Serie einer notwendigen Frischzellenkur unterworfen hat, ist der Craig-Bonus nun doch abgenutzt. Wahrscheinlich unvermeidlich, zumal ein Schauspieler wie er auf Dauer Probleme damit haben dürfte, nur noch mit einer Rolle identifiziert zu werden (ganz gleich, wie gut er damit verdient). Ob er in Bond Nummer 25 nochmal neue Fahrt aufnehmen kann oder ob er vielleicht doch schon vorzeitig abgelöst werden wird, bleibt abzuwarten. Hoffentlich versuchen sie auch nicht weiterhin, die einzelnen Filme durch irgendwelche herbeigezauberten thematischen Konstanten zusammenzubinden, das bekommt ihnen nämlich nicht so gut. Ich werd’s mir auf jeden Fall auch weiterhin gern ansehen, für mich gehört Bond irgendwie dazu, ein Phänomen ist die Serie ja ohnehin, und meinetwegen soll sie gerne weiterlaufen, wenn sie sich vielleicht hier und da ein wenig erneuert. Und: Nächstes Mal bitte wieder einen besseren Titelsong auswählen, denn der hier ist echt Scheiße! (23.11.)