Still Alice von Richard Glatzer und Wash Westmoreland. USA/Frankreich, 2014. Julianna Moore, Alec Baldwin, Kristen Stewart, Kate Bosworth, Hunter Parrish, Seth Gilliam
Morbus Alzheimer ist mächtig präsent zurzeit auf den Bildschirmen – entweder in Form mehr oder minder konformer TV-Dramen oder irre publikumsträchtiger Familienopern. Kaum eines dieser Machwerke wird dem wirklichen Ausmaß dieser Krankheit halbwegs gerecht, und doch sorgen sie auf ihre Weise vielleicht dafür, dass eine andere, offenere Art der Auseinandersetzung angestoßen wird, allerdings nur, solange niemand auf den Gedanken kommt, dass Alzheimer bei aller Tragik doch auch einen abenteuerlichen oder gar lustigen Aspekt hat, denn das ist ganz sicher nicht der Fall, egal wie knuddelig und rührend Til Schweigers Millionenseller daherkommen mag.
„Still Alice“ erzählt die Geschichte einer renommierten Linguistikprofessorin, die im Alter von fünfzig mit der Diagnose konfrontiert wird, und diese Diagnose ist besonders schlimm, denn sie hat eine genetisch angelegte Form erwischt, das heißt, dass auch ihre drei Kinder betroffen sein könnten, und tatsächlich wird die ältere Tochter positiv getestet, und das, wo die sich gerade ihren sehnlichsten Wunsch erfüllt und Zwillinge bekommen wird. Alices Neurologe erläutert ihr, dass gerade bei hochgebildeten Patienten der Abbau besonders rapide vor sich gehen kann, und in der Tat erlebt sie einen dramatischen Schwund, besonders was Orientierung und Wortfindung angeht. Natürlich hat sie noch Ressourcen, Hilfsmittel, macht Gedächtnisübungen, schreibt sich täglich die wichtigsten Eckdaten ihres Lebens auf, bemüht sich, Erinnerungen aus der Vergangenheit festzuhalten, hält eine trotzige Rede vor der Alzheimer Society, doch langsam aber sicher geht ihre Persönlichkeit ganz einfach verloren. Ihr Mann verfolgt parallel dazu eigene berufliche Ziele, strebt einen Umzug von NYC nach Minnesota an, die jüngere Tochter versucht sich als Schauspielerin am freien Theater und die ältere Tochter ist vorwiegend schwanger. Am Schluss des Films sind die Zwillinge geboren, die Theaterpremiere war sehr erfolgreich, doch Alice wird nun auch ihre Sprache verlieren, ausgerechnet sie, die so viel über Sprache weiß und geforscht hat.
Ein angemessen stilles Ende eines stillen Films, der kein großes Melodrama bemühen muss und keine falschen Töne, und darin liegt wohl auch sein größter Vorzug. Ich hätte persönlich auf die Rede vor der Alzheimergesellschaft verzichten können – Sätze wie „Ich lebe den Moment“ suggerieren, dass Alice überhaupt noch eine Wahl hat und dass sie den Moment sogar noch genießen kann, wo weder das eine noch das andere entfernt zutreffen. Man versteht aber schon, was damit ausgedrückt werden soll, nämlich das Bemühen, trotz allem noch einen Rest Lebensqualität oder gar -freude zu erhalten, ungefähr das einzige, was bleibt, worauf man als Betroffener noch beschränkt Einfluss hat. Aber ansonsten ist der Blick auf die Situation ziemlich realistisch und ungeschönt. Alice wird immer weiter verschwinden, in sich zusammenfallen, Geist und Sprache sind extrem auf dem Rückzug, der Körper wird folgen, wer Formen von Alzheimer kennt und erlebt hat, kann sich in etwa eine Vorstellung davon machen. Man mag annehmen, dass diese Krankheit noch schwerer wiegt, wenn sie einen jüngeren Menschen erfasst, aber wenn ich an die vielen alten Menschen mit Alzheimer denke, die ich beruflich bedingt kennengelernt habe, würde ich persönlich diese Gewichtung nicht vornehmen – Demenz in diesem Ausmaß und dieser Progression ist immer furchtbar, egal in welcher Lebensphase es einen erwischt. Natürlich könnte man auch denken, dass eine Intellektuelle, eine Professorin besonders hart davon betroffen sein muss, weil die Fallhöhe einfach viel größer ist als bei uns Normalos, und ich hab mich zwischendurch auch gefragt, warum es ausgerechnet wieder eine Geschichte aus der New Yorker Oberschicht sein muss, die könnte man doch eigentlich Woody Allen für seine Komödchen überlassen. Hier liegt vielleicht die einzige größere Konzession ans Publikum, das lieber hinschaut, wenn sich das Elend wenigstens in feiner Kulisse abspielt und nicht irgendwo im sozialen Wohnungsbau. Es ehrt Glatzer (der mittlerweile auch an ALS verstorben ist) und Westmoreland trotzdem, dass sie sich abgesehen davon dem Thema mit Respekt und Seriosität nähern und zu keiner Zeit den Verdacht erwecken, uns noch eine telegene Seifenoper auftischen zu wollen, denn davon haben wir schon weißgott genug. Sie fokussieren ganz auf Alice, verfolgen ihren Weg in die Demenz, entlassen sie in einem Augenblick, wo ihr eine weitere entscheidende Fähigkeit abhandenkommt, eben die Sprache, über die gerade sie sich bislang extrem definiert hat. Der Kampf, solange wie möglich über der Wasseroberfläche zu bleiben, ist so grausam, weil er unweigerlich verloren gehen muss, das wird in dem Film ganz klar. Die ersten Aussetzer, die ersten vagen Symptome werden anhand einiger hübsch prägnanter Szenen beschrieben, der erste Wortverlust, das Verlaufen beim Jogging auf dem so vertrauten Campus, und als dann erstmal die Diagnose gestellt ist, ist der weitere Weg vorgezeichnet. Was die Person Alice betrifft, die von Julianne Moore wirklich herausragend einfühlsam und zurückhaltend porträtiert wird, ist das Drehbuch auch sehr klar und nah, und das ist an sich vollkommen überzeugend – was allerdings die Figuren um sie herum betrifft, habe ich so meine Zweifel, da fehlt mir ein wenig eine konsequente Linie. Während Kristen Stewart als die jüngere Tochter verhältnismäßig viel Raum bekommt, bleiben fast alle übrigen Familienmitglieder unscharf, oberflächlich. Vor allem der Sohn taucht nur als Figur auf, als Charakter ist er so gut wie nicht präsent, Alec Baldwin als Ehegatte hat ebenfalls nicht viel mehr zu tun als betroffen und hilflos dabeizustehen, und die älteste Tochter wird auf die etwas biedere Zicke reduziert, die sich ständig mit der Jüngsten zofft. Sie ist es ja, die die Diagnose ebenfalls kriegt, wird positiv auf Alzheimer getestet, doch bleibt dieser Faden mehr oder minder in der Luft hängen, wird einfach nicht noch einmal aufgenommen. All das finde ich besonders schade, weil Alzheimer eben nie nur das Drama der Betroffenen ist, sondern auch das Drama der Angehörigen, Freunde, Familie, und weshalb gerade dieser Aspekt in dem Film so wenig erforscht wird, verstehe ich nicht so ganz. Oder soll das am Ende die Quintessenz sein – alle sind so sehr mit sich, ihren Plänen, ihren Sehnsüchten und ihrer Situation beschäftigt, dass Alices langsamer Untergang zwar registriert wird, aber so recht niemanden tiefer berührt? Kann ich mir nicht so ganz vorstellen, weil einige Szenen schon was anderes suggerieren, nämlich eine Familie, die durchaus eng zusammen hält.
So ergeben sich für mich trotz sehr sorgfältiger, niveauvoller Gestaltung und sehr guter Schauspieler einige Kritikpunkte, die diesen Film ganz klar davon abhalten, das Meisterwerk zu sein, das er selbst vermutlich darstellen möchte. Er versucht, Fakten und Emotionen zu verknüpfen, ihm gelingen immer wieder eindrucksvolle und eindringliche Momente, gerade auch durch Julianne Moores Präsenz, doch finden sich andererseits zu viele Leerstellen, bleibt die Darstellung zu oberflächlich in Bereichen, die mir wichtig gewesen wären. Wie so oft kommt es halt auf die Erwartungen an… (12.3.)