The Babadook von Jennifer Kent. Australien/Kanada, 2014. Essie Davis, Noah Wiseman, Hayley McElhinney, Barbara West

   Es ist wahr – der beste, der wirkungsvollste, der wirklich angstmachende Horror wurzelt unmittelbar im Alltag, und der Horror, den Mama Amelia und Sohnemann Samuel erleben, der kommt bestimmt von ganz tief unten im Alltag, und so sehen wir anfangs Szenen, wie sie wohl jeder schon mal selbst erlebt oder zumindest anderswo mitangesehen hat: Die von permanenter Schlaflosigkeit zu Tode erschöpfte, völlig überforderte, genervte, entkräftete alleinerziehende Mutter, der verhaltensauffällige Sohn, im Grunde ein lieber Junge, aber eben auch eine Nervensäge, der die Mutter niemals zur Ruhe kommen lässt, auch nachts nicht, denn dann plagt er sie mit lebhaften Angstträumen und Schreckensvisionen und sorgt dafür, dass sie schließlich nur noch wie ein schlafwandelndes Gespenst zwischen Beruf im Altenheim und abendlichem Zuhause hin und her wankt und dem totalen Kollaps jeden Tag ein Stück näher rückt. Alle bedrängen sie: Die Schwester, die Lehrer, das Jugendamt, vor allem natürlich Sam, der seine Mama liebt und sie beschützen will und der nicht begreift, warum sie immer so nervös und gereizt ist. Und eines Abends zur Vorlesestunde holt er dann das große rote Buch vom Babadook aus dem Regal…

   Der wahre Horror, so muss ich noch ergänzen, entsteht nicht nur im Alltag, er entsteht direkt in uns selbst, sehr häufig als Endstufe eines lang laufenden Prozesses, der entweder nicht bemerkt, oder sonst auf jeden Fall unterdrückt wurde, solange, bis er sich schließlich seine Bahn bricht und mit Macht an die Oberfläche drängt. Amelia verlor ihren Ehemann durch einen Autounfall, als er sie zur Entbindung Sams in die Klinik fahren wollte. Sie hat dieses Trauma konsequent weggeschlossen (wofür im Film frappierend plakativ der Keller als Symbol herhalten muss) und versucht mit allen Mitteln, die Erinnerung an ihn aus ihrem Leben zu verbannen. Zugleich aber wird sie von dem gleichsam traumatisierten und hochgradig labilen, neurotisch aggressiven Sam immer wieder daran erinnert, dass etwas grundlegend nicht in Ordnung ist und eigentlich dringend bearbeitet werden müsste. Doch weder holt sie sich selbst Hilfe noch gewährt sie ihrem Sohn eine dringend notwendige Therapie, und so lässt sie ungewollt zu, dass Situationen immer wieder aus dem Ruder laufen, dass sie selbst im Job aneckt oder vor allem Sam Unsinn anstellt, Mitschüler verängstigt oder seine Kusine vom Baum schmeißt, weswegen ihre Schwester endgültig die Geduld mit ihm verliert und mit beiden am liebsten nichts mehr zu tun haben möchte. Erst Amelias völliger Zusammenbruch bringt die Dinge gewaltsam ins Rollen, und dann bekommen sie natürlich eine Dynamik, die sich ihrer Kontrolle voll und ganz entzieht. Der Babadook, ein finster schwarzer Dämon, ist ein Sinnbild all ihrer Ängste, ihrer Schuld, ihrer Trauer, ihrer Sehnsucht. Eine Zeitlang noch wälzt sie ihn auf Sam ab, doch dann zieht sie ihn doch auf sich und ein erbitterter Kampf beginnt, den sie letztlich siegreich als eine Art Exorzismus beenden kann. Allein diese Szene hat mir aufgrund ihrer allzu effektheischenden Gestaltung nicht so gut gefallen, zumal sie sich kaum von vergleichbaren Szenen gängiger Hollywoodgruselstreifen unterscheidet. Ansonsten aber ist Jennifer Kent ein extrem suggestiver und effektvoller Psychohorror gelungen, der die Kunst der Eskalation wieder mal perfekt durchexerziert, angefangen von kleineren Irritationen, Wachträumen oder Sinnestäuschungen, bis hin schließlich zu massiv neurotischen Ausfällen und Wahnbildern, die Mutter und Sohn in akute Lebensgefahr bringen und sie zunehmend von der Außenwelt abschotten,. Sowieso ist dies eher eine Art Kammerspiel, reduziert auf wenige Schauplätze, wenige Situationen und wenige Hauptfiguren, die dafür umso sorgfältiger gestaltet und wirklich eindrucksvoll gespielt werden. Der kleine Sam vollzieht in Sekundenschnelle erstaunliche und fast beängstigende Verwandlungen vom lieben, ganz normalen Jungen bis hin zum schrillen, unberechenbaren, bedrohlichen Monstrum, das seine Mutter unablässig fordert und quält. Essie Davis liefert das ebenso meisterliche wie schrecklich realitätsnahe Porträt einer Frau, die nur noch Mutter sein darf, die kein eigenes Leben hat (nicht mal für den kurzen Vibratoreinsatz zwischendurch langt es noch), und die manchmal in sich selbst merkwürdige und erschreckende Abgründe entdeckt, nämlich blanken Hass auf diesen Quälgeist, der tagtäglich und immer um sie herum ist. Und so geschieht es dann auch, dass der Babadook vorübergehend Besitz von ihr ergreifen kann…

 

   Kent scheut sich wie gesagt nicht, ganz direkte, fast platte Bilder einzusetzen, wenn es darum geht, die innere Befindlichkeit Amelias zu verdeutlichen – siehe Keller und Babadook -, doch gerade diese Unverblümtheit wirkt mutig, kühn und bei allem Effekteinsatz fast ungekünstelt. Etliche der Effekte sind durchaus vorhersehbar, dadurch aber nicht weniger wirksam, und durch die konsequente Subjektivierung der Ereignisse schafft es Kent äußerst geschickt, uns zu verunsichern, im Unklaren darüber zu lassen, was möglicherweise noch tatsächliche Ereignissee sind und was Wahnvorstellungen der überreizten, besessenen Amelia. Zum Schluss gibt’s nochmal ein besonders starkes, nachhaltig wirkendes Bild: Amelia geht runter in den Keller und füttert ihn, den Babadook, bevor sie wieder hoch geht und die Tür fest verriegelt. Er ist noch immer da, er ist auch noch immer bedrohlich, doch sie hat ihn hinter Schloss und Riegel. Und so ist es doch auch: Das Dunkle ist immer da, ob man will oder nicht. Man muss nicht versuchen, es ganz zu beseitigen, man muss es nur unter Kontrolle haben. Die abschließenden Impressionen einer vermeintlich neu gewonnenen Harmonie zwischen Amelia, Sam und ihrer Umwelt erhalten damit einen ganz anderen Unterton, nur überlässt es Kent uns, ihn wirken zu lassen, sie selbst braucht keinen Knalleffekt dafür. Ein wirklich eindrucksvoll inszeniertes und gespieltes Psychodrama, das glücklicherweise und für mich etwas unerwartet den Weg in unsere kleine Stadt gefunden hat. Das ist schön. Nicht so schön ist, dass ich nicht allein im Kino war, sondern mir den Film neunzig Minuten lang von popcornfressenden, raschelnden und kichernden Scheißteenies versauen lassen musste. Die obendrein noch gelangweilt waren, weil nicht genug Blut und Gedärm durch die Gegend flog. Und darum gelobe ich hier und an dieser Stelle feierlich: Nie, wirklich nie wieder wird über meine Lippen ein arges Wort gegen die Frascatifraktion aus dem Lichtwerk kommen. Ich werde ihnen täglich huldigen, ich werde sie segnen, den Boden zu ihren Füßen küssen und ich werde nie wieder die Nase rümpfen, wenn ihnen ein Weinglas umfällt und durchs ganze Kino bis nach vorn kullert… (12.5.)