The Homesman von Tommy Lee Jones. USA/Frankreich, 2014. Tommy Lee Jones, Hilary Swank, Grace Gummer, Miranda Otto, Sonja Richter, Meryl Streep, Hailee Steinfeld, John Lithgow, David Dencik, William Fichtner, James Spader

   Zu allererst mal ein Prost aufs neue Jahr, und möge es mir viele neue schöne Fluchtwege aus dem Bielefelder Einerlei eröffnen! Den Anfang macht (nicht zum ersten Mal, glaube ich) der Mister Jones, und er macht es gut, wie ich finde, wenn auch mit einer Einschränkung. Die hat wohl mit der Erwartung zutun, die die Story weckt und der er neunzig Minuten lang brav folgt, um dann kurz vor Schluss überraschend abzubiegen und den Schwerpunkt zu verändern. Einige Kritiken haben ihm das übel genommen, mich hat’s nach anfänglicher Irritation dann nicht mehr gestört, ich finde, man kann einer Ballade wie dieser ruhig erlauben, dahinzufließen und dabei ihren eigenen Weg zu finden, ohne unbedingt bis zuletzt darauf Rücksicht nehmen zu müssen, dass dies auch bitte bis zuletzt ein Frauendrama aus der US-Pionierzeit zu bleiben hat.

   Aber der Reihe nach. Beginnen tut der Film ganz klar als Frauenfilm, so ein bisschen erinnert‘s an Kelly Reichardts „Meek’s Cutoff“, doch ganz so spröd und sperrig kommt „The Homesman“ nicht daher. Vom feierlichen Loblied auf die ruhmreichen Siedlertage kann aber dennoch nicht die Rede sein, denn das Land um Loup City, Nebraska ist hart, rau und abweisend, jedes einzelne Stückchen muss ihm unter bitteren Opfern abgerungen werden, und die Menschen, die es besiegen und bewohnen, reflektieren genau das. Bigotterie, Gewalt, Wahnsinn tummeln sich in schäbigen Holz- oder Erdbauten, Kinder sterben, Frauen werden missbraucht, in der Kirche werden dazu die passenden Phrasen verkündet, und von woher auch immer sie mit großen Hoffnungen kamen, die allerwenigsten finden wirklich ihr Glück. Viele gehen an dem kräftezehrenden und oft vergeblichen Kampf zugrunde, die meisten körperlich, einige aber auch seelisch, und drei von ihnen, drei Frauen, sollen auf Geheiß des lokalen Pfarrers, über den Missouri nach Iowa gebracht und dort in „gesunderen“ Verhältnissen möglichst wieder hergestellt werden. Eine mehrwöchige, strapaziöse und vor allem gefahrvolle Reise wäre dies, und da die Männer des Ortes nicht viel mehr zustande bringen, als ihre Frauen zu missbrauchen, fällt das Los auf Miss Mary Bee Cuddy, eine ziemlich eigenwillige, gottesfürchtige und tatkräftige Dame, die hier draußen als Farmerin ganz allein ihren Mann steht und dies allemal erfolgreicher und besser als die Jungs zusammen. Mary Bee versichert sich der Mithilfe des struppigen Outlaws George Briggs, den sie vom Galgen schneidet und verpflichtet, sie bis nach Hebron, Iowa zu begleiten. Er macht ihr klar, dass feindselige Siedler und nicht minder unfreundliche Indianer auf Weg warten, und so geschieht’s auch, und wenn die kleine Gruppe mal nicht bedroht oder vom Wetter durchgerüttelt wird, sorgt das erratische Verhalten der drei verrückt gewordenen Damen für Aufregung. Mary Bee gelingt es noch, ihre Jungfräulichkeit zu verlieren und damit ihren „Stolz“ als Frau zu retten, indem sie Briggs zum Beischlaf überredet, am nächsten Morgen jedoch hängt sie tot im Wald. Briggs gedenkt zunächst, die drei Frauen zurückzulassen und seiner Wege zu ziehen, doch er führt die Mission dann doch zuende, bringt die Schützlinge sicher ans Ziel und setzt nach einigen durchzechten Tagen wieder über den Missouri in Richtung Westen.

   Ein sehr hübsches Schlussbild für eine Story, die gegen Ende eben ein wenig vom ursprünglichen Ziel abkommt, die Frauen des Westens aus dem Blick verliert und den alten Abenteurer in den Blick nimmt, nur ist dies eine Figur, wie man sie im Gegensatz zu den Frauen des Westens schon allzu oft gesehen hat, den knorrigen Mann mit viel Vergangenheit, wurzellos, ruhelos, ganz auf sich allein gestellt und sehr darauf bedacht, dass sich genau daran nie etwas ändern wird. Dennoch einer, der tief drin Herz hat, und dieses Herz wird von der wackeren, aufrechten, imponierenden Mary Bee mobilisiert, die auch noch unter widrigsten Umständen darauf besteht, den letzten Rest von Würde und Menschlichkeit walten zu lassen, selbst wenn all äußeren Umstände sehr dagegen sprechen. Diese von Hilary Swank auch sehr imposant dargestellte Person ist im Vergleich zu Mister Jones einfach die interessantere, ungewöhnlichere, die zudem den Ton der ersten neunzig Minuten prägt, und es bedarf schon einiger Anstrengung unsererseits, sich ein halbwegs plausibles Motiv für ihren Selbstmord zurecht zu stricken, denn normalerweise hätte gerade jemand wie sie drei hilflose verrückte Frauen niemals schutzlos zurückgelassen, sondern alles dafür getan, sie wohlbehalten ans Ziel der Reise zu bringen. Natürlich weist Briggs ihren Heiratsantrag zurück und natürlich ist der von ihr forcierte Beischlaf ein Akt der Verzweiflung, mit dem sie sich wenigstens ihrer Identität als Frau vergewissern will, zudem Briggs nicht der erste Mann ist, der sie mehr oder weniger unverblümt als vertrocknete alte Jungfer bezeichnet, doch angesichts ihrer ansonsten so markanten Charakterstärke und Entschlossenheit kommt mir dies als Motiv recht schwach vor – wenn überhaupt, hätte sie sicherlich erst ihre Mission beendet, danach vielleicht ihr Leben. Ich fand es nicht ganz leicht, über diesen Durchhänger hinwegzukommen, zumal der Film im Ganzen seine Richtung verliert, ein bisschen herumstromert, Meryl Streep einen blassen, Hailee Steinfeld einen suggestiven aber irgendwie nicht recht ausentwickelten Auftritt beschert, um sich dann mit dem grölenden und herumhopsenden Briggs wieder über den Fluss gen Westen in die Freiheit zu verabschieden.

 

   Reizvoll an diesen Filmen ist immer, wie sie aus heutiger Sicht mit Mythen und Motiven des klassischen Western umgehen, und hier sind Mister Jones viele hübsche Details gelungen. Er setzt auf Atmosphäre, auf das Zwischenmenschliche, setzt den Menschen direkt rein in die schroffe Natur, porträtiert einmal mehr ein Land, das man sich zwar nehmen kann, das aber seinen Tribut einfordert, thematisiert den Kontrast vom Osten, der langsam aber sicher zivilisiert wird und vom Westen, in dem noch immer das Recht des Stärkeren herrscht (auch im Umgang mit den Indianern) und der noch immer das Zuhause für den „echten Mann“ ist – und jeder echte Mann ist zugleich ein gebrochener Mann. Oh je. Jedenfalls ist „The Homesman“ toll fotografiert und exzellent besetzt, kein Versuch, das Genre für das MTV-Zeitalter aufzubereiten, kein Blutbad für die Adrenalinjunkies und auch kein Zitatenkino für „Kenner“, so wie der Tarantino das so gern macht. Respektvoll, kenntnis- und anspielungsreichreich und dennoch anders, modern, ein wenig sperrig. Not bad, Mister Jones. (1.1.)