Tod den Hippies!! Es lebe der Punk von Oskar Roehler. BRD, 2014. Tom Schilling, Wilson Gonzales Ochsenknecht, Emilia Schüle, Frederick Lau, Hannelore Hoger, Samuel Finzi, Alexander Scheer, Mark Hosemann

   Die BRD in den frühen 80ern: Die Hippies haben endgültig die Macht übernommen, überall hocken sie herum, breiten sich auf den Fußböden aus, labern und meditieren, die Sanyassins halten den öffentlichen Raum besetzt, und im Privaten herrscht blanker Terror in Strick und vegetarisch. Nichts für Robert, der will raus aus der Provinz, träumt von Berlin, wo alles anders ist und frei. Sein Kumpel Gries ist schwuler Nazi, ziemlich hart drauf und hilft ihm, ein bisschen Radikalität zu entwickeln und schließlich den Sprung zu tun. Drüben in Westberlin dockt er an einen anderen Kumpel an, Schwarz, der im Puffkino arbeitet und auch sonst ganz gute connections zur Clubszene hat. Robert schlägt sich als „Fensterputzer“ durch und hängt mit Schwarz abends im Club von Blixa Bargeld und Nick Cave ab. Er träumt von besseren Jobs, verliebt sich in die junge Stripperin Sanja und hat mehrere Begegnungen mit seinen Eltern, die ihn ein wenig aus der Bahn werfen. Sie klauen vom Papa altes RAF-Geld, versuchen einen Drogendeal einzufädeln, was aber schief geht und ungefähr das Ende der unschuldigen Berliner Zeit bedeutet. Robert landet schließlich in Ägypten, wo er wie durch ein Wunder Schwarz wiedertrifft, immer auf dem Weg zu neuen Abenteuern.

 

   Schon stark, was Roehler da in seine nicht mal einhundert Filmminuten reingepackt hat und was uns ordentlich durchschüttelt, auch emotional gesehen. Anfänglich wähnt man sich noch in einem launigen, liebevoll nostalgischen Zeitreisefilm mit saftig überzeichneten Typen, vor allem aber viel Spaß. Die Hippies summen „om“, die stockbiedere, bebrillte, strickende, diskutierende Freundin ist jedem von uns damals garantiert über den Weg gelaufen, ebenso wie der opportunistisch jugendlich auftretende Lehrer, der von den Mädels kräftig angehimmelt wird und immer ein trendiges Zitat auf den Lippen hat. Ich bin eben zu dieser Zeit auch in der Provinz zur Schule gegangen, und genau so war’s, halt nicht ganz so zugespitzt wie im Film. Der Kulturschock Berlin nimmt teilweise dann ziemlich irrwitzige Züge an, die karge Szene zwischen Punk und Avantgarde wird kräftig auf die Schippe genommen, das somnambule Treiben zwischen Tag und Nacht, Suff und Speed, Poesie und Industrialkrach, Kotze und Blut und Bier mit breitem Strich aufgetragen. Dazwischen ein wunderbar absurder Gang zum Sozialamt – Robert kommt aus dem Staunen nicht mehr raus, als ihm vom einfältigen Beamten stolz aufgezählt wird, welche Zuschüsse man dafür kriegt, dass man bloß in Berlin wohnt – ein typisch deutscher Bürokratenstreich, ein absurdes kleines Kapitelchen einer größeren absurden Geschichte. Roehler hat nicht vor, hier in irgendeiner Weise ein repräsentatives, ausgewogenes oder gar objektives Zeitbild zu kreieren, ganz im Gegenteil: Er polemisiert, polarisiert, provoziert, es wird gesoffen, gesnifft, gekotzt, gewichst, geflucht und gegrölt, dass die Schwarte kracht, alle erdenklichen Körpersäfte sprudeln durch die Gegend, schwarz gewandete Zombies bevölkern die kalt gekachelten Szenebars, Blixa Bargeld und die seinen sondern bedeutsame Einzeiler ab und greifen ab und zu mal zu ihren „Instrumenten“. Mit Bargeld und Cave geht Roehler vergleichsweise freundlich um, widmet ihnen eine ironische, im Kern aber doch liebevolle Hommage, zeigt sie als total abgedrehte, überernste, aber auch harmlose Künstler, die eigentlich niemand versteht, obwohl alle so tun als ob. Andere werden deutlich weniger freundlich abgehandelt, Rainer Werner Fassbinder beispielsweise, in dessen Zirkel sich Gries vorgearbeitet hat in der Hoffnung auf eine Zukunft beim Film. Fassbinder jedoch erscheint als Ikone – fern, unantastbar und auch ziemlich blasiert, umgeben und abgeschirmt von einer ruppigen Entourage, die letztlich entscheidet, wer zum Meister durch gelassen wird, und das ist in erster Linie davon abhängig, wer dem Meister nützlich ist, ihm zum Beispiel Stoff besorgen kann. Eine ziemlich pampige, prägnante kurze Szene, nicht gerade für diejenigen geeignet, die RWF für den Größten überhaupt halten (hab ich zum Glück noch nie getan…). Am übelsten aber kommen eindeutig Roberts Eltern weg, und hier werden die autobiografischen Bezüge Roehlers wohl am deutlichsten. Sie heißen Gisela und Klaus, wie auch Roehlers Eltern, Hannelore Hoger und Samuel Finzi sind ihnen zumindest oberflächlich gesehen recht ähnlich (auch wenn Hoger natürlich viel zu alt ist, bewusst, wie ich annehme), beide sind Schriftsteller, wohnen in München bzw. Darmstadt, also gibt’s ne Menge parallelen, die sich unmöglich übersehen oder als Zufall interpretieren lassen. Roehler hat sich ja schon ausführlich an den beiden abgearbeitet, hat der Mutter einen ganzen Film allein gewidmet, hat beide in „Quellen des Lebens“ in die Nachkriegszeit begleitet, aber das hier ist von ganz anderer Qualität, das ist böse, teilweise fast hasserfüllt und riecht stark nach einer bitteren persönlichen Abrechnung, die sich so in den früheren Filmen nicht unbedingt ankündigte. Mutter Gisela ist eine gemeine alte Frau, egozentrisch, entrückt, besessen von der Idee, ihrem Bruder den Schwanz wegzuschießen, und dem Sohn in offener Abneigung verbunden, was so weit geht, dass sie in einer Talkshow vor aller Öffentlichkeit erklärt, sie habe Robert eigentlich gar nicht haben wollen und bereue nun, ihn nicht abgetrieben zuhaben. Vater Klaus behandelt den Sohn ähnlich herablassend und ablehnend, schließt sich der Aussage seiner längst entfremdeten Frau in Bezug auf das ungewollte Kind an und lebt ansonsten ganz in Gedenken an die Gudrun, deren Tod er einfach negiert und die er schwärmerisch auf ein Podest gestellt hat. Zwei Künstler, die der Welt mindestens ebenso entrückt sind wie beispielsweise Meister Bargeld, doch sind diese beiden Karikaturen keineswegs durch ironische Zuneigung gekennzeichnet, und ich persönlich muss gestehen, dass ich schon etwas verstört war, denn ich habe Roehlers Ton in diesen Szenen als äußerst scharf und aggressiv empfunden, fast wie ein privater Exorzismus, darauf abgezielt, sich endlich von diesem Joch, dieser Prägung zu befreien. Zusammen mit all den vielen anderen Momenten fügt sich dieses Doppelporträt in ein irritierend schillerndes, manchmal groteskes, manchmal vielleicht überfrachtetes Puzzle, das sich auf keinen Nenner festlegen lassen will, das mal unterhält, mal vor den Kopf stößt. Vor Roberts Horrorszenario im Pflegeheim muss man schon hart gesotten oder am besten Altenpfleger sein, erst dann kann man nachempfinden, was manche Erfahrungen mit Ekelgrenzen und Angstphantasien anrichten können. Der Film schreckt vor nichts zurück, auch vor keiner bewussten Geschmacklosigkeit, und das an sich gefällt mir. Er ist uneinheitlich, sprunghaft, mal gnadenlos albern, dann ganz plötzlich traurig, lässt viele Fäden lose hängen, geht schließlich einfach so in der Wüste zu Ende, nicht ohne noch auf die nächste zu erwartende Katastrophe (Stichwort Ökologie) hinzuweisen, die mit allem, was davor war, natürlich gar nichts zu tun hat, aber immerhin den Ausblick auf spätere Jahrzehnte bietet. Roehler hat sich ganz offensichtlich das eine oder andere von der Seele geschrieben, hat eine Menge Druck abgelassen, das spürt man sehr deutlich, und mit Sicherheit ist vieles hier im Grunde tiefster Ernst, manches aber auch einfach so aus Jux und Dollerei entstanden. Die starke Besetzung macht gern mit, die einen hauen in Miniauftritten genüsslich auf die Kacke, Tom Schilling perfektioniert sein Image als liebenswerter aber auch hoffnungslos verpeilter Tagträumer, Frederick Lau stellt seine Vorliebe für schräge, extreme Typen eindrucksvoll unter Beweis, nur auf den hässlichen Ochsenknechtvogel hätte ich recht gern verzichtet. Absolut kein Film aus dem gewohnten Kommerzkanon, extravagant und sperrig wie die früheren Roehler-Filme auch, und allein deshalb sehenswert – und auch aus anderen Gründen… (1.4.)