Whiplash von Damien Chazelle. USA, 2014. Miles Teller, J.K. Simmons, Paul Reiser, Melissa Benoist
Wie war das noch gleich – Kunst ist zehn Prozent Inspiration und neunzig Prozent Transpiration. Jau, Mann! Oder wie ein anderer kluger Kopf einst verkündete: Jazz is not dead, it just smells funny. Dieser tolle Film verhält sich sehr konträr zu diesen beiden Ausgangspunkten. Den ersten bestätigt er voll und ganz, lässt das Pendel eher noch deutlich in Richtung Transpiration ausschlagen. Den zweiten widerlegt er nicht minder eindrucksvoll: No Frankie, Jazz doesn’t smell funny, it still sounds pretty great! „Whiplash“ ist ein Jazzfilm, ein New-York-Film, und das allein ist ja schon eine feine Sache, aber „Whiplash“ ist auch ein höchst eindrucksvolles Psychodrama von selten gesehener Intensität und Dynamik (ich rede dabei vom US-Kino wohlgemerkt…).
Eine Geschichte über Erfolg, aber keine Erfolgsgeschichte. Eher eine Geschichte über den Weg dorthin und den Preis dafür. Denn den bezahlt der junge Jazzdrummer Andrew voll. Er studiert am renommierten Shaffer-Konservatorium und schafft es bis in die Big Band des gefürchteten und geachteten Terence Fletcher. Dessen ganzer Ehrgeiz liegt darin, den einen zu finden, den er über seine Grenzen hinaus pushen kann, den er zu einem ganz Großen machen kann. Seine Methoden: Gnadenloser Psychoterror, Einschüchterung, Erniedrigung, Beleidigung, Hass und Konkurrenz schüren, Drill, Drill. Drill. Ein zynischer Kasernentyp, arrogant, egozentrisch, rücksichtslos, und doch nehmen die jungen Männer jedwede Demütigung in Kauf, um bei ihm spielen zu dürfen, denn das könnte das Sprungbrett für die Karriere sein Andrew ist eher ein Einzelgänger, ein netter, schüchterner Typ, der sich richtig überwinden muss, um das nette Mädchen im Kino endlich anzusprechen, der aber unter Fletchers Diktat einen verbissenen, fast selbstzerstörerischen Ehrgeiz entwickelt. Buddy Rich hängt in seinem Zimmer, das Vorbild, der Ansporn, das Ziel. Er spielt sich die Hände blutig, knüppelt wie verrückt, um Fletcher zufrieden zu stellen und wird von diesem noch mehr unter Druck gesetzt, in dem er einen neuen Konkurrenten vor die Nase gesetzt bekommt. Das Mädchen wird kurzerhand abserviert, die Karriere ist allemal wichtiger, jeglicher Stolz, jegliche Selbstachtung werden über Bord geworfen, in fast fanatischen Exerzitien pusht er sich immer weiter, bis er schließlich zusammenbricht, weil er sogar nach überstandenem Autounfall noch auf die Bühne will. Sein konsternierter Vater bringt ihn dazu, gegen Fletcher auszusagen, der sowieso schon wegen seiner Methoden in Verruf geraten war, und tatsächlich kann Fletchers Entlassung erreicht werden, doch Andrew verliert auch seinen Studienplatz, ist scheinbar an den eigenen Ambitionen gescheitert. Das Schicksal will es, dass die beiden sich Monate später wieder treffen, und Fletcher gelingt es erneut, Andrew zu locken, zu packen, in seiner neu formierten Band aufzutreten, und wieder nutzt Fletcher den Auftritt dazu, Andrew vor aller Welt bloßzustellen, doch der zeigt, dass er gelernt hat, er fightet zurück, übernimmt plötzlich die Regie auf der Bühne und kann Fletcher offenbar davon überzeugen, dass sich der ganze Einsatz gelohnt hat.
Wie gesagt, dies ist dennoch kein Happy End, keine dieser pathetischen success stories, für die Hollywood so berüchtigt ist, der Schluss ist wie schon die gesamte Geschichte und ihre Protagonisten zuvor höchst ambivalent. Andrew und Fletcher feuern sich zuletzt gegenseitig an, da haben sich zwei vom gleichen Geist gefunden, doch wird darüber niemand ernsthaft froh sein, denn zu deutlich erkennen wir, auf wessen Kosten dieser mögliche „Sieg“ gegangen ist. Andrew ist Produkt einer Gesellschaft, die sich nur über Erfolg und Prestige definiert, und das hat augenscheinlich bereits im eigenen Elternhaus angefangen, wo er sich ständig mit den neuen Protzmeldungen der Cousins zu messen hat, und als Jazzmusiker sieht man zwangsläufig blass aus gegen tolle Baseballknaben und dergleichen. Fletcher pflanzt ihm dann die Lektion regelrecht ein und zwar mit allen denkbaren Mitteln, physische und psychische Gewalt inklusive. Er steht für ein Kunstverständnis, mit dem ich am liebsten nichts zu tun haben möchte – Kunst als Produkt harter Arbeit, eiserner Disziplin, totaler Unterwerfung. Er fördert die Talente nicht um der Musik oder gar der Jungs wegen, er tut’s allein für sich, möchte unbedingt derjenige sein, der den neuen Charlie Parker hervorbringt, vielleicht weil seine Möglichkeiten als Jazzpianist nicht gerade überdurchschnittlich sind, vielleicht auch nur, weil er gern Macht hat und ausübt. Er durchschaut seine Schüler sofort, pickt ihre Schwächen zielsicher raus, um sie dann vor versammelter Mannschaft in seinen bissigen Beleidigungstiraden genüsslich auszubreiten, und es ist deutlich zu sehen, wie sehr er sich an seiner Macht und seiner dominanten Rhetorik ergötzt. Seine Autorität ist allein auf Angst und Einschüchterung gegründet, und dennoch hat er diese Autorität, weil die menschlichen Reflexe einfach so funktionieren und er die Ausstrahlung hat, die alle Jungs dazu bringt, vor ihm den Blick zu senken wie junge Hunde vor dem Alphatier. Diese Szenen sind geradezu unheimlich gut geschrieben und inszeniert, transportieren das beklemmende, fast angsteinflößende Gefühl perfekt bis ins Publikum, und jeder, der auch schon mal vor allen Leuten runtergemacht wurde, wird das genau nachfühlen können. Und indem Andrew die nette Nicole leichtfertig wegschickt, verspielt er seine einzige Chance, diesem destruktiven System auf Dauer entkommen zu können – und das scheint ihm eigentlich auch klar zu sein, denn schließlich unternimmt er nochmal einen Anlauf, als es bereits zu spät und sie neu liiert ist.
Die Konfrontationen zwischen Fletcher und Andrew sind grandios gespielt, beide Schauspieler geben alles, vor allem Simmons entwickelt eine derart beunruhigende, bedrohliche Intensität, dass ich mich kaum losreißen konnte und den Typen trotz seines widerwärtigen Charakters irgendwo auch faszinierend findet. Hier wird Musik gearbeitet, hier wird geschwitzt, geackert, geblutet, gewütet, hier ist keine Rede von Genie, von Eleganz oder gar Genuss, dies ist ein verbissener Zweikampf, den Fletcher anbietet und den Andrew annimmt, völlig im unklaren darüber, worauf er sich einlässt, während Fletcher das ganz genau weiß, und sein triumphierendes Lächeln am Schluss deutet darauf hin, dass er Andrews trotziges, verzweifeltes Aufbegehren auch als Resultat und Sieg seiner „Erziehung“ wertet. Womit er wahrscheinlich auch ganz richtig liegt, denn man hat immer das Gefühl, dass Andrew zu gleichen Teilen für sich selbst und auch für Fletcher ackert, dessen Anerkennung um jeden Preis erringen will.
So ist ein ungewöhnlich dichtes, hoch emotionales, packendes Duell entstanden, sehr konzentriert inszeniert, brillant gespielt, und natürlich eine fabelhafte, wenn auch extrem zwiespältige Hommage an den Jazz, die geilste und dynamischste Musik, die ich kenne. Chazelle findet tolle Bilder dafür, furiose Montagen, hat sich einen mitreißenden Soundtrack schreiben lassen, und so gewinnt die Musik ein Eigenleben, das der Spannung und Dramatik der Story absolut ebenbürtig ist – zugleich euphorisch und abgründig, virtuos und bedrohlich. Sehr starkes, beeindruckendes, in dieser Form wirklich selten zu sehendes US-Kino. (24.2.)