Wir sind jung. Wir sind stark. von Burhan Qurbani. BRD, 2014. Jonas Nay, Joel Basman, Trang Le Hong, Devid Striesow, Saskia Rosendahl, Paul Gäbler, David Schütter, Gro Swantje Grohlhof, Mai Duong Kieu, Aaron Le, Axel Papa, Torsten Merten
Der Titel ist perfekt, gibt haargenau ein Lebensgefühl wider, das uns in vielen Situationen Tag für Tag begegnet, nicht mal unbedingt im Kontext mit Fremdenfeindlichkeit. Man nehme jeden x-beliebigen Samstagabend, vor allem im Sommer, man versuche, sich spätnachts in jeder x-beliebigen Innenstadt unbehelligt zu bewegen, man denke an die unzähligen Beispiele für Vandalismus, für blanke Zerstörungslust, die mir persönlich immer Rätsel aufgegeben haben – woher kommt’s? Aber klar – wir sind jung, wir sind stark, wir können’s, also tun wir’s.
Qurbanis Film bezieht sich zwar sehr konkret auf die gewalttätigen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im Sommer 1992, als sich der Mob mal so richtig austobte, sich das Heimatland zurückholen wollte vom Zigeuner- und Schlitzaugenpack, als die öffentlichen Behörden komplett und wie es scheint vorsätzlich versagten, zögerlich bis überhaupt nicht eingriffen, aus wahltaktischen Manövern Zurückhaltung und Vorsicht übten und streckenweise ihre Einheiten vollständig abzogen, was in diesem Falle bedeutete, hilflose Familien dem tobenden Pöbel mitsamt Schlagstöcken und Brandsätzen auszuliefern und mögliche „Kollateralschäden“ billigend in Kauf zu nehmen. Grausame Szenen aus einem Land, das so etwas nie im Leben jemals wieder hätte zulassen dürfen, dennoch die fast logische Folge einer langen Ursachenkette, die weit zurückreicht in eine Vergangenheit, die man nach gut deutschem Brauchtum einfach nie aufgearbeitet hat – und ich meine jetzt nicht die Nazizeit. Das Versprechen blühender Landschaften (welcher Scheißidiot hat diesen Unwort nochmal geprägt?) traf auf eine täglich trister und aussichtsloser werdende Realität – wer ist schuld daran, wer lebt hier im Land wie die Made im Speck, während die eigenen Leute arbeitslos in Sozialbaughettos vegetieren? Ist alles längst klar, ist so häufig auch in anderen Ländern so gelaufen, ist hundertmal erforscht und beschrieben worden, und ist dennoch wieder passiert – und wird anderswo, oder auch hier, wieder passieren. Die Gesetze der Eskalation scheinen unumstößlich, der Strudel der Gewalt zu verlockend.
Qurbani zeigt kaum ausgesprochene Nazis, nur einen stark radikalisierten Typen aus der Clique, ansonsten Jungs, die sich zwar einschlägige Embleme und Devotionalien ins Zimmer hängen, die man aber kaum als wirklich und bewusst rechtsradikal im politischen Sinne bezeichnen würde. Das ist für mich der stärkste, überzeugendste Punkt in diesem Film, er zeigt, dass Gewalt und Eskalation unter bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen als recht alltäglichen Zusammenhängen entstehen können. Das Umfeld im Plattenghetto Lichtenhagen, die erdrückende, dumpfe Leere, das sicherlich zum Teil berechtigte Gefühl; vom Sog des Erfolgs und der Wiedervereinigung links liegen gelassen worden zu sein, lang schon schwelende Konflikte mit Ausländern, die von der DDR-Diktatur lediglich unter den Teppich gekehrt und negiert worden waren. Stefan und Robbie gehören dieser Clique an, ein paar Mädels auch, das macht die Sache spannend, vor allem für Stefan, auf den die furchterregend coole Jennie ein Auge geworfen hat. Man sammelt Kräfte, putscht sich mit Parolen und Schnaps auf, rüstet zum finalen Kampf gegen die Asylantenheime, die mitten in Lichtenhagen einen Plattenbaukomplex einnehmen, rüstet auch zum Kampf gegen die Weißhelme, die sich momentan noch davor postiert haben. Stefans Vater ist Lokalpolitiker, der den ganzen erbärmlichen Eiertanz der Politik mitmacht, zum Teil gegen seine Überzeugung und sein Gefühl, der aber auch nicht den Mumm hat, gegen die Parteilinie energisch das Wort zu ergreifen und für eine vollständige rasche Evakuierung der Heime zu stimmen, denn nur dies hätte eine wirksame Deeskalation erwirkt. So wird alles wieder nur halb getan – die Zigeuner werden rausgebracht, doch die Vietnamesen bleiben und müssen mitansehen, wie sich direkt vor ihrem Haus unten auf dem Rasen der Mob formiert, in Stellung bringt, müssen also Angst um ihr Leben haben. Stefans Clique ist mal dabei, mal dreht sie eine Runde durch die Gegend, fährt ans Meer, hängt bei den einzelnen Leuten ab, man weiß selbst nicht so genau, was man mit sich und der Zeit anfangen soll, man wartet eigentlich darauf, dass es losgeht, dass die Stimmung endlich so weit angeheizt ist. Stefan und Jennie kommen sich näher, und eine Zeitlang scheint er zu schwanken zwischen ihr und dem Gruppenzwang, der verlockenden Aussicht, mal so richtig auf die Kacke hauen zu dürfen. Letztlich lässt er sich mitreißen, wird sogar einer der Aktivsten, dringt zusammen mit den Kumpels in das Sonnenblumenhaus ein, bedrängt und bedroht die Flüchtlinge, wirft Brandsätze, zerstört Wohnungen. Das Volk drum herum glotzt und säuft und jubelt, die Vietnamesen flüchten in Panik nach oben auf die Dächer, die Polizei, die ganz plötzlich und unerklärlich abgerückt war, kommt zurück und verhindert möglicherweise eine Katastrophe - und nebenan auf anderen Dächern haben sich die Herrschaften von der Presse postiert, immer auf den besten Plätze in der ersten Reihe, um alles ganz genau für die Mitbürger zu dokumentieren.
Wenn ich sage, die Polizei hat eine Katastrophe verhindert, meine ich das eigentlich nicht so, denn die Katastrophe hat sehr wohl stattgefunden, daran besteht wohl kein Zweifel. Wenn man dem Film etwas vorwerfen könnte, dann, dass er die politischen Winkelzüge und Hintergründe vielleicht nicht deutlich genug herausgestellt hat, aber zugegeben hätte das wohl auch den Rahmen dieser Erzählung überschritten. Immerhin gibt es eine Szene, in denen Stefans Vater auf den lokalen Parteichef trifft, der ganz klar die Marschroute vorgibt, und das bedeutet, dass der Schutz der bedrohten Gastarbeiter und Asylanten gegen geplante Gesetzesänderungen und innerparteiliche Grabenkämpfe aufgewogen wird, und man ahnt gleich, wer hier verliert. Die vielfach geäußerte Behauptung, die Ausschreitungen seien sogar in Kauf genommen worden, um für ein härteres Asylrecht argumentieren zu können, wird in dem Film deutlich unterstrichen und auch durch die Haltung, bzw. die nicht-Haltung der Behörden gestützt. Der Moment, in dem sich die Polizei plötzlich zurückzieht und die Vietnamesen dem gewaltbereiten Mob vollkommen ausgeliefert sind, erzeugt auf jeden Fall das Gefühl eiskalten, tiefsten Schreckens, ebenso wie die Bilder des applaudierenden Leute aus dem Viertel, die Naziparolen, die immer wieder erklingen, das sensationsgeile Pressepack auf dem Dach nebenan. Eine Demokratie stellt sich selbst die Bankrotterklärung aus und alle schauen zu. Es ist leicht, den 70sten Jahrestag der Befreiung von Auschwitz in aller Betroffenheit zu begehen, weniger leicht scheint es, hier und jetzt entschlossen daran zu arbeiten, solche und ähnliche Strukturen ein für allemal abzuschaffen, ihnen keinen Raum mehr zu geben.
Aussage und Absicht dieses Films sind ganz klar, und es ist wirklich gut, dass es ihn gibt, wobei man weiß, dass er sich ebenso gut irgendein anderes Ereignis hätte vornehmen können, Beispiele gibt’s leider mehr als genug. Noch wichtiger aber ist, wie er die Mechanismen der Radikalisierung, der Aggression zurückführt in ein Milieu, das eben kein gesellschaftliches Randmilieu ist, dabei ebenso empfänglich für Hass und Gewalt wie die vergleichsweise wenigen wirklich radikal überzeugten Nazis. Mit denen könnte man fertig werden (wenn man denn wirklich wollte hierzulande…), weniger schon mit der Unterstützung und Zustimmung, die sich bei entsprechender Disposition aus breiteren Teilen der Bevölkerung erfahren. Und Hass auf Ausländer ist ja nun wirklich der fruchtbarste Nährboden dafür, denn den gibt’s immer und überall.
In schroffem Schwarzweiß gefilmt, überzeugt der Film durch die authentischen Milieuschilderungen, die sehr starken Darsteller und die intensive Spannung, gerade auch die erzählerische Dichte, die stilistisch noch nicht mal besonders forciert werden muss, denn die Dramaturgie sorgt schon dafür, alles wird auf einen einzigen Tag zugespitzt, eingedampft, und obgleich der eine oder andere Charakter vielleicht ein bisschen schematisch gezeichnet ist, finde ich das Konzept stark und glaubhaft. Explizite, politische Filme sind leider allgemein ziemlich selten, auch in der BRD natürlich, keine Frage, dass wir viel mehr davon gebrauchen könnten, keine Frage aber auch, dass sie sowieso nicht diejenigen erreichen, die es in erster Linie betrifft. (27.1.)