24 Wochen Anne Zohra Berrached. BRD, 2016. Julia Jentsch, Bjarne Mädel, Johanna Gastdorf, Emilia Pieske, Maria Dragus

   Zwei Bauchreaktionen direkt nach dem Film. Die erste: Gottseidank mussten wir niemals solch eine Entscheidung treffen, unsere Kinder waren/sind gesund, und obwohl wir im Alltag eigentlich darüber nachdenken, ist es zwischendurch doch mal wert, sich dessen bewusst zu sein. Die zweite: Was für ein großartiger Film, der es tatsächlich schafft, ein solch schweres Thema so zu behandeln, dass einerseits keine Seifenoper à la ARD-Degeto dabei herausgekommen ist und andererseits auch kein bleiernes Problemstück, das uns nur in den Abgrund zieht und uns keinen Raum zum Mitdenken und Mitfühlen lässt. Das ist weder leicht noch selbstverständlich, sondern große Kunst.

   Astrid ist erfolgreiche Comedienne irgendwo im „Ladies‘ Night“-Milieu und Markus ist ihr Manager und Lebenspartner. Sie haben bereits ein Kind, erwarten nun das zweite. Die Pränataldiagnostik ergibt, dass das Kind, ein Junge, mit Down-Syndrom zur Welt kommen wird. Nach dem ersten Schock arbeiten sich die beiden an das Thema heran, besuchen eine therapeutische Gruppe, berichten im Freundeskreis, ernten aber nicht überall unterstützende Reaktionen, vor allem ihr treues Kindermädchen sagt entschieden ab, findet Downies eklig. Astrid und Markus beschließen, das Kind zu bekommen, sich der Herausforderung zu stellen, freuen sich am Schluss sogar darauf. Dann der zweite Schlag: Beim Routineultraschall stellt sich heraus, dass der Junge mit einem schweren Herzfehler zur Welt kommen wird, kurz nach der Geburt sofort eine Groß-OP über sich ergehen lassen muss und vermutlich sein gesamtes Leben schwere Einschränkungen behalten wird. Astrids Mutter Beate, die vorübergehend bei den beiden wohnt und sie mit allem unterstützt, bringt zum ersten Mal die Frage ins Spiel, ob die beiden das Kind überhaupt haben wollen. Astrid lässt sich von Ärzten beraten: Ein Schwangerschaftsabbruch ist bis zur 24. Woche möglich, allerdings muss dann das ungeborene Kind zunächst im Mutterleib mittels einer Spritze getötet und dann geboren werden. Markus spürt, dass Astrid sich zurückzieht, kämpft darum, weiter an der Entscheidung beteiligt zu sein, schmeißt Beate raus, will professionelle Berater hinzuziehen, doch letztlich entscheidet sie ohne ihn: Sie wird den Jungen abtreiben. Zur Trennung der beiden kommt es aber nicht, Markus begleitet Astrid im Krankenhaus während des gesamten Eingriffs, und nachher machen sie sich daran, zu dritt weiterzuleben.

   „24 Wochen“ entwickelt sich ausschließlich aus Alltagsmomenten, die ebenso genau wie realistisch beobachtet werden. Die eindrucksvolle Wucht der Geschichte, die wie gesagt niemals bevormundend oder erdrückend wird, entsteht genau daraus, dass eben keine melodramatischen Klimmzüge zum Einsatz kommen müssen. Astrid hat ihre Auftritte, Markus ist stets im Hintergrund, man sieht, dass die beiden ein gutes Team sind, und das gilt auch noch bei der ersten Diagnose, die natürlich vieles ändert, die Fragen, Sorgen, Unsicherheit und auch Ängste aufwirft, denen sich die beiden jedoch gemeinsam stellen. In einer sehr schönen Szene konfrontieren sie sich und ihre kleine Tochter Nele mit Downie-Kindern, wollen sich selbst ihre Berührungsängste nehmen, und das gelingt ihnen scheinbar auch. Freunde und Familie brauchen ebenfalls einige Zeit, um mehr als betretenes Gestammel zu erzeugen, aber das ist wohl auch ganz normal. Beate bietet nach dem ersten Schreck ganz patent ihre Hilfe an, nachdem das Kindermädchen den Rückzug angetreten hat, und obwohl man deutlich sieht, dass das Mutter-Tochter-Verhältnis nicht gerade ungetrübt ist und auch Markus an der unkonventionellen Schwiegermutter immer etwas zu knabbern hat, ist ihre Unterstützung wichtig und puffert vor allem viel von der Aufmerksamkeit und Zuneigung ab, die Nele nun fehlt, denn ihre Eltern sind schon sehr mit sich und der bevorstehenden Entscheidung beschäftigt. Gerade Nele kommt eine sehr wichtige Rolle zu, er erinnert Astrid zwischendurch immer daran, dass sie schon ein Kind hat, dem sie auch Erklärungen schuldig ist, das ihre Zuneigung, ihre Unterstützung braucht, dass sie es sich keineswegs leisten kann, sich von der Umgebung abzuschotten und alles mit sich selbst und bestenfalls noch mit Markus auszumachen. Anne Zohra Berrached beschönigt hier nichts, macht sehr deutlich, dass diese Situation anstrengend, aufzehrend ist und eine Familie sowie eine Partnerschaft vor größte Herausforderungen stellt. Als dann die zweite Diagnose über sie hereinbricht, ist es mit dem gemeinsamen Weg von Astrid und Markus vorübergehend vorbei, und auch das erscheint sehr realistisch und nachvollziehbar. Sämtliche Beratungs- und Untersuchungsgespräche sowie der abschließende wurden mit realem Fachpersonal gedreht, was diesen Szenen einen unheimlich plastische Realismus gibt, jeder kann sich vorstellen, dass sie genauso ablaufen, jeder kann sich eigentlich in diese Situationen hineinversetzen. Denn natürlich wird spätestens jetzt die Frage gestellt, wie ich selbst entscheiden, wie ich mich fühlen, welche Argumente ich gegeneinander abwägen würde. Zwei Ärzte beschrieben den Eingriff am neugeborenen maximal deutlich und detailliert, was sich brutal anhört, aber doch unbedingt notwendig ist, damit die Eltern genau wissen, was auf ihr Kind zukommt, was sie ihm auch zumuten. Und fast im Nebensatz sagt der eine Arzt zum andere, dass das Kind durchaus, wenn alles gut geht, eine Lebensqualität zu erwarten hat, aber nichstdestoweniger immer herzkrank bleiben wird. Diese Perspektive scheint Astrids Haltung maßgeblich ins Wanken zu bringen, obwohl das notwendige Vorgehen im Rahmen der Abtreibung absolut erschreckend und grausam erscheint, und allen klar vor Augen führt, dass es hier tatsächlich um einen Akt der Tötung geht, und das lässt sich weder beschönigen noch irgendwie umschreiben. Auch hier tut der Arzt das richtige, er schildert die Prozedur zwar behutsam, aber klar und deutlich, sodass Astrid ganz genau weiß, was auf sie und ihr Kind zukommen wird. In Julia Jentschs fantastischem Spiel wird ihre innere Not immer deutlicher. Sie muss sich zurückziehen, auch von Markus, muss in sich hineinhören, muss sich selbst befragen, ob sie wirklich die Kraft hat, all das durchzustehen, muss sich auch fragen, ob sie sich selbst das zumuten kann, nicht nur ihrem Kind. Markus gegenüber wird sie das später erklären: Ich habe nicht nur für mein Kind entschieden, sondern auch für mich, nicht nur meinem Kind will ich all die Qualen und Belastungen ersparen, sondern auch mir selbst. Berrached gelingt es hier, eine zutiefst schwere ethische Entscheidung ohne Moralisieren, ohne unnötige Polemik darzustellen. Sie verstellt uns nie den klaren blick auf Astrid und ihre Situation, sie lädt uns natürlich ein, für uns selbst darüber nachzudenken, doch sie klebt keine Gefühlssoße darüber, enthält sich jeglicher Wertung. Wir begreifen aber sofort, dass dies niemals eine Entscheidung ist, die sich eine Mutter leicht machen würde, erst recht, wenn solch schlimme Alternativen zur Disposition stellen. Das bedeutet auch fast zwangsläufig, dass Astrid für sich allein entscheiden, dass sie sich ein Stück von der Umwelt zurückziehen muss, um bei sich sein zu können, um wirklich erspüren zu können, was sie sich zutraut und was nicht. In Bjarne Mädels nicht minder großartigem Spiel wird seine zunehmende Hilflosigkeit deutlich, als er merkt, dass er nun außen vor ist, dass diese zweite Entscheidung nicht mehr von beiden gemeinsam, sondern nur noch von ihr selbst getroffen werden und dass er nicht mehr daran beteiligt sein wird. Hilflosigkeit schlägt um in Streit und Aggression, so läuft das wohl zumeist, doch indem sie zeigt, dass die beiden zuletzt doch wieder die Kurve kriegen und gemeinsam die Abtreibung hinter sich bringen, setzt Berrached ein positives, bestärkendes Signal hinter diese Entscheidung, und diese offene Haltung prägt den gesamten Film. Eines bleibt bis zum Abspann deutlich, als Astrid ganz leise und nur für sich sagt „Ich vermisse dich“, während Markus ein Baumhaus zu Ende baut und schon wieder ganz der Zukunft zugewandt ist: Auf rein emotionaler Ebene sind Frau und Mann hier nicht zusammen, und das ist ganz unvermeidlich, denn natürlich spürt Astrid ihrem Kind nach, das sie schon in den Armen hielt, das schon geboren war, und diese Empfindungen bleiben Männern logischerweise fremd. Berracheds Verdienst liegt auch darin, diese beiden Perspektiven für sich stehen zu lassen, ohne sie gegeneinander auszuspielen oder zu bewerten.

 

   Alles in allem ein ganz toll inszenierter und gespielter Film, der nahe an uns und die Figuren herantritt, dennoch eine gesunde und gedankenfördernde Distanz hält und der es vor allem nicht nötig hat, seine Wirkung mit den bekannten TV-Melodram-Methoden zu erzielen. Ich dachte zwischendurch häufig an Andreas Dresens „Halt auf freier Strecke“, und das wäre ja nicht der schlechteste Referenzpunkt. (27.9.)