Krigen (A War) von Tobias Lindholm. Dänemark, 2015. Pilou Asbæk, Tuva Novotny, Søren Malling, Charlotte Munck, Dar Salim, Alex Høgh Andersen, Jakob Frølund

   Mit dem Krieg ist Afghanistan gemeint. Dort ist Claus Pedersen als Kommandant mit seiner Einheit stationiert – um was auch immer zu tun, egal, eigentlich will er am Ende nur seine Leute heil wieder nach Hause bringen, und irgendwelche militärischen oder politischen Ziele spielen dabei absolut keine Rolle. Immer wieder geraten sie in undurchsichtige, gefährliche Situation, einen verlieren sie durch eine Miene, hinter buchstäblich jedem Zivilisten vermuten sie einen Talibankämpfer, und gern werden auch einheimische Kinder von den Terroristen als Schutzschilder für ihre Aktionen benutzt. Währenddessen versucht daheim Ehefrau Maria, sich und die drei Kinder über Wasser zu halten, zerreißt sich zwischen Job und Haushalt und muss auch erleben, wie der ältere der beiden Söhne die monatelange Abwesenheit des Vaters überhaupt nicht gut verkraftet, immer wieder verhaltensauffällig und sogar aggressiv wird, sich vor ihr verschließt. In Afghanistan gerät dann eine Operation komplett aus den Fugen, die von vornherein keine gute Idee war, die Claus aber gegen den Rat seiner Leute durchsetzt und an der er selbst teilnimmt, auch gegen den Rat seiner Leute. In einem kleinen Dorf kommt es zu einem Feuergefecht, zuvor war eine ganze afghanische Familie von den Taliban ermordet worden, nachdem Claus sie tags zuvor aus der Militärbasis gewiesen hatte. Die Einheit gerät unter schweren Beschuss, und Claus ordnet die Bombardierung eines Gebäudes an, aus dem möglicherweise der Gegner feuert. Eine fatale Fehleinschätzung – in dem Gebäude befinden sich zwölf Zivilisten, und alle kommen zu Tode. Claus wird sofort zurück nach Dänemark beordert und dort unter Anklage gestellt. Die Situation entwickelt sich sehr ungünstig für ihn, schlimmstenfalls drohen ihm vier Jahre Gefängnis, doch dann sagt einer seiner Männer ganz überraschend zu seinen Gunsten aus und wendet das Blatt. Wie wir wissen und wie die frustrierte Anklägerin zurecht vermutet, entspricht seine Aussage nicht der Wahrheit, doch das Gericht entscheidet für den Angeklagten und spricht Claus frei. Der hatte sich von Maria und seinem Verteidiger dazu drängen lassen, nicht die Verantwortung für den Tod der Zivilisten zu übernehmen, und diese Schuld wird ihm, das wird am Ende deutlich, für immer in den Kleidern hängen bleiben.

   Ein Film zur Zeit, ein Meisterwerk. Brillant gespielt, brillant gefilmt, thematisch extrem komplex. Ohne dafür irgendwelche dramaturgischen Tricks bemühen zu müssen, engagiert uns der Film fast automatisch für seine Themen, wirkt einerseits auf skandinavische Weise zurückhaltend, dezent, andererseits besticht er durch seine Intensität und die Kompromisslosigkeit, mit der er uns durch mit den verschiedenen Emotionen und Argumentationen konfrontiert. Die Szenen aus Afghanistan sind von drängender, bedrückender Spannung, die Angst, Panik, Unsicherheit der überforderten Soldaten wird fast körperlich erfahrbar, und man kann sich sehr leicht vorstellen, wie es zu einer Situation, wie sie hier beschrieben wird, kommen kann. Der plötzliche Beschuss, der von überallher zu kommen scheint, die völlige Unübersehbarkeit der Lage, das Geschrei des verwundeten dänischen Soldaten, und was auch immer der ursprüngliche Sinn der Operation gewesen sein mag, alles reduziert sich nun darauf, die übrigen Männer unversehrt aus dem Hinterhalt herauszuholen. Hier wird’s dann ethisch äußerst kompliziert. Die Angreifer sind nicht die Dänen sondern die Taliban, die Mörder der Familie sind ebenfalls die Taliban, obwohl Pedersen dies hätte verhindern können, indem er sie entgegen der Vorschriften im Lager behalten hätte. Nun benötigt er Luftunterstützung, die er aber nur bekommt, wenn er klar und deutlich den Feind lokalisieren kann, und in seiner Verzweiflung gibt er halt irgendein Gebäude an, das dafür in Frage kommt. Dass sich in diesem Gebäude Zivilisten aufhalten könnten, kommt ihm offensichtlich in diesem Moment nicht in den Sinn. Enthebt ihn das der Verantwortung? Er selbst ist sofort entschlossen, diese Verantwortung zu übernehmen, notfalls gar die Gefängnisstrafe anzutreten, doch hier kommen nun andere Dinge zum Tragen, die er nun gegeneinander abwägen muss, eine Aufgabe, mit der ein einzelner Mensch unweigerlich überfordert sein muss. Seine Ehefrau erinnert ihn an seine Verantwortung als Ehemann und Vater, beschwört ihn, vor Gericht nicht die Wahrheit zu sagen, wie vom Anwalt gefordert, weil er halt zuhause auch gebraucht wird, weil sie allein die drei Kinder auf Dauer nicht handeln kann und weil eines der Kinder bereits massive Symptome psychischer Auffälligkeiten zeigt. Claus lässt sich darauf ein, gibt also der Familie den Vorzug, was sowohl menschlich total verständlich als auch eine nachvollziehbare Motivation ist, doch erleben wir auch, dass dafür ein hoher Preis gezahlt wird. Es geht hierbei nicht nur um moralische Integrität, sondern auch um Recht und Gesetz. Eine wichtige Rolle im Film spielt Lisbeth Danning, die Anklägerin vor Gericht, die das zentrale Dilemma in ihrem Plädoyer nochmals auf den Punkt bringt: So verständlich Pedersens Situation auch sein mag, der Schutz von zivilem Leben muss dennoch unzweifelhaft im Vordergrund stehen und herrschendes Gesetz zur Anwendung kommen. Indem er die Bombardierung des fraglichen Gebäudes anordnete, nahm er wissentlich oder nicht den Tod Unbeteiligter in Kauf, um sich und seine Männer aus der schwierigen Lage zu befreien. Gerade die Gerichtsverhandlung mit den ausführlichen Befragungen Pedersens und seiner Männer macht die Unvereinbarkeit der in Frage stehenden Werte schmerzhaft

deutlich. Pedersen hätte sich erst zu einhundert Prozent sicher sein müssen, bevor er die Luftunterstützung anforderte, doch dazu war kaum Zeit, und außerdem hatte er kaum die Gelegenheit, sich einen sicheren Überblick zu verschaffen. Das Leben seiner Männer lag also in der Waagschale gegen mögliche zivile Opfer. Die Unerbittlichkeit, mit dem Danning die Durchsetzung des Rechts fordert, wirkt zunächst bedrohlich, wenn wir uns mit Claus identifizieren, doch mit etwas Abstand betrachtet erscheint ihre Haltung vollkommen richtig, zumal für Außenstehende, die vom Tod dieser zwölf Zivilisten erfahren, unter ihnen viele Kinder. Eine der großen Qualitäten des Films liegt darin, diese verschiedenen Prioritäten wertungsfrei nebeneinander zu stellen, ohne Urteil, ohne moralisierenden Beigeschmack. Wir sehen deutlich Pedersens Unbehagen, er weiß genau, dass Danning im Grunde ganz recht hat und er aus reinem Eigennutz ein unsauberes Spiel spielt, doch wir sehen auch immer wieder Marias Gesicht, ihre Erschöpfung, ihre Anspannung und spüren, wieviel auch für sie auf dem Spiel steht. Die wie aus dem Nichts kommende Aussage des Funkers, dem nach Monaten Verhandlung plötzlich einfällt, dass er Pedersen den entscheidenden Hinweis auf das bewusste Gebäude gegeben hat, und der sich auch durch Dannings nur mühsam beherrschte Wut nicht von seiner Linie abbringen lässt, erzeugt einen sehr unangenehmen Beigeschmack, denn es ist ganz offenbar eine Lüge, um ihm zu helfen, doch sie führt zugleich dazu, dass den Opfern niemals Gerechtigkeit widerfahren wird, und dass einmal mehr die Verantwortlichen ihre Reihen geschlossen halten und die Wahrheit vertuschen. Ein Tatbestand also, den wir normalerweise rundheraus verurteilen und extrem widerwärtig und übel finden würden, doch hier erleben wir, wie es zu dieser Situation kommen konnte und urteilen sicherlich ein wenig differenzierter. Immerhin zeigen die letzten Szenen einen Claus, der zwar oberflächlich zurück findet ins Familienleben und seine Rolle darin, den das Geschehene aber sicherlich noch beschäftigen und vermutlich auch grundlegend verändern wird. Ob er richtig oder falsch gehandelt hat, steht hier nicht zur Diskussion, die Folgen seines Tuns für sich und andere dagegen schon.

   Ein guter Kriegsfilm beschäftigt sich immer auch mit den Auswirkungen des Kriegs auf die Beteiligten. Eindringlicher als in „A War“ kann man das kaum tun. Als Zuschauer kann ich höchstens denken „Gottseidank bin ich nicht in dieser Situation“, aber ich kann mich nicht bequem zurücklehnen und für irgendeine Seite Partei ergreifen, dazu sind die vorgestellten Konflikte zu komplex. Alle Beteiligten haben hier großartige Arbeit geleistet, dies ist politisch wie menschlich relevantes Kino, so wie ich es mir öfter wünsche. (19.4.)