About Ray (Alle Farben des Lebens) von Gaby Dellal. USA, 2016. Naomi Watts, Elle Fanning, Susan Sarandon, Linda Emond, Tate Donovan, Sam Trammell
Kunterbunt geht’s in der Tat zu in dieser New Yorker Familienkiste, die eine beträchtliche Vielzahl kontroverser, konfliktträchtiger Lebensentwürfe vorstellt und am Ende dann doch in ein eher versöhnliches Finale mündet (ganz nach Tradition der sattsam bekannten Wohlfühlfilme, genau). Der titelgebende Ray heißt eigentlich Ramona, ist sechzehn und sehnt sich ungefähr seit dem vierten Lebensjahr danach, als Junge leben zu dürfen. Einige chirurgische Eingriffe wären vonnöten, vor allem eine nicht risikofreie Hormontherapie, und dafür benötigt Ray die schriftliche Einwilligung beider Eltern, womit der Ärger erst richtig losgeht. Ray und seine Mutter Maggie wurden von Craig, Rays Vater, früh verlassen, und wenn es nach Maggie gegangen wäre, bliebe es auch dabei, doch nun muss sie ihn und seine neue Familie treffen, um seine Zustimmung einzuholen, was sich als schwierig und emotional anstrengend erweist. Apropos anstrengend – Ray und Maggie leben bei Maggies Mutter Dolly und ihrer Frau Frances, einem fidelen alten Paar, das naturgemäß zu jedem Thema eine Meinung hat und die auch kundtut. Und dann ist da auch noch Craigs Bruder Matthews, mit dem die einst recht leichtlebige Maggie ebenfalls das Bett teilte, weswegen Onkel Matthew ein weiterer Anwärter auf den Titel als Rays Vater ist…
Ein Film über die Liebe und die Toleranz, über die Überwindung von Grenzen und Ängsten und über die Schatten der Vergangenheit. Seine Schwäche liegt vielleicht darin, dass all die vielen angesprochenen und angedeuteten Konflikte nie so recht zum Tragen kommen, niemals oder jedenfalls selten in angemessener Form ausgespielt werden. Es gibt Zank und Streit und Frust und Verzweiflung, doch besteht nie ein ernsthafter Zweifel daran, dass die drei Frauengenerationen so eng und tief miteinander verbunden sind, dass sie kaum etwas trennen könnte. Verständnis und Zuneigung beherrscht ihr Miteinander, natürlich sind sie auch gelegentlich genervt voneinander, verlieren ein wenig die Geduld, doch scheint ihr zwischenzeitiges Ringen um mehr Raum und Freiheit eher ein Scheingefecht zu sein, denn im Grunde haben sie es allzu kuschelig in ihrem verwinkelten, gemütlichen alten New Yorker Wohnhaus. Dies ist also definitiv kein Film über eine Familienhölle, dies ist ein Film über die Familie als Hort. Wenn es überhaupt je Diskussionen zwischen Ray und Maggie gibt, dann sind die lediglich von Mamas Sorge um Rays Gesundheit geprägt, und wenn Dolly vorschlägt, Rays Umwandlung könne doch auch ohne spektakuläre Medizintechnik vollzogen werden, spricht daraus weniger mangelnde Toleranz als vielmehr eine ganz ähnliche, eben großmütterliche Besorgnis. In der Tat zeigt der Film mit zunehmender Spieldauer auch die zunehmende Neigung, aufkommende Misstöne allzu schnell glatt zu bügeln. Die Chance, mit der Figur Craigs so etwas wie Spannung zu schaffen, wird alsbald zunichte gemacht, weil auch er im Grunde ein ganz netter Kerl ist, der sich halt nur an die neue Situation gewöhnen muss, und wenn Ray ein einziges Mal ein blaues Auge aus einer eher harmlosen Rangelei davonträgt, dann das schon die Spitze der Konfrontation, die er mit Gleichaltrigen auszuhalten hat, was angesichts trauriger Realitäten an Schulen und anderen Versammlungsorten zumindest eine reichlich optimistische Grundhaltung verrät.
Gleichzeitig hat es Gaby Dellal doch irgendwie hingekriegt, dass „About Ray“ bei aller Harmonielust nie zu seifig oder seicht geraten ist. Im Grunde ist ihr Stil im Vergleich zu gängigen Hollywoodkolleginnen nämlich viel zu zurückhaltend und dezent, um sich für allzu aufdringliches Kitschdrama zu eignen. Der Grundton ist wohlig-warm, wirkliches Drama spielt sich eigentlich nicht ab, aber ich zumindest habe mich nie veralbert oder billigen, geschmacksverstärkten Plastikemotionen ausgesetzt gefühlt, und das soll auf diesem Gebiet schon was heißen. Natürlich sorgen vor allem auch die brillanten Schauspielerinnen dafür, dass ein gewisses Niveau sehr zuverlässig gewahrt bleibt, vor allem die ständig zwischen den Gemütsextremen hin- und hergerissene Naomi Watts und noch mehr Elle Fanning mit ihrem großartigen Porträt der Ramona, die längst schon zu Ray geworden ist sind sehr überzeugend. Und in mehrfacher Hinsicht taugt der Film durchaus als utopischer Gegenentwurf zu all dem dysfunktionalen Kram, der uns häufig angeboten wird – und, ja ich weiß, der sicherlich viel realitätsnaher ist, als das hier, aber immerhin ist ja bald Weihnachten, oder…? (13.12.)