Arrival von Denis Villeneuve. USA, 2016. Amy Adams, Jeremy Renner, Forest Whitaker, Michael Stuhlbarg

   Was für eine Geste, gerade im Schatten der aktuellen politischen Ereignisse in den Staaten und dem, was womöglich von ihnen zu erwarten ist. Aliens landen auf der Erde, zwölf riesige eiförmige Gebilde, verteilt auf unterschiedliche Orte, und nun schweben sie dort, dicht über dem Boden, rätselhaft, unergründlich, und niemand hat die geringste Ahnung, woher sie kommen und welche Absichten sie verfolgen. Nach gängiger Hollywood-Arithmetik ist Schlimmes von ihnen zu erwarten, mindestens aber die Eroberung und Vernichtung unseres geliebten Planeten, und es bedürfte schon eines ganzen Kerls, eines Amerikaners selbstverständlich, zumindest aber Bruce Willis, oder besser Will Smith, im Sinne der politischen Korrektheit, um dies zu verhüten. Doch ob man es glaubt oder nicht - Bruce Willis und Will Smith und all die vielen hochgerüsteten Armeen dieser Erde sind gar nicht gefragt, die Atombombe bleibt im Schrank, und eine pompöse Materialschlacht wird auch nicht vom Zaun gebrochen. Alles liegt in den Händen einer Sprachwissenschaftlerin, die darauf angesetzt wird, die Aliens zu verstehen, zu entschlüsseln, mit ihnen zu kommunizieren. Und das obwohl CIA und US-Militärs im Hintergrund mächtig ungeduldig mit den Säbeln rasseln, und obwohl vor allem die internationale Politik mächtig unter Druck gerät, denn anderswo, in China und Russland vor allem, ist man nicht so geduldig, sondern möchte am liebsten losschlagen, präventiv sozusagen, denn von den Aliens geht bislang nicht die geringste Gefahr oder Aggression aus. Sie senden vielmehr kreisförmige Zeichen aus, die Louise und ihrem Kollegen Ian zunächst Rätsel aufgeben, doch in langwieriger Kleinarbeit zumindest soweit dechiffriert werden können, dass eine Verständigung möglich wird. Louise fühlt sich zunehmend persönlich angesprochen von ihren beiden siebenfüßigen Kommunikationspartnern, die von ihr und Ian den Spitznamen „Abbott und Costello“ erhalten haben. Und sie wird immer wieder von intensiven Bildern verfolgt, in denen sie ihre Tochter an Krebs sterben sieht und in denen frühere glückliche gemeinsame Tage mit ihr vorüberziehen. Schließlich verlieren auch die Amis die Nerven und zünden ein kleines Bömbchen inmitten des Alien-Raumschiffs, doch wieder entgegen aller Erwartungen bleiben die Außerirdischen gelassen, obwohl sogar einer von ihnen stirbt. Im Gegenteil – sie scheinen nach wie vor von der Mission beseelt, der Menschheit helfen zu wollen, und so lassen sie Louise in die Zukunft sehen und ermöglichen ihr, das entscheidende Telefonat mit dem chinesischen General zu führen und so mithilfe ihrer Mandarin-Kenntnisse einen globalen Krieg zu vereiteln. Danach heben die zwölf Raumschiffe ab und verschwinden so leise, wie sie gekommen waren. Louise und Ian werden ein Paar. Und wollen ein Kind zusammen haben. Und Louise begreift nun, was es mit den Bildern auf sich hat, die eher wie Erinnerungen schienen…

   Ein unglaublich bezwingender Gedanke: Da wir Menschen hier drunten auf der Erde nicht in der Lage sind, unsere Probleme friedlich zu lösen, und dies im Übrigen auch gar nicht wollen, muss die Hilfe eben von außen kommen, von weiseren Geschöpfen, die wissen, dass es manchmal nur eines einzigen kleinen Telefonats zur richtigen Zeit bedarf, um die Menschen dazu zu bringen, mal wieder näher zusammenzurücken und wirklich zusammen zu arbeiten. Ein fast grausam naiver Gedanke – aber ein schöner! Science Fiction und Philosophie haben immer heftig miteinander geflirtet, und immer war alle Welt berauscht, obwohl kaum einer verstanden hat, worum es im Einzelnen ging, siehe Kubrick oder Nolan. Villeneuve macht uns die Sache leichter, bringt seine Friedensbotschaft sehr klar rüber, nicht aufdringlich oder etwa schmalzig, sondern einfach nur klar und deutlich. Der wichtigste, der große Schritt auf dem Weg zum Frieden ist Verständigung, Kommunikation, das heißt gegenseitiger Respekt und vor allem die Bereitschaft, auf einander zuzugehen und einander zuzuhören. Auch wenn Louise nicht jedes Zeichen der Aliens versteht oder richtig übersetzt, demonstriert sie immer ihre guten Absichten, verhält sie sich respektvoll und tritt nicht mit den üblichen Drohgebärden auf, die in solchen Situationen sonst üblich sind. Über diesem konkreten Setting auf einer Weide in Montana steht die globale Situation, stehen elf weitere Schauplätze über den ganzen Globus verteilt, und auch dort versucht man, teilweise zumindest, mit den Außerirdischen Kontakt aufzunehmen, doch werden die Signale dort häufig einseitiger als Drohung übersetzt, weil es ganz einfach besser in den politischen Plan passt. Eine unmilitärische Lösung ist von vornherein nicht vorgesehen, Politik und Militärs müssen dringend Stärke zeigen, und so wartet man allgemein auf den Befehl zur Schlacht. Louise kämpft verbissen um Zeit, ihr ist klar, dass die Aliens keinen Krieg beabsichtigen, sondern helfen wollen, und so ist sie diejenige, die am Schluss die entscheidende Gabe bekommt, eben die, in die Zukunft sehen zu können.

   Und an dieser Stelle macht Villeneuve eben noch sein zweites Fass auf und stellt Louise vor eine noch viel größere, weil persönlichere Herausforderung: Sie sieht ihr kommendes Leben vor sich, die Ehe mit Ian, die Geburt ihrer Tochter, die glücklichen ersten Jahre zusammen, dann die Erkrankung, das Leiden, den Tod und die Trennung von Ian, dem sie erzählt hat, dass sie all dies voraussehen konnte und der nicht verstand, dass sie trotzdem genau so leben wollte. Würden wir also unser Leben genau so leben wollen in dem Wissen, wie es verläuft? Würden wir es annehmen, oder würden wir eingreifen und den Verlauf verändern wollen? Was wir Zuschauer zunächst als Rückblenden, als Erinnerungen einordnen, sind in Wirklichkeit also Zukunftsbilder, und wenn wir das verstanden haben, haut’s uns erstmal ordentlich aus dem Sitz, mir ist es jedenfalls so ergangen. Und ich kann vor allem Louises intensive Reaktionen auf diese Szenen besser verstehen, Szenen, die sie immer häufiger heimsuchen und zwischendurch fast handlungsunfähig machen, weil sie der Entscheidung immer näher kommt. Schließlich entscheidet sie sich – für Ian, für die Tochter, und dafür, lieber einige glückliche Jahre mit ihr verbringen zu können, als zu verhindern, dass sie überhaupt auf die Welt kommt.

 

   Denis Villeneuve hat nun in den vergangenen sechs Jahren fünf außergewöhnliche, großartige Filme gemacht und steht damit nach meiner Kenntnis weit und breit ziemlich allein. „Die Frau, die singt“, „Prisoners“, Enemy“, „Sicario“ und nun „Arrival“ – mir fällt wirklich kein Regisseur ein, zumal nicht aus dem amerikanischen Raum, der etwas ähnliches aufzuweisen hätte, der auf ähnliche Art und Weise Produktivität mit Kreativität verknüpft hat. Ich bin sehr gespannt, ob er diese Serie ungebrochen fortsetzen kann. „Arrival“ zeigt von Anfang an seine typische Handschrift – der ruhige Rhythmus, der dunkle, hypnotisch intensive Ton, einmal wieder maßgeblich unterstützt von Jóhann Jóhannssons genialer Filmmusik, die Fähigkeit, eine konventionelle Handlung so zu gestalten, dass die Action zugunsten des menschlichen in den Hintergrund tritt, ohne dass der Film jemals langweilig wird. Gerade weil wir als langjährige Kinogucker ständig hinter der nächsten Ecke die große Eskalation, den großen Knall vermuten, schauen wir höchst angespannt zu, und im Verlauf des Films wechseln wir dann langsam aber sicher die Haltung, hoffen wir wie Louise auf eine friedliche Lösung und wollen auf den Big Bang à la Hollywood verzichten. Abgesehen von der Botschaft hat Villeneuve ein in den letzten Jahren schier zu Tode gerupftes Genre gründlich auf den Kopf und damit auch wieder auf die Füße gestellt. All die Klischees, all die beschissenen patriotischen, großspurigen Phrasen, werden redundant und als genau das ausgestellt – wenn auch nur für zwei wunderschön idealistische, utopische Stunden! Ein einziges Mal gibt’s eine Alternative zum Krieg, und wenn man nur will, wenn alle beteiligten Parteien nur wollen, dann gibt es immer eine. Das wissen wir, das zeigt die Geschichte an jedem einzelnen Beispiel, nur wissen wir eben auch, dass bisher immer mindestens eine der Parteien, zumeist aber beide, gar kein Interesse an dieser Alternative hatten, denn Frieden ist weder politisch noch ökonomisch opportun. Villeneuve verbindet also die globale Betrachtungsweise mit der ganz privaten, nicht minder eindrucksvollen und spannenden, und er tut dies extrem überzeugend und zwingend. Mit Amy Adams hat er eine bravouröse Darstellerin, die die Tiefen der Louise perfekt auslotet, die sich aber, ganz im Sinne des Regisseurs, niemals in den Vordergrund drängt. Keine lauten Effekte, keine chauvinistischer Bullshit, seine selbstverliebte Technoschau - nichts, es geht tatsächlich auch ohne! Und der Film ist wirklich durchgehend spannend und bewegend, hat den für Villeneuve so typischen Sog und bringt all jene zum schweigen, die schon freudig ihren Liter Popcorn in Stellung gebracht hatten. Ein ruhiger Film, der Ruhe und Aufmerksamkeit verlangt. Gibt’s auch nicht allzu häufig in diesem Genre… (29.11.)