Brooklyn von John Crowley. England/Irland/Kanada, 2015. Saoirse Ronan, Emory Cohen, Domhnall Gleeson, Jim Broadbent, Julie Walters, Jane Brennan, Brid Brennan

   Eilis stammt aus Enniscorthy, Co. Wexford, und sie will nach New York, um dort ein neues Leben zu beginnen. Ein irischer Gemeindepfarrer in Brooklyn hat etwas für sie arrangiert, ein Zimmer, einen Job, so wie er das schon für viele vor ihr getan hat. Sie lässt ihre Mutter und die ältere Schwester zurück, der Vater ist vor fünf Jahren gestorben. In den Kinos läuft gerade „Der Sieger“ mit John Wayne und Maureen O‘Hara, folglich schreiben wir das Jahr 1952. Die Überfahrt mit vielen anderen Eimigranten ist sehr lang. Eilis bekommt von ihrer Mitreisenden in der Kabine viele wertvolle Ratschläge, allein schon für Ellis Island – wie muss ich es anstellen, um bei der Passbehörde durchzukommen. Sie bezieht ihr Zimmer im Gästehaus der gestrengen Mrs. Kehoe, das sie mit vielen anderen jungen Damen teilt, die ihr alle ein paar Jahre New York voraus haben und zu ihrer Orientierung beitragen. Die erste Zeit ist schwer – das Heimweh zehrt heftig an ihr, der Job im Kaufhaus füllt sie nicht aus, private Kontakte bahnen sich zunächst nicht an. Doch dann wird sie von Tony umworben, einem jungen Italiener, der sehr geduldig und nett ist und langsam aber sicher ihre Zurückhaltung aufweicht. Gleichzeitig arrangiert der Pfarrer für sie einen Platz am Abendcollege, wo sie sich zur Buchhalterin ausbilden lässt. Sie hat plötzlich Aufwind, blüht auf, wird selbstbewusster, kann sich endlich auch auf das neue Leben einlassen, kann endlich auch Tonys Liebe an sich heranlassen. Dann stirbt unerwartet ihre Schwester Rose, und sie beschließt, für einige Zeit wieder zurück nach Irland zu gehen. Zuvor heiratet sie Tony, der Angst hat, dass sie nicht zu ihm zurückkehren könnte. Daheim in Enniscorthy bemüht sich schon bald ein weiterer junger Herr um sie, und als sie ihn nicht sofort zurückweist und auch niemandem erzählt, dass sie bereits verheiratet ist, fühlt er sich weiter ermutigt. Auch die Mutter hat offenbarschon Hochzeitspläne geschmiedet, der Klatsch geht schon in der ganzen Kleinstadt umher, und erst eine unangenehme Begegnung mit ihrer fiesen, intriganten Ex-Chefin führt ihr vor Augen, weshalb sie diese kleine, enge Welt unbedingt und endgültig hinter sich lassen wollte. Sie erzählt ihrer Mutter von ihrer Ehe und verabschiedet sich, beide wissen, dass es für immer sein wird. Sie fährt zurück nach New York, und auf dem Schiff wird sie von einer jungen Emigrantin angesprochen, der sie nun eben jene Ratschläge mitgeben kann, die sie selbst auf ihrer ersten Fahrt erhielt.

 

   Der wichtigste Satz im Nachspann: Drehbuch Nick Hornby. Der Typ schreibt nicht nur geniale Bücher, sondern scheinbar auch geniale Drehbücher (ein erster Hinweis war ja schon „An Enducation“). Hier ist ihm jedenfalls eines gelungen, eines, das nicht auf einem eigenen Roman basiert und eigentlich auch nur in Teilen seine für ihn typischen Themen beinhaltet. Aber wie er hier Witz und Gefühl zusammenbringt und zu einer unwiderstehlich charmanten, unerhört vitalen Mischung formt, das hat schon Klasse. Dabei gibt’s jede Menge rührende, auch rührselige Momente, aber es wird irgendwie nie so richtig kitschig und triefend, sondern der Film trifft genau den richtigen Ton diesseits der Grenze. Er erzählt vom Weggehen und Ankommen, und wie hart das sein kann, und dass es trotzdem sein muss. Die Frau auf dem Schiff macht Eilis keine Illusionen: Du denkst, du stirbst am Heimweh, aber du wirst nicht sterben, du wirst es überleben, und irgendwann wirst du es überwunden haben. Die Story benutzt sicherlich eine eher schematische Gegenüberstellung, als sie Eilis nochmals nach Irland reisen und sich dort fast wieder verführen lässt, doch vielleicht war das notwendig, um zu zeigen, dass natürlich vieles schön war zuhause, einiges aber eben nicht, und dass es genau deswegen notwendig war, zu gehen. Die langsame Entwicklung Eilis‘ wird sehr einfühlsam und detailliert nachvollzogen, vom bleichen, ausdruckslosen, teilnahmslosen Mädchen, das gefühlsmäßig noch nicht angekommen ist in den USA bis hin zur lebhaften, ehrgeizigen jungen Frau, die gerade durch den zwischenzeitlichen Schritt zurück den entscheidenden Schritt nach vorn tun kann. Saoirse Ronan spielt das extrem beeindruckend, kommt nie als melodramatische Heroine rüber, sondern arbeitet mit feinen Nuancen, wahrt stets eine gewisse Zurückhaltung, vermeidet billige Theatralik. Ihre Geschichte ist zugleich die eines einzelnen jungen Mädchens, aber auch die hunderttausend anderer, die Irland in Richtung Westen verließen, und natürlich könnte man den Blick noch weiter spannen, aber gerade die irisch-amerikanische Verbindung ist schon speziell und spielt in beiden Kulturen eine bedeutende Rolle. In Brooklyn erlebt Eilis einerseits einen radikalen Kulturwandel in so ziemlich jeder Beziehung, und doch profitiert sie vom Zusammenhalt der irischen Gemeinde vor Ort, von der seit vielen Jahrzehnten aufgebauten Infrastruktur, die Neuankömmlinge aufnimmt und ihnen auf den Weg hilft. Wenn anlässlich eines Festes sich ein alter Mann am Tisch erhebt und ein altes gälisches Lied singt, wird der Begriff von Heimat aus den zwei bestehenden Perspektiven betrachtet, und genau diese Zerrissenheit ist es auch, die Eilis so lange zu schaffen macht, genau so lange nämlich, bis sie imstande ist, die Bande nach Irland endgültig zu kappen, auch wenn das nochmal weh tut. Das Schwere, Traurige dieses Prozesses wird hier immer wieder gekontert durch den Humor, durch die wunderbar schlagfertigen Dialoge, die sich vor allem an Mrs. Kehoes Esstisch und in Tonys Familie abspielen und die scheinbar so gar nicht zu einem herkömmlichen Liebesdrama passen. Genau das macht den Film so besonders, genau das bewahrt ihn davor, einfach nur eine Taschentuchschnulze zu sein. Er hat einen genauen und liebevollen Blick für Land und Leute auf beiden Seiten des Teichs, er zeigt sehr viel Gefühl für Eilis‘ Situation und den weiten Weg ins neue Leben, und er erinnert uns durch seinen Witz an etwas, das uns starkmacht und uns beschützt. Ich hab ehrlich gesagt nie erwartet, dass mir der Film so gut gefallen würde, aber das hat er wirklich. In zwei Worten: Einfach schön. (26.1.)