Belgica (Café Belgica) von Felix van Groeningen. Belgien/Frankreich, 2016. Stef Aerts, Tom Vermeir, Hélène de Vos, Charlotte Vandermeersch, Boris van Severen, Sara de Bosschere, Ben Benaouisse, Dominique van Malder

   Die Geschichte der Brüder Jo und Frank, die nach wechselvoller Vergangenheit und schwierigen Familienverhältnissen wieder zusammenfinden, um ihren Traum von der eigenen Kneipe zu erfüllen. Aus dieser Kneipe wird bald ein Club, das „Café Belgica“, das ein bunt zusammengewürfeltes Publikum beherbergt und in dem mächtig Party gemacht wird. Der Traum ist wahr geworden und ein Erfolg noch obendrein. Doch Party rund um die Uhr bleibt nicht folgenlos, Alkohol, Kokain, Sex undsoweiter. Frank, verheiratet und ein Kind, riskiert ständig seine eigene Familie, Jo kann auch keine feste Bindung landen, und als Frank versucht, den Club etwas schicker zu machen und gewisses Volk durch Türsteher draußen vor zu lassen, wird der Dissenz zwischen den beiden spürbar. Er wird noch größer, weil Frank sein Leben partout nicht in den Griff kriegen will sondern lieber im freien Fall durchs Partyleben taumelt, und als Drogen und Gewalt total außer Kontrolle zu geraten drohen, macht Jo einen Cut und zieht sich vorübergehend zurück, während Frank zunächst weiter machen will, dann aber auch scheitert. Am Ende haben die beiden schon Kontakt, und wenn‘s nur durch den Tod des ungeliebten Vaters ist, doch gehen getrennte Wege. Jo hat das Café Belgica wieder instand gesetzt und genau das Publikum, das er immer haben wollte, Frank lebt, nun mit zwei Kindern, auf dem Land, ob das allerdings der Weisheit letzter Schluss ist, bleibt offen.

   Felix van Groeningen illustriert in seinen Filmen gern das wilde Leben, das Bild vom Leben als Schlachtfeld. Siehe auch „The Broken Circle Breakdown“ oder den adäquat betitelten „Die Beschissenheit der Dinge“. Wüst, romantisch, zerstörerisch, zärtlich, provokativ, überzeichnet, alles dabei. Eine atemlose Achterbahnfahrt, durch die er uns auch diesmal reißt, ohne Pause, nur mit grob gesetzter Struktur, aber ohne bemühte Dramaturgie, die ergibt sich dann aus dem Strudel der Ereignisse. In unentwegter Folge werden die Szenen knapp aneinander geschnitten, es werden keine Gewichtungen vorgenommen, auch keine Wertungen, es passiert einfach, was passieren muss, die Katastrophen, Irrtümer, Missverständnisse, auch die guten Momente zwischendurch, der kurze Rausch des Erfolgs, die kurzlebige Vision, dass die beiden unterschiedlichen Brüder doch ein gutes Team abgeben könnten. Jo ist der etwas besonnenere, Frank der Getriebene, der seine Leidenschaft mal voll für die Sache einsetzen kann, aber regelmäßig total aus der Bahn gerät, und letztlich wahrscheinlich mehr zerstört als aufbaut. Ein faszinierend widersprüchlicher Typ, von Tom Vermeir faszinierend gespielt, während Stef Aerts überzeugt als Jo, der unbedingt die Kontrolle behalten möchte, zwischendurch aber auch in Panik gerät, wenn er spürt, dass ihm alles entgleitet. Für bürgerliches Familienleben scheinen beide ungeeignet, ihre jeweiligen Frauen merken das bald, die eine verlässt Jo irgendwann, Franks Frau bleibt wider besseres Wissen bei ihm, versucht, die Familie irgendwie zu retten.

 

   Da ich persönlich mit dem rauschenden Partyleben noch nie soviel anfangen konnte, ist mir vieles etwas fremd hier, aber van Groeningen inszeniert so mitreißend und die Darsteller sind so gut, dass das am Ende kein Problem war. Problematisch finde ich diesmal nur die ausufernde Länge von gut über zwei Stunden, die man dem Film leider auch anmerkt. Die exzessiven Partyszenen, die den Mittelteil dominieren, empfinde ich eher als ermüdend, sie wiederholen sich am Ende, werden austauschbar, weil der Gedanke dahinter schon bei der ersten oder zweiten rüberkommt und van Groeningen im Grunde ja eher knapp, elliptisch erzählt, und die ewigen Wiederholungen sein eigenes Konzept ein wenig untergraben. Stark sind die Schilderungen von Franks Kampf um Balance, um ein strukturiertes Leben einerseits und von Jos Versuchen, die Bindung zu seinem Bruder irgendwie in Bahnen zu lenken und ihn bei der Stange zu halten andererseits. Es gibt keine Verurteilungen, keine Wertungen, wir werden voll mit den beiden konfrontiert und allem, was ihnen zustößt und was sie anrichten. Van Groeningen zeigt hier seine rückhaltlose Solidarität und auch seine Bereitschaft, ohne Vorurteile und Parteinahme zu erzählen. Erwähnenswert ist noch der eindrucksvolle Soundtrack der belgischen Band Soulwax, die auf engem Raum so viele unterschiedliche Stilrichtungen zelebriert, dass man glatt annehmen könnte, ein halbes Dutzend verschiedener Bands habe dazu beigetragen. Und natürlich ist van Groeningen ein toller, fulminanter Erzähler, nur ist ihm diesmal die ganze Chose für meinen Geschmack ein bisschen entglitten und er hat einfach zwanzig Minuten zuviel draufgepackt, weswegen ich am Schluss sagen würde, dass mir die beiden Vorgängerfilme etwas besser gefallen haben. (5.7.)