Die dunkle Seite des Mondes von Stephan Rick. BRD/Luxemburg, 2015. Moritz Bleibtreu, Nora von Waldstätten, Jürgen Prochnow, Doris Schretzmayer, Luc Feit, André Hennicke

   Urs ist erfolgreicher Anwalt, Spezi für Fusionen und daher mitten drin im modernen Brutalkapitalismus. Aktuell steht die Fusion zweier dicker Chemiekonzerne an, die gemeinsam ein neues Präparat gegen MS lancieren wollen. Die Testserie ist zwar katastrophal verlaufen, und es existiert eine Studie, nach der ein großer Prozentsatz der Probanden mit Krebserkrankungen zu rechnen hat, doch ist dieses Gutachten natürlich unter Verschluss gehalten worden, damit unsere Industrie bloß weiter fett verdienen kann. Urs ist ein smarter Stratege ohne viel Skrupel, doch als sich der Verlierer des Deals direkt vor seinen Augen das Gehirn rausschießt, wird er unversehens aus der Bahn geworfen. Ziellos irrt er durch einen Wald, trifft auf einen skurrilen Mittelaltermarkt und dort auf ein Hippiemädchen namens Lucille, mit dem er sich prompt einlässt, weil er sich plötzlich nach einem anderen Leben sehnt. Und weil er Nägel mit Köpfen machen will, besucht er mit ihr eine Séance, bei der die Beteiligten eine Handvoll getrockneter, halluzinogener Pilze einwerfen. Die Folgen allerdings sind für Urs fatal. Denn plötzlich wird er zum unberechenbaren, triebgesteuerten Unhold, der sehr bald nicht nur ein Katzenleben auf dem Gewissen hat…

   Und doch ist er zum Schluss wieder der Gute, der versucht, den schmutzigen Pharmadeal zu verhindern, das finale Duell mit dem fiesen Industriellen Ott aber verliert und sich in den Rücken  schießen lässt. Eine echte Achterbahnfahrt also – erst das anzugtragende Arschloch, dann plötzlich der Ausbrecher, der nach neuen, anderen Wegen Ausschau hält, dann der düstere Wolf, der immer ausrastet, wenn‘s im Ohr zu piepen anfängt, tief drinnen aber immer noch der integre Kerl, der Geschäfte nicht mehr um jeden Preis abschließen will, und dessen Sabotageakte schließlich so gefährlich werden, dass Herr Ott sich seine Flinte und seinen Jagdhund schnappt, um das Problem ein für allemal vom Tisch zu kriegen.

 

   Frustriert brummelt nachher ein Mitgänger vor sich hin, brummelt was von Scheißfilm, der ein geniales Buch für den Mainstream verhunzt habe. Ich kenne Martin Suters Roman nicht, kann hier also keine Vergleiche anstellen, würde auch persönlich nicht unbedingt sagen, dass dies ein Scheißfilm ist, sondern ein sehr stark gespielter, effektvoll inszenierter, düsterer Psychothriller, der nur inhaltlich nicht recht auf den Punkt kommt. Er pendelt zwischen privatem Drama und grimmiger Wirtschaftskritik, macht hier und da auch ein paar gute Punkte, doch habe ich den Eindruck gehabt, dass die Verknüpfung nicht immer ganz geglückt ist. Urs‘ Wandlung vom Saulus zum Paulus wird ebenso schematisch und verknappt entwickelt wie die Figur des Ott, den Prochnow nach klassischer Bauart als narbigen, zynischen Ultramiesling spielt, und der eher ins konventionelle Feierabend-TV gehört. Lucilles interessante Anmerkung, die Pilze hätten in Urs nur das zutage gefördert, was sowieso schon in ihm angelegt war, wird nicht weiter verfolgt, das sich gegen Ende alles auf Flucht und Verfolgung zuspitzt und keine Zeit mehr ist für die Innenschau. Da hilft uns auch nicht das Pink-Floyd-T-Shirt weiter, das Lucille anspielungsreich trägt und das natürlich als klassisches vorausdeutendes Motiv herhalten muss. Leider fehlt uns auch hier ein wenig die nötige Substanz, um die die beiden Seiten des Mondes wirkungsvoll und sinnfällig einander gegenüberzustellen, oder sich etwa der Thematik der inneren Dämonen zuzuwenden, die bekanntlich in uns allen lauern. Natürlich können wir Zuschauer diese Transferleistungen sehr wohl erbringen und alle Lücken schließen, der uns der Film hinterlässt, doch andererseits will der Film ja offensichtlich mehr sein als nur ein spannender Thriller, und genau das schafft er nur zum Teil. Trotz eines Moritz Bleibtreu, der wirklich seine ganze Präsenz in die Waagschake wirft und das richtig gut macht. Vielleicht fehlt auch der Optik hier und da der gewisse Kniff, denn Urs‘ wüste Psychotrips hätte man sicherlich ein wenig einfallsreicher, innovativer bebildern können. Kurz und gut, ein Film mit ein paar interessanten Ideen und Motiven, wie eigentlich immer bei Martin Suter, die aber insgesamt noch etwas besser hätten ausgearbeitet werden können. (25.1.)