Die Welt der Wunderlichs von Dani Levy. BRD/Schweiz, 2016. Katharina Schüttler, Ewi Rodriguez, Peter Simonischek, Christiane Paul, Martin Feiffel, Steffen Groth, Hannelore Elsner

   Im Falle der Wunderlichs ist die Bezeichnung „dysfunktional“ wohl der Euphemismus des Jahres: Die bipolare Horrormama, der manisch-depressive Horrorpapa, die frustrierte, zynische ältere Schwester – und mittendrin Mimi, die verzweifelt strampelt, um inmitten all des Wahnsinns irgendwie ein normales Leben zu führen. Aber weißgott, leicht hat sie es nicht, weil sie zu allem Überfluss auch noch weitere Krisenfaktoren um sie scharen: Ihr süßer kleiner Felix ist ein Junge, der dem Label ADHS mal wirklich alle Ehre macht und sie schon etliche Jobs und Nervenzellen gekostet hat, und ihr Ex ist ein abgefuckter Rocker, Keith-Richards-Verschnitt und allgemein total kaputter Vollhonk. Dann taucht da plötzlich ein komischer Typ auf, irgendwie schmierig aber auch charmant, und stellt ihr total unbeirrt nach, lässt sich gar von ihr mit dem Roller überfahren. Und zu guter Letzt kriegt sie auf einmal komische Anrufe aus der Schweiz, die ihr mitteilen, sie habe einen Platz in der TV-Castingshow mit dem Titel „Second Chance“ ergattert und werde alsbald in Zürich erwartet. Zunächst ist nicht mal im Traum daran zu denken – erstens fühlt sie sich verarscht, weil jemand die CD mit dem Song hinter ihrem Rücken, ohne ihr Wissen und erst recht gegen ihren Willen verschickt hat, zweitens droht Paps die Klinik zu verlassen, auf der freien Wildbahn wieder Unheil anzurichten und sich bei einer seiner Töchter einzunisten, was automatisch zu Mord und Totschlag führen würde, drittens kriegt sie ihren wilden Sohn nicht in den Griff, und viertens ist da dieser komische Kerl, der nicht locker lässt und zu dem sie sich irgendwie auch hingezogen fühlt. Tja, irgendwann beschließt sie dann doch zu fahren und zwar allein, um endlich mal was nur für sich zu tun. Wie wir uns schon denken können, wird auch daraus nichts, natürlich folgt ihr die gesamte Mischpoke und sorgt dafür, dass ihr Leben weiter auf Hochdruck läuft. Die Castingshow geht naturgemäß nicht ohne Zwischenfälle über die Bühne, der eifrige Sohnemann sabotiert die Bewertung der Jury, juristische Konsequenzen drohen, dafür werden Mimi und ihr (nebenbei gesagt total mittelmäßiger) Song bald zu Stars im Netz, und so fährt eine frohgelaunte Familie Wunderlich zurück nach Mannheim.

   Danu Levy hat in so schönen Filmen wie „Mein Führer“ oder „Alles auf Zucker!“ gezeigt, wie man richtig witzige Filme unter Hochdruck gestalten kann, und vor allem an den Zucker-Film fühlte ich mich oft erinnert, eine rasante, irrwitzige Liebeserklärung an eine komplett verrückte Familie, mit der wir es hier ja auch zu tun haben. Die Wunderlichs versammeln so gut wie alles, was man auch dem ärgsten Feind nicht wünscht, in einer einzigen Familie und stellt die arme Mimi mitten rein, als eine Art Hamster im Turborad, der strampelt wie blöd, um zu versuchen, eine unmögliche Jonglage irgendwie auf die Reihe zu kriegen. Katharina Schüttler ist ganz wunderbar in dieser Rolle, die sich sehr angenehm abhebt von ihren sonst oft so sperrigen, spröden Parts. Hier ist sie zur Abwechslung mal ganz geerdet, ganz normal, verzweifelt allerdings tagtäglich am Wahnsinn ihres Psychoclans. Da ist jeder für sich genommen ein genüsslich überzogenes Klischee, und dieses Klischee wird jeweils von den tollen Schauspielern auch mit Genuss auf die Spitze getrieben, sodass ich in der ersten Stunde jede Menge Spaß hatte, auch weil manche Alltagselemente durchaus Wiedererkennungswert haben. Levy hat hier seine überdrehte Truppe noch bestens im Griff, baut locker mal den einen oder anderen Slapstick oder auch Tritt unter die Gürtellinie ein, alles geht so schnell, dass ich als Zuschauer mitgerissen werde und gar keine Zeit habe, der letzten Pointe lange nachzuhören, denn es kommen schon die nächsten. Ich leide mit der aberwitzig gebeutelte Mimi, kann aber auch die Quälgeister um sie herum nicht wirklich verfluchen, denn die können ja auch nix dafür. Das ist hier die Botschaft – Familie ist eben so, du suchst sie dir nicht aus, du musst irgendwie versuchen, damit klar zu kommen, und lieb hast du sie ja alles trotzdem. Leider geht dieser ganze schöne Schwung in der zweiten Hälfte, genauer gesagt ab dem Zeitpunkt, da sich die Bande aufmacht gen Zürich, ein wenig verloren, ich selbst spürte bei mir deutlich ein Nachlassen der Anteilnahme und vor allem des Spaßes. Das Motiv des Roadmovies wird nicht ernsthaft aufgenommen, funktioniert in dieser Hektik sowieso nicht, und die gesamte Sequenz mit der Casting-Show hat mich persönlich weder interessiert noch berührt. Vielleicht, weil mich diese grotesken C-Promi-Events nur anöden, eher noch, weil Levy damit irgendwie nix anzufangen weiß, im Sinne von Komik oder Satire meine ich. Er besetzt Moderatoren und Jury mit echten C-Promis (Kiesbauer, Anders, Setlur), und vielleicht traut er sich deshalb nicht, diesen ganzen Zirkus mal so richtig hopp zu nehmen – wäre ja die Gelegenheit gewesen. Mimis Songs sind wie gesagt total farblos, ihr Duo mit Keith Richards auch, und die Familie Wunderlich insgesamt geht ein wenig im Spektakel unter. Hier hat Levy eindeutig keinen rechten Weg gefunden, den aufgebauten Druck, den sich ansammelnden Wahnwitz überzeugend abzuleiten, ich verliere den Kontakt zu den Figuren und kann mich unmöglich dafür interessieren, ob Mimi zum Star wird oder nicht, denn Mimi ist längst ein Star des Alltags, und das wiegt hundertmal schwerer als alles andere.

 

   Hochdruckfilme wie dieser sind zugegeben nicht leicht zu machen, so dass sie von Anfang bis Ende wirklich durchhalten. Auch Zucker hat zwischendrin so seine kleinen Hänger, aber insgesamt hat Levy den viel besser hingekriegt als den neuen Film, der exquisit startet, mich so richtig in den täglichen Malstrom hineinzieht und heftig mitleiden und -lachen lässt, der mich dann aber auf halber Strecke verliert, und zu dem ich bis zuletzt dann keinen richtigen Zugang mehr finde. Finde ich schon etwas schade, denn der Levy ist ja immer einer gewesen, der sich mal was traut. (13.10.)