L’économie du couple (Die Ökonomie der Liebe) von Joachim Lafosse. Belgien/Frankreich, 2016. Bérénice Bejo, Cédric Kahn, Jade Soentjens, Margaux Soentjens, Marthe Keller

   Ich habe ihn wirklich mal geliebt, sagt Marie eines Abends zu ihren Freunden, und so wird es auch gewesen sein. Aber nach ungefähr fünfzehn Jahren ist Maries und Boris‘ Liebe am Ende und ihre Beziehung auch. Was folgt, ist eine Trennungsphase, für die das Wort „hässlich“ erfunden wurde. Er lebt noch im gemeinsamen Haus, das vornehmlich von ihrem Geld und dem Geld ihrer wohlhabenden Eltern finanziert wurde, doch versucht sie dauernd, irgendwelche Regelungen durchzusetzen, die er wiederum konsequent unterläuft. Denn die beiden haben Kinder, zwei Mädchen, Zwillinge, und die sind natürlich ein wesentlicher Streitfaktor. Der andere ist das liebe Geld – er ist Architekt, arbeitet unregelmäßig, hat hier und da mal Geldprobleme, lässt sich hier und da mal mit windigem Volk ein, und stets ist sie in die Bresche gesprungen mit dem Geld, das sie selbst verdient, und diese Karte spielt sie nun mit schöner Regelmäßigkeit aus, um ihm klarzumachen, dass er keinerlei Anspruch auf das Haus hat und mit der von ihr festgesetzten Abfindung gefälligst zufrieden sein muss. Genau das tut er aber nicht, macht wiederholt geltend, dass er die Inneneinrichtung nicht nur entworfen sondern auch selbst weitgehend in Eigenarbeit besorgt hat, was ihn dazu führt, die Hälfte des von einem Gutachter festgesetzten Wertes einzufordern. Und so besteht der gemeinsame Alltag dieser vierköpfigen Familie aus einer kraftraubenden Aneinanderreihung von Spannungen bis hin zu offenem, wütendem Streit. Sie zickt, giftet, versucht die Oberhand zu behalten, auch bei den Töchtern, er poltert, droht, kommt mit fiesen Tricks, lässt sich nach Männerart selten auf eine offene, faire Auseinandersetzung ein, versucht, dicht an den Mädchen dran zu bleiben und verdirbt ihr mit Genuss den oben erwähnten Abend mit Freunden, die einst natürlich auch mal seine Freunde waren. Nach langem Hin und Her finden sie dann aber doch einen Modus Operandi, legen die Aufteilung des Geldes und eine Besuchsregelung fest, und im Sinne der beiden kleinen Mädchen kann man nur hoffen, dass sie auch eine anständige Form des Umgangs miteinander finden werden.

   Bis auf einige ganz kurze Szenen im letzten Viertel des Films (Krankenhausflur, Auto, Straßencafé) beschränkt sich die Erzählung vollkommen auf das Haus der Familie, auf Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer, und diese Beschränkung, die zu keinem Zeitpunkt gezwungen oder künstlich wirkt, ist ein maßgeblicher Faktor für die großartige Intensität dieses Films. Der keinen grotesk überspitzten Rosenkrieg zelebriert, auch kein triefendes Melodram, der einfach so nahe dran ist an unseren Alltagserfahrungen, an Dingen, die jeder selbst schon erlebt oder in unmittelbarer Nähe mitbekommen hat, dass jeder Versuch mildernder Komik verpuffen würde, jedenfalls was mich betrifft, da bin ich sicher. Komisch fand ich den Film an keiner Stelle, andererseits auch nicht übermäßig düster oder dramatisch. Buch und Regie sind den Personen durchaus nahe, bleiben ja praktisch die ganze Zeit an ihnen dran, begleiten sie durch die Wohnung, durch ihren Tag, und doch rücken sie ihnen nie zu dicht auf den Pelz, machen es uns durchaus nicht leicht, uns mit dem einen oder anderen zu identifizieren trotz der Alltäglichkeit ihrer Situation. Marie und Boris sind Menschen, die sehr aus dem wahren Leben zu stammen scheinen – widersprüchlich, launisch, impulsiv, mal bockig und streitlustig, dann wieder versöhnlich und fast schon sanft. Einmal kommt es gar zu einem vorübergehenden Wiederaufflammen alter Gefühle, dem dann allerdings die unweigerliche Ernüchterung am Morgen danach folgt. Vor allem Marie ist verbittert, enttäuscht, gestresst. Der Alltag mit den beiden quirligen Mädchen, ihrem Job und dem Haushalt fordert sie vollkommen, und dann taucht immer wieder Boris auf, der sich nicht an Verabredungen hält, der sich im Haus einnistet, weil er keine andere Bleibe findet, der auch keinen Job hat, sondern zu alledem noch Ärger mit Geldeintreibern von seinen diversen Schulden, über deren Herkunft und Ausmaß wir auch niemals vollständig aufgeklärt werden. Hier liegt jedenfalls auch eine Ursache für Maries Frust, denn oft genug hat sie offenbar seine Finanzlöcher gestopft, ist sie in die Bresche gesprungen, hat sie Angst und Wut über seine Verantwortungslosigkeit heruntergeschluckt. Verantwortung ist ja immer ein bevorzugtes Thema zwischen Männern und Frauen, vor allem, wenn es um gemeinsame Kinder geht, und auch in diesem Film finden sich etliche Beispiele dafür, und in der Regel, wie sollte es auch anders sein, ist er es, der etwas versäumt, vergisst, der die versprochenen Fußballschuhe nicht kauft, und folglich geschieht es auch unter seiner Aufsicht (oder eben fehlenden Aufsicht), dass sich eins der Mädchen mit Mamans Schlaftabletten vergiftet und im Krankenhaus landet. Die jeweiligen Schwiegereltern sind ebenfalls beliebtes Zankobjekt („Du hast meine Mutter ja noch nie ausstehen können…“), und wenn Marie strikt dagegen ist, Boris bei ihrer Mutter notwendige Renovierungsarbeiten durchführt, gibt es dafür keine einzige sinnvolle Begründung, außer der, dass sie Boris mit allen Mitteln auf Abstand halten will, und dazu gehört eben auch ihre Mutter, die sich mit Boris zu ihrem Verdruss sowieso noch ganz gut versteht. Genauso reagiert sie eifersüchtig, wenn Boris die Kinder mit zu seinen Eltern nimmt, weil sie dort ihrer Kontrolle entzogen sind und sie wahrscheinlich wer weiß was befürchtet. Diese Formen von Missgunst und Misstrauen sind auf jeden Fall ein zuverlässiger Indikator für das Ende einer Liebe.

   Und so ließen sich noch zahlreiche andere Situationen und Motive erzählen, die direkt aus eigenem Erleben entnommen zu sein scheinen. Manchmal tut dieser Realismus fast schon weh, vor allem wenn der bedrohliche Eindruck entsteht, dass sich Marie und Boris in ihren Streitereien regelrecht verlieren. Ihr zähes Gefeilsche um seinen Anteil hat ja nur an der Oberfläche etwas Sachliches, im Grunde ist es nur ein verlagerter Schauplatz ganz anderer Konflikte und Emotionen. Und natürlich geht es immer auch um die Frage, wer die Oberhand behält, wer die Bedingungen festlegen kann, wer sich mit seinen Forderungen durchsetzen kann, und da gibt sich Marie schon sehr dominant und harsch, während er oft buchstäblich wie ein Ertrinkender strampelt, um nicht ganz unterzugehen. Weshalb uns ihr kurzer abendlicher Abstecher ins Bett wohl auch nicht ernsthaft hoffen lässt, dass es mit ihnen vielleicht doch noch was werden könnte.

   Bérénice Bejo und Cédric Kahn spielen das fantastisch und finden genau den richtigen Ton, der uns manchmal durchaus abstößt, uns aber sogleich daran erinnert, dass wir ganz genau so sind und uns vermutlich ganz ähnlich verhalten würden. Bedrückend realistisch sind auch die Beobachtungen der beiden Mädchen, die zwar psychologisch gesehen nicht in gleichem Maße erforscht werden wie Marie und Boris, deren Reaktionen jedoch oft einen beklemmenden Kommentar zu den Auseinandersetzungen ihrer Eltern abgeben, und uns vor allem immer vor Augen führen, dass es hier Leidtragende gibt, die nun gar keine Möglichkeit haben, das Geschehen irgendwie zu steuern, die ständig zwischen Hoffnung und Angst zerrissen werden und mit denen überdies ein grausames Spiel gespielt wird, denn natürlich versuchen Maire und Boris immer wieder, die Töchter jeweils auf ihre Seite zu ziehen. Und auch das ist in solchen Situationen leider allzu normal.

 

   Ein sehr eindrucksvolles, eindringliches Ehedrama, das sein Thema weder verwässert noch künstlich erschwert, das uns nicht erschlägt, das uns aber auf keinen Fall irgendwelche seichten Konzessionen zumutet. Vielmehr ein Film aus dem Alltag, und die sind mir ja oft die liebsten. (16.11.)