Egon Schiele: Tod und Mädchen von Dieter Berner. Österreich/Luxemburg, 2016. Noah Saavedra, Maresi Riegner, Valerie Pachner, Marie Jung, Elisabeth Umlauft, Larissa Breidbach, Thomas Schubert, Cornelius Obonya

   Noch ´ne Künstlerbiographie, und wie bei so vielen (siehe auch Cézanne und Zola vor kurzem), hab ich auch diesmal den starken Eindruck, dass es offenbar sehr schwer ist, die Essenz des Künstlers, seiner Motive und vor allem der Kunst selbst zu erfassen. Klar, niemand will nur den Maler bei der Arbeit zeigen, aber vielleicht wäre das am Ende aufschlussreicher als ein Produkt wie dieses, das uns zwar aus Egon Schieles kurzem, wildem Leben erzählt, ihn mir aber trotzdem nicht richtig nahebringt und erst recht kein wirkliches Gefühl für seine Kunst vermittelt.

   Apropos kurzes wildes Leben: Mit achtundzwanzig in Wien an der Spanischen Grippe verstorben, kurz nach seiner schwangeren Ehefrau Edith, ein umstrittenes und streitbares Genie, Mitglied der Wiener Sezession, Freund von Gustav Klimt, der ihn wie einige andere Kunstmäzene gezielt förderte, Anstoß öffentlichen Ärgernisses, vor allem moralischer Empörung, angeklagt und sogar kurzzeitig inhaftiert und letztlich vom Land wieder in die Stadt vertrieben, wo es weniger eng und prüde zuging. Dort bandelt er mit zwei Nachbarstöchtern an, macht der einen Hoffnung, ehelicht dann aber die andere, was den Bruch mit seiner langjährigen Muse und Geliebten Wally bedeutet, denn beide Frauen bestehen darauf, dass er sich endlich mal entscheidet, statt wie üblich die von ihm bevorzugten Dreiecksverhältnisse zu pflegen.

   Also heißt es eigentlich Schiele und die Frauen. Sein erstes Modell ist seine jüngere Schwester Gerti, die ihm bereits als minderjähriges Mädchen für seine Akte zur Verfügung steht, so wie er auch später immer wieder mit Kindern arbeitet, was naturgemäß nicht immer und überall auf Wohlwollen stößt. Doch er gibt sich kompromisslos, selbstbewusst, ringt um die Freiheit der Kunst, die er eben auch auf seine persönliche Freiheit ausdehnt und in seinen vielen Frauenbeziehungen auslebt. Gerti bleibt ihm die treueste Begleiterin, heiratet einen Künstlerkollegen, bewacht mit stiller Eifersucht seine vielen Liebschaften, und im Film wird durchaus eine gewisse inzestuöse Neigung zumindest ihrerseits angedeutet. Dann tritt die exotische Tänzerin Moa in sein Leben, wird Geliebte und Modell, bevor er mit Wally seine langlebigste Bindung beginnt, die jäh durch ihren frühen Tod in Dalmatien endet, wo sie im Rahmen eines Sanitätseinsatzes im Krieg an Scharlach verstirbt. Dorthin hatte sie sich geflüchtet, um ihm und Edith nicht im Weg zu stehen und weil sie einsehen musste, dass er sich eigentlich niemals an irgendjemanden richtig binden würde.

   Ein echtes Künstlerleben also, egozentrisch, rücksichtslos, leidenschaftlich, vollkommen der Kunst verpflichtet. Wie geschaffen für einen Kinofilm, so richtig auf dem Vollen schöpfend. Doch statt wirklicher Leidenschaft sehen wir zugegeben äußerst gekonnt gestaltete gepflegte Bilder, sehen einige schöne nackte Damen, sehen Schiele lieben und leben und streiten und leiden, doch nichts davon kommt so recht zu mir rüber, alles bleibt gediegen, brav, rein auf den ästhetischen Schauwert konzentriert. Schieles Obsession für den Akt, den weiblichen Körper, seine Getriebenheit, Besessenheit werden nicht im Ansatz erfasst und ergründet, auch künstlerisch nicht nachvollzogen. Ein paar schöne nackte Damen reichen eben nicht aus, um uns begreiflich zu machen, wo diese immense Leidenschaft wurzelte. Wie so oft eilt der Film durch die Biographie, pickt sich ein paar markante Stationen raus, bemüht sich redlich, die wesentlichen Stichpunkte abzuhaken, ist aber nicht gewillt, eigene Schwerpunkte oder Perspektiven anzubieten, geht also auch bei seiner Darstellung der verschiedenen Liebesbeziehungen kaum in die Tiefe. Schade, denn die Schauspieler sind allesamt sehr gut und kriegen es fast fertig, die schicken Tableaus doch noch mit Leben auszufüllen. Mal sind wir am Mittelmeer, mal draußen auf dem Land, am häufigsten natürlich im Wien der moderne, des Jugendstils, des aufkommenden Expressionismus, doch nie haben wir Zeit, uns in die jeweilige Umgebung einzuleben, immer geht es weiter, kein Raum zum Atmen, zum Atmosphäre tanken. Wahrscheinlich hab ich einfach falsche Vorstellungen vom Film… Aber nein, ich denke an Jacques Rivette und seine Querulantin, denke auch an Pialats van Gogh oder Truebas Film über das Mädchen und den Künstler von vor einigen Jahren und sehe, dass es durchaus möglich ist, Malerei auch im Film angemessen zu würdigen und erlebbar zu machen.

 

   Und das wurde hier genauso versäumt, wie im Cézanne-Film von Danièle Thompson im vergangenen Monat. Wir müssen nicht wer weiß wieviele Bilder Schieles zu Gesicht kriegen, aber wenn ich einen Film über einen Kunstmaler sehe, möchte ich etwas über seine Kunst erfahren, über seine Motive, seinen Stil, das, was ihn besonders gemacht hat, was seine Begabung ausmachte. Ich erwarte überhaupt keine kunsthistorische Abhandlung, aber ich finde es doch logisch, wenigstens ein bisschen was über die Kunst selbst in den Film zu integrieren, wenn ich schon einen Maler in den Mittelpunkt stelle und dazu noch einen, der damals für soviel Anstoß und Aufsehen sorgte. Und wie gesagt, es gibt genügend Filme, die beweisen, dass das geht, ich meine, Film ist doch die ideale Kunstform dafür. Man kann das machen wie Rivette, in dem man sich einfach mal die Zeit dafür nimmt, oder in dem man den Schneid hat, vom Schema der konventionellen Biopics abzuweichen, das heißt, sich nicht darum zu kümmern, unbedingt jedes wichtige Datum abzuklappern, sondern einfach mal eine andere Gewichtung wählt, eine eigenständige Auswahl trifft. Tja, hat wieder mal nicht geklappt, und so bleiben viele hübsch anzuschauende Szenen, eine sehr elegante, flüssige Erzählung, prima Schauspieler, im Kern aber ein Vakuum, das nicht aufgefüllt wird. (22.11.)