A tale of love and darkness (Eine Geschichte von Liebe und Finsternis) von Natalie Portman. Israel/USA, 2015. Natalie Portman, Amir Tessler, Gilad Kahana, Makram Khoury, Alexander Peleg, Shira Haas, Neta Riskin, Yonatan Shiray
Den autobiographischen Roman von Amos Oz kenne ich nicht, leider oder gottseidank, wie man’s nimmt, in diesem Fall aber wohl eher letzteres, den so kann ich mir den Film ganz unvoreingenommen ansehen und muss ihn nicht ständig mit der mächtigen, über 800 Seiten starken literarischen Vorlage vergleichen. Und für sich genommen hat mir der Film sehr gut gefallen, zunächst mal, weil die Frau Portman sich für ihr Regiedebut echt was vorgenommen hat. Das ist kein Konsenskino von der sicheren Sorte, das ist wirklich eine sehr anspruchsvolle Produktion, die sich erstens sichtlich bemüht, ein literarisches Werk angemessen abzubilden und die zweitens auf jeden Fall eine Herzensangelegenheit ist, das merkt man ihr sehr deutlich an. Hier hat sich die Portman nicht irgendeinen Stoff ausgesucht, sondern einen, der auch was mit ihr selbst und ihrer eigenen Biographie zu tun hat. Ob sie nun dem Buch gerecht geworden ist, können andere gern beurteilen, das hat für mich in diesem Fall keine Rolle gespielt.
Eine komplexe, zerfurchte, aufgewühlte Chronologie, analog zu der Geschichte, die hier Thema ist. Der alte Amos erinnert sich an den jungen Amos, der sich ebenfalls erinnert. An die Zeit nach 1945 in Jerusalem, wo er mit Mutter und Vater landet, getrennt von einem Teil der übrigen Familie, getrennt von sehr vielen anderen, die in Europa geblieben sind, die meisten von ihnen ermordet. Der Vater ist ein bebrillter, etwas dröger Bürokratentyp, der gerade sein erstes Buch veröffentlicht hat und darauf mächtig stolz ist, wobei er natürlich nicht weiß, dass die gesamte erste Auflage (von sage und schreibe fünf Exemplaren…) von einem befreundeten Schriftsteller aufgekauft wurde, der mit seinem populären Kram bereits richtig Geld scheffelt. Und weil der Vater stolz ist und allgemein sehr mit sich selbst beschäftigt, entgeht ihm der Zustand seiner Ehefrau, Amos‘ Mutter, zumeist. Fania stammt aus einem kleinen Dorf in der heutigen Ukraine, und man weiß ja, was mit Juden in der Gegend geschehen ist. Immerhin kann die Familie rechtzeitig fliehen und entgeht dem großen Nazimassaker, bei dem mehr als zwanzigtausend jüdische Bewohner erschossen werden. Die Übersiedlung ins gelobte Land bewahrt Fania indes nicht vor dem zunehmenden Absinken in eine tiefe Depression, aus der sie nie wieder so recht auftauchen wird. Nur die gelegentliche Flucht in ihre Fantasie, in ihre Geschichten, die der kleine Amos so gern hört und die ihn so sehr inspirieren, oder neue Psychopharmaka vermögen, sie wenigstens für kurze Zeit mal wieder an die Oberfläche zu holen. Ihr Gatte ist weitgehend hilflos, Amos bewacht und beschützt sie so gut er kann, doch hat auch er seine ganz eigenen Probleme zu bewältigen. Seine Eltern lassen ihn damit weitgehend allein, seien selbst erdachten Geschichten helfen auch nicht immer, und so ist der schmächtige, blasse Junge zumeist das perfekte Opfer für die Mitschüler, die immer jemanden brauchen, an dem sie sich austoben können. Amos erlebt den Jubel, als die UN-Resolution Ende 1947 die Spaltung Israels in einen jüdischen und einen arabischen Staat verfügt und damit den Juden die ersehnte Autonomie zuspricht, und er erlebt den Schrecken des arabisch-israelischen Krieges von 1948. Vor allem aber erlebt er die unaufhaltsame Umnachtung der Mutter, die auch von ihrem Besuch bei den Schwestern in Tel Aviv nicht mehr aufzuhalten ist. Sie begeht Selbstmord. Amos wartet ein paar Jahre, bis er alt genug ist, verlässt den Vater dann endlich, geht ins Kibbuz, doch spürt er genau, dass er, egal wie braungebrannt und kernig die Oberfläche wirken mag, innerlich immer der bleiche, schwächliche Intellektuelle bleiben wird, und dass ihm nichts anderes übrig bleibt, als genau mit diesen seinen Fähigkeiten zu leben und diese zu entwickeln.
Natürlich ist vollkommen klar und unvermeidlich, dass etliche Details und Zusammenhänge, die im Roman ausführlich beleuchtet werden können, in knapp einhundert Minuten bestenfalls verkürzt dargestellt werden können, häufig sicherlich auch ganz unter den Tisch gefallen sind. Falls also der Film tatsächlich Anspruch auf Vollständigkeit und eine adäquate Eins-zu-eins-Wiedergabe des Buches erhebt, so muss er ohne Frage als gescheitert eingestuft werden. Ich habe aber den Eindruck, dass Portman dieses Ziel auch gar nicht anstrebt, sondern vielmehr eine ganz persönliche Version im Sinn hatte. Diese Version rückt die Person der Mutter deutlich in den Mittelpunkt, schildert ihren Weg aus Europa nach Israel, ihren vergeblichen Versuch, das Trauma der Verfolgung, dem Verlust der Heimat, der Ermordung vieler Freunde und Angehöriger zu verdrängen, vor allem ihren Versuch, sich mit ihrer neuen Lebenssituation in Jerusalem zu arrangieren. Dem Getrenntsein von den meisten Verwandten. Dem Leben mit einem Ehemann, den sie eigentlich nicht so recht liebt. In ihren leb- und bildhaften Träumen taucht immer wieder das Wunschbild des jungen Pioniers auf, eines attraktiven, dynamischen, tatkräftigen und doch auch seelenvollen Mannes, ein Bild, das mit der Person ihres bestenfalls geschätzten Gatten kaum zu vereinbaren ist. Dieser bewusste Gatte wird sicherlich nicht mit der gleichen Sorgfalt und Komplexität behandelt wie die Fania, aber das finde ich in diesem Zusammenhang konsequent, denn der Film, obwohl aus Amos‘ Sicht erzählt, legt den Fokus halt sehr auf die Mutter und lässt den Vater eher schemenhaft danebenstehen, so wie es aus ihrer Sicht wohl auch zumeist gewesen ist. Auch hier gilt allgemein: Natürlich hätte Portman mehr Zeit und Tiefe auf die Zeichnung der Nebencharaktere verwenden können, es ist halt die Frage, wo ihre persönlichen Prioritäten lagen, und die vertritt sie doch recht überzeugend. Ihre Regie ist sehr gefühlvoll, offenkundig um Ausdruck und Eindringlichkeit bemüht, und sie hat in Slawomir Idziak natürlich auch einen Kameramann, der ein unübertroffener Spezialist für magische Poesie ist, man denke vor allem an seine Arbeit für Meister Kieslowski. Portmann wird vermutlich auch daran gedacht haben, und manch eine Sequenz erinnert auch an den ollen Polen, zumindest zeigt Portman bereits in ihrem Debut ein beträchtliches Talent für starke, effektvolle, wenn man so will literarische Bilder. Sie flicht immer mal wieder einen Zitatenblock von Amos Oz selbst ein, lässt den alten Mann durch das Jerusalem von heute gehen, sozusagen auf Spurensuche in der Stadt, in sich selbst. Ein Land auf der Suche nach dem Weg, genauso wie der junge Amos, der äußerlich dem Ideal des Kibbuzbewohners nacheifert, dabei aber immer irgendwo weiß, dass er niemals hundertprozentig dazu gehören wird.
Fraglos hätte sich Portman auch ne Stunde mehr Zeit lassen können, um die bei Amos Oz so häufig anzutreffende Verknüpfung von offizieller und privater Geschichte gründlicher nachzuvollziehen, und fraglos hätte das ihren Film noch besser machen, ihm noch mehr Substanz geben können. Sie hat sich aber anders entschieden, und ich finde, sie hat es in diesem Rahmen gut gemacht, hat einen ausdrucksvollen, auch kunstvollen Film gemacht, der zwischen persönlichem Schicksal und israelischer Historie einen überzeugenden Bogen schlägt. Ich bin gespannt, ob sie nochmal die Chance erhält, einen Film zu inszenieren, und für welchen Stoff und für welche Vorgehensweise sie sich dann entscheiden wird. (4.11.)