El Clan von Pablo Trapero. Argentinien/Spanien, 2015. Guillermo Francella, Juan Pedro Lanzani, Lili Popovich, Stefanía Koessl, Giselle Motta, Antonia Bengoechea, Gastón Cocchiarale, Franco Masini
Nach dem Verlust des Falklandkrieges geht die Diktatur Galtieri langsam aber sicher den Bach runter. Plötzlich frisst man Kreide und für viele der alten Regimediener ist kein Platz mehr. Arquímedes Puccio, Vater von fünf Kindern, wohnhaft in einem traditionell guten Viertel von Buenos Aires, ist einer davon, aber keiner, der bereit war, sich mit seinem Schicksal abzufinden und den Rest seines Lebens als farbloser Staatsdiener zu fristen. Er nutzt die bestehenden Strukturen, die ihn in jedem Fall noch immer protegieren, um eine ganz neue, lukrative Tätigkeit aufzunehmen, nämlich das Entführen von Leuten aus reichem Hause und das Erpressen hoher Lösegeldsummen. Zweimal geht es gut, er und seine Helfershelfer kassieren die Kohle und töten ihre Opfer eiskalt. Eine dritte Entführung scheitert, weil der Entführte sich wehrt und kurzerhand gleich vor Ort erschossen wird, und eine vierte Entführung zieht sich ewig hin, weil die Familie einfach nicht zahlen will. Mittlerweile ist es 1985 geworden, offiziell herrscht Demokratie im Land, und die alten Seilschaften haben nicht mehr den gleichen Einfluss wie früher. Puccio wird ausdrücklich darauf hingewiesen und gewarnt, ihn könne nun niemand mehr decken, was ihn aber nicht daran hindert, weiterzumachen, im Keller seines Hauses ein neues Versteck zu konstruieren und besagtes viertes Opfer dort zu verstauen. Folglich hat die Polizei, als sie zuschlägt und die gesamte Familie einkassiert, leichtes Spiel bei der Beweisführung, und obwohl Puccio unermüdlich zu tricksen versucht und sich plötzlich als Opfer einer höheren Verschwörung darstellt, gibt’s für ihn und seinen zweitältesten Sohn jeweils lebenslänglich.
Denn ja, die beiden ältesten Söhne haben aktiv bei den Entführungen mitgeholfen, entweder als Lockvogel oder als Fahrer oder um das Opfer in den Bulli zu zerren. Maguila, der älteste versucht sich zu entziehen, indem er auf einer Reise mit dem Rugbyteam nach Neuseeland einfach dort bleibt und nicht zurückkehrt. Alejandro, der zweitälteste, die Hauptfigur des Films, ein hochtalentierte Rugbyspieler, versucht ebenfalls mehrfach, auszusteigen, doch Paps kriegt ihn immer wieder dran mit einer Mischung aus Psychoterror, Druck, Verlockung und Belohnung. Er finanziert ihm einen schicken Surfshop und zieht ein paar Strippen, und außerdem bringt es Alejandro offenbar nicht übers Herz, die jüngeren drei im Stich zu lassen, obwohl sein Bruder Guillermo eines Tages genau das gleiche tut wie Maguila und ihn dringend rät, auch endlich wegzugehen. Er lernt stattdessen die schicke Mónica mit schwedischen Wurzeln kennen und träumt plötzlich von einem bürgerlichen Eheleben, möglicherweise im fernen Europa. Erst im Knast ist er allerdings imstande, seinem Vater den gesamten, in langen Jahren aufgestauten Hass buchstäblich einzubläuen, bevor er sich am Verhandlungstag im Gerichtsgebäude fünf Stockwerke tief in den Innenhof stürzt, allerdings überlebt und doch noch ins Gefängnis muss.
Eine monströse Geschichte, eine wahre Geschichte einmal mehr, ein Stückchen argentinischer Geschichte sowieso, vor allem aber einer Familiengeschichte. Allemann sitzen sie dort am Abendbrottisch oder nachher gemütlich vor dem Fernseher, während zuerst oben in einem abgeschlossenen Badezimmer oder später unten im Keller ihre Opfer wimmern, schreien, um ihr Leben fürchten. Alle wissen irgendwann, dass ihr Vater schlimme Dinge tut, doch niemand stellt ihn infrage, niemand will es genau wissen, alle beruhigen sich mit der Einsicht, er tue es ja doch für sie. Arquímedes ist ein wahrlich furchteinflößender Patriarch, der mit strenger Ruhe regiert, der sie alle bedingungslos unter sein Kommando stellt und auch innerhalb der eigenen Familie das gleiche Prinzip von Gefallen und Gegengefallen etabliert, das auch draußen in der Gesellschaft gültig ist. Was genau er zu Zeiten der verschiedenen Juntas getrieben hat, erfahren wir nicht, dürfen aber mit Sicherheit annehmen, dass es ähnlich widerwärtige Dinge waren, denn immerhin hatten sie den Ältesten schon in die Flucht geschlagen, denn der war lange vor der ersten Entführung fort. Wir erleben Alejandros Kampf um ein eigenes Leben und gegen den erdrückenden Einfluss des diktatorischen Vaters hautnahe und äußerst intensiv, werfen aber zwischendurch immer auch einen Blick auf die andere, zum Beispiel auf die Mama. Was geht in ihr vor? Was weiß sie? Wie steht sie dazu? Immerhin bringt sie den Herren ein kühles Bierchen nach unten in den Keller, als die das zweite Versteckt mauern, könnte also nicht behaupten, sie habe nichts gewusst. Von den anderen, den drei jüngsten Geschwistern, sieht man immer mal eine kurze Reaktion, Unbehagen, Angst, Unsicherheit, doch ist klar, dass sie niemals gegen den unumschränkten Herrscher über ihr Leben aufbegehren würden. Der Einblick in diese Familienstruktur ist fast noch abgründiger als die Gewalttaten, die Puccio mit regloser Miene plant und durchzieht, eine Struktur, aus der es kaum ein Entkommen zu geben scheint, eine Struktur, die letztlich alle zu Mittätern macht und zum Teil auch korrumpiert. Maguila lässt sich nach mehreren Jahren aus Neuseeland zurücklocken und steigt gleich wieder bei Papi mit ein, so als sei nichts gewesen, und auch Alejandro kann der Verlockung des Geldes mehrmals nicht widerstehen. Eine der Schwestern fragt Maguila, weshalb er fortgeblieben sei, und er sagt nur „Aus verschiedenen Gründen“. Hinter dieser Antwort scheint ebenfalls ein ganzer Abgrund zu liegen, den wir Zuschauer uns allerdings selbst ausmalen müssen.
Erzählt wird all dies in höchst kühlem, manchmal fast schon trügerisch beiläufigem Ton, unterlegt von völlig irreführenden Popsongs aus den 60ern und 70ern, die höchstens zur sorglosen Endlosfeier der Upper Clas während der Militärjunta passen, aber nicht zum grausigen Geschehen im Haus Puccio. Die Verflechtungen und Verstrickungen in regimenahen Gesellschaftskreisen werden in wenigen Szenen einprägsam illustriert, der lange und schwierige Weg zurück zur echten Demokratie auch, denn natürlich haben auch weiterhin viele der alten Funktionäre Macht und Einfluss, und auch die Polizeieinsätze sind nicht gerade ein Vorbild an korrektem Verhalten, aber wir erleben schon ein Land im allmählichen Umbruch, und da muss einer wie Puccio möglichst schnell verschwinden, ein lästiges Relikt aus alten Zeiten. Auf überaus geschickte Weise erzeugt Pablo Trapero eine Atmosphäre der Beklemmung innerhalb der Beklemmung, der Enge innerhalb der enge, er zeigt sozusagen eine Diktatur im Kleinen, einen Mikrokosmos, der ein wenig erahnen lässt, welch katastrophale Auswirkungen die vielen Jahren Mord und Gewalt und Terror gehabt haben müssen. Die Spannung entsteht in der Ruhe, der Beobachtung, zum Teil auch in der Fassungslosigkeit, mit der man das Geschehen betrachtet und auch die Menschen darin. Viel, viel schlimmere Dinge sind in Argentinien in diesen Jahren geschehen, das ist gewiss, aber auf jeden Fall strahlen diese Ereignisse auch auf die in dem Film aus, denn einer wie Puccio stand jahrelang über dem Recht, und mit genau dieser Attitüde tritt er noch immer auf. Guillermo Francella spielt diesen Mann faszinierend, extrem sparsam, zugleich aber enorm präsent, und genau das macht frösteln, ein Monstrum mit guten Manieren und mildem Gesicht, das ganz offenbar gelernt hat, die Verantwortung für Leid und Tod ganz weit von sich fernzuhalten, kurz, die unvermeidliche Ausgeburt seines Landes und seiner Zeit. (23.3.)