Fritz Lang von Gordian Maugg. BRD, 2015. Heino Ferch, Samuel Finzi, Thomas Thieme, Lisa Charlotte Friederich, Johanna Gastdorf, Max von Pufendorf, Lena Münchow
Wir schreiben das Jahr 1931: Die wilden Zwanziger in Deutschland sind zu Ende, eine andere Zeit wartet schon, symbolisiert durch die sich immer massiver formierenden braunen Horden, die sich nun regelmäßig brutale Schlägereien mit Kommunisten liefern. Fritz Lang ist der berühmteste Filmregisseur des Landes, sein letzter großer Erfolg war „Die Frau im Mond“ aus dem Vorjahr – ein Stummfilm noch, und das zu einer Zeit, da der Tonfilm schon seinen Siegeszug begonnen hat und einige von Langs Kollegen, wie zum Beispiel G.W. Papst, der just seinen „Westfront 1918“ herausgebracht hat, sind bereits vorangegangen, haben ihn vorübergehend zurückgelassen, überholt, und das wird auch von den Studiochefs moniert. Lang spöttelt und motzt, gibt sich cool und souverän, aber er weiß, dass er an der neuen Entwicklung nicht vorbeikommen wird, dass er unbedingt einen neuen Film braucht. Allein, es fehlt ihm eine Idee, ein Geistesblitz, auch die sonst so zuverlässige Thea von Harbou geizt mit guten Geschichten, und sowieso gestaltet sich ihre privat längst erschöpfte Partnerschaft zunehmend mühsam und distanziert, weshalb lang gern auch die Dienste einschlägiger Damen in Anspruch nimmt. Als er auf einen Zeitungsbericht über die Untaten des Düsseldorfer Frauenmörders Peter Kürten stößt, wendet sich das Blatt. Er zieht ein paar Strippen, profitiert davon, dass er den aus Berlin hinzugezogenen Polizeibeamten Gennat von früher kennt, schaltet sich in die Ermittlungen ein, besichtigt Tatorte und einige Opfer, und erhält zu guter Letzt sogar die Möglichkeit, mit Kürten selbst zu sprechen. Er wird getrieben von Dämonen, wilden Erinnerungen und Visionen, gleichzeitig aber entstehen in ihm erste Bilder seines neuen Films, in dem es um einen Mörder und die Jagd auf ihn gehen soll. Thea schreibt am Drehbuch, Lang holt sich Inspiration vom Massenmörder, der neue Film nimmt Formen an. Schließlich erscheint 1931, ungefähr zeitgleich mit dem Todesurteil gegen Kürten, „M“, Langs bis dahin größter Triumph. Im Abspann lesen wir schmunzelnd: Die Linken lehnen den Film weitgehend ab, weil er angeblich die Todesstrafe postuliert, Goebbels belobigt ihn aus mehr oder weniger ähnlichen Gründen. Jaja, alles eine Frage der Perspektive…
Mauggs Film wird, ob beabsichtigt oder nicht, den Werken seines Protagonisten überraschend gerecht. Optisch und formal bestechend, grandios in Schwarzweiß und mit altem Format fotografiert, inhaltlich dagegen ein wenig vage, diffus, unscharf, genau wie viele von Langs deutschen Filmen. Was haben wir hier – eine kritische Hommage, ein bisschen gehässigen Gossip, ein vertracktes Spiel mit Kunst, Realität, Fiktion, ein wüste Fabel, eine genüssliche Portion Trash – oder am Ende alles auf einmal…? Genau dazu würde ich wohl tendieren, weshalb mir der Film zum großen Teil durchaus Spaß gemacht hat, aber eben nicht immer. Manchmal wird’s ein wenig zu schrill, zu schräg, verzerren sich die Charaktere zu reinen Karikaturen, um kurze Zeit später wieder um Seriosität bemüht zu sein. Doch natürlich überwiegt die Verfremdung, wirkliche Identifikation kann nicht zustande kommen, wirkliche Emotionen beim Zusehen auch nicht, jedenfalls nicht bei mir, und das ist bei einem Hybrid wie diesem Film gelegentlich ein kleines Problem. Für eine reine Satire ist der Film zu wenig distanziert, zu stark verliebt in seine eigene Ästhetik, in Zeichen, Symbole. Seine Position Fitz Langs gegenüber bleibt bis zuletzt ambivalent – ein egozentrisches, koksendes, hurendes Monstrum, ein Getriebener, ein vor der eigenen Schuld Flüchtender? Der Tod der ersten Frau, der große geheimnisvolle schwarze Fleck in Langs Biographie, Mord oder Selbstmord oder Unfall, bindet Lang zum einen an Thea von Harbou, zum anderen an Gennat, der ihn damals am liebsten eingebuchtet hätte, sich dann aber vor Langs einflussreichen Protektoren beugen und die Sache als tragischen Unfall zu den Akten legen musste. Das Gesicht dieser seiner ersten Frau verfolgt ihn seitdem, erscheint auch hier wieder an anderer Stelle, mal in fiebrigen Visionen, mal in weitaus realistischerem Setting. Maugg suggeriert also, dass da eine tiefe, ungetilgte Schuld in Lang schlummert, die nun in der Konfrontation mit dem blutgierigen Mörder Kürten wieder an die Oberfläche kommt, zusammen mit Kriegserinnerungen, die eine weitere beunruhigende Episode enthüllen, in der der junge Soldat lang im Blutrausch und ganz ohne Notwendigkeit gegnerische Soldaten niedermachte. Soll mithin eine Geistesverwandtschaft zwischen Lang und Kürten angedeutet werden? Fänd ich etwas abgeschmackt. Andererseits leitet Maugg seine Story streckenweise äußerst gekonnt aus den tatsächlichen Ereignissen ab, spinnt ein Garn, das durchaus plausibel sein könnte und das lang einerseits entblößt, um ihn andererseits nur noch mehr zu mystifizieren. Ein kunstvolles Vexierspiel mit der Kunst also. Und auf jeden Fall ein Film, den man in dieser Form nicht allzu häufig zu sehen bekommt.
Ein entschiedenes Problem hab ich aber doch damit, und das hat vorrangig mit der Besetzung zu tun, denn die ist meiner Ansicht nach nicht so ganz geglückt. Erstens war Heino Ferch noch nie mein Lieblingsschauspieler, und ihn hier ein weitere mal seine steifnackige Masche abziehen zu sehen, hat mich nicht sonderlich froh gemacht. Zweitens ist er klar zu alt für die Rolle. Drittens ist Johanna Gastdorf erst recht viel zu alt für ihre Rolle. Viertens ist die Besetzung des jüngeren Paares Lang und Harbou fast schon grotesk schief – denn zwischen den Ereignissen rund um den Tod der ersten Ehefrau Langs und der Vorbereitung von „M“ lagen höchstens zehn Jahre, während der Altersunterschied der Schauspieler mindestens auf das Doppelte hinweist. Aber immerhin sind Thieme und besonders Finzi sehr überzeugend in ihren Rollen und sorgen für einige vergnügliche und anspielungsreiche Momente - auf die ausführlichen Peter-Lorre-Szenen hätte ich verzichten können, denn mit Finzis jederzeit mild beherrschtem Kürten hat das gar nichts zu tun.
Gordian Maugg ist auf jeden Fall einer, der sein ganz eigenes Ding macht, der seine Vorstellungen von Ästhetik konsequent umsetzt, wie auch schon in dem Olympiafilm aus den Neunzigern, das letzte Lebenszeichen, das ich von ihm zur Kenntnis genommen habe. „Fritz Lang“ ist auf jeden Fall äußerst ungewöhnlich und interessant, absolut nicht frei von Makeln, reich an kontroversen Momenten und Gedanken, und wer mag, findet hier einigen Diskussionsstoff, wenn‘s auch bei Tageslicht besehen um nicht viel mehr geht als Spekulation und Illusion. Reizvolles Kino ist dabei allemal entstanden. (22.4.)