Janis: Little Girl Blue von Amy Berg. USA, 2015

   Janis Joplin ist sicherlich eines der prominentesten Mitglieder im “Club 27”. Letztes Jahr gab’s schon Amy Whinehouse, die ebenfalls die „Ehre“ hat, dazu zu gehören, und wenn man beide Biographien nebeneinander stellt, finden sich doch etliche Parallelen. Was sagt mir das? In den letzten vierzig Jahren hat sich im Pop-Business verdammt wenig getan. Schon traurig irgendwie. Noch ein Mädchen aus engem Elternhaus, missverstanden, wenig geliebt, das auszieht in die große weite Welt, um dort eben Anerkennung, Liebe und Ruhm zu ernten, das all dies dort in reichem Maße findet und gleichzeitig dran zugrunde geht. Maßgeblichen Anteil daran hat der mörderische Drogenkonsum, der offenbar notwendig ist, um all das erstens überhaupt zu ertragen und um sich zweitens offen zu machen für jene intensiven Emotionen, die sowohl Joplin als auch Whinehouse als Sängerinnen auszeichneten und zu bewunderten Stars machten. Ich hab das grundsätzliche Problem, weder besonders empfindsam noch besonders anfällig für Drogen zu sein, also sitz ich vor der Leinwand und frag mich immer, ist das nun eine große Tragödie oder nur bedauerliche Verschwendung, finde immer von beidem etwas in diesen Geschichten und frag mich auch, was diese Leute noch alles hätten schaffen können, wenn sie nicht so ruinös gelebt hätten. Aber klar, ich weiß schon, 27 Jahre volle Pulle gelebt sind immer besser als 70 Jahre im Mittelmaß dahingeschleppt, oder wie sagt‘s Neil Young – it’s better to burn out than to fade away…

   Im Vergleich zu Whinehouse hatte Joplin ehrlich gesagt auch noch erschwerte Bedingungen: Wer im tiefsten Texas der späten 50er und frühen 60er heranwachsen musste, hatte bestimmt einiges auszuhalten, erst recht, wenn man kein stromlinienförmiges All-American-Girl war, sondern eher etwas pummelig und nicht so glattgestriegelt. Janis ist beliebtes Mobbingopfer, die Eltern verstehen sie sowieso nicht (und werden es bis zuletzt nicht schaffen), die beiden jüngeren Geschwister sind keine Hilfe. Früh entdeckt sie hingegen ihre Liebe zur Musik und ihre Fähigkeiten als Sängerin rauer Folk- und Bluessongs, also bietet Austin als nächste größere Stadt den ersten Zufluchtspunkt, später dann ab 1963 vor allem San Francisco, wo sie enthusiastisch in die dort entstehende Jugendszene eintaucht, integraler Teil dieser Szene wird, sich mit den Grateful Dead befreundet, Affären mit Pigpen und Country Joe McDonald hat, und schließlich als Frontsängerin der Big Brother and the Holding Company langsam aber stetig zu Bekanntheit und schließlich Ruhm gelangt. Monterey, Woodstock undsoweiter. Aber auch Alkohol und Heroin in Unmengen, immer wieder Versuche, davon loszukommen, immer wieder Rückfälle aus verschiedenen Gründen, Entfremdung von vielen Wegbegleitern, gelegentliche Aufenthalte in Texas, wo sie nicht wieder heimisch werden will. Andere Bands, erfolgreiche Tourneen, im Suff und Rausch total vermasselte Konzerte, noch mehr Liebschaften, ohne je den einen auf Dauer zu finden, dann Drogentod im Oktober 1970, willkommen im Club.

   All dies zeigt dieser Film (im Original von Chan Marshall alias Cat Power erzählt, die ja auch einiges von der Materie versteht…), und damit zeigt er mir wenig Neues. Hätte ich vielleicht auch nicht erwarten dürfen, wohl aber, dass sich mal ein origineller, eigener Ansatz findet, aber auch das ist nicht der Fall. Amy Berg verlässt sich auf die mittlerweile standardisierte Vorgehensweise, montiert in schneller Reihenfolge Biographieschnipsel von hier und dort, baut in ebenso schneller Folge Interviewhäppchen ein, alles ganz kurzweilig und zügig, unterlegt mit fortdauerndem Soundtrack und ästhetisch absolut konform zu heutigen Sehgewohnheiten, die eben auch auf Dokus übergegriffen haben. Das wäre für mich okay, wenn ich inhaltlich wesentlich Interessantes zu sehen bekäme, im Grunde aber sehe ich die übliche Geschichte und die üblichen Themen und Motive. Das mag daran liegen, dass Janis Joplins Geschichte eben so typisch und durchschnittlich für ihre Zeit und ihre Generation war, doch im Verlauf des Films geht sie als eigene Persönlichkeit immer mehr verloren, geht ein wenig unter in der allgemeinen Anekdotenflut, die fast schon wieder was nostalgisches hat. Die vorgelesenen Briefe zwischendrin sind eigentlich ein ganz guter Ansatz, wie wahre Janis jenseits der verklärten Erinnerungen alter Männer zu entdecken, doch leider sind diese alten Männer deutlich im Übergewicht, und wenn Joplin ihre Geschichte selbst erzählen könnte, würde sie es mit Sicherheit auf andere Weise tun als diese Jungs, heißen sie nun Cavett oder Kristofferson oder Weir oder Big Brother oder sonstwie. Amy Berg findet leider auch nicht zu einer eigenen Darstellung, sie folgt den Reminiszenzen mehr oder wenig kommentarlos, letztlich auch widerspruchslos, ganz der gültigen Regel, dass ein Dokumentarfilm gefälligst keine eigene Meinung zu vertreten hat. Warum ich den Film dennoch ganz gern gesehen habe? Ich liebe halt die Musik der 60er, höre und sehe gern zu, wenn Filme von damals laufen, finde Joplin als Livekünstlerin nach wie vor toll, kann auch absolut nachvollziehen, wie ihr Auftauchen in der anfangs eher noch betulichen weißen (!) Frauenrockszene gewirkt haben muss. Außer ein paar akademischen Folkdamen und Grace Slick war ja noch nicht soviel los anno 66 oder 67 (Soul und Jazz nicht mitgerechnet, siehe oben), und so kommt es, dass Mama Cass mit vor Staunen offenem Mund vor der Bühne in Monterey hockt und man ihr bewunderndes „Wow“ deutlich von den Lippen ablesen kann. Diese Explosivität wirkte so enorm, weil es eben sonst nichts Vergleichbares gab, und auch hier fehlt im Film eine Einordnung, hätte gern mal ein Blick geworfen werden können auf die Szene Mitte der 60er, um zu begreifen, wie besonders Joplin und ihre Bühnenpräsenz wirklich waren. Diesem kurzen, extrem intensiven Strahlen des neuen Sterns folgen Abstürze, Comebacks, neue Exzesse, Katastrophen und Triumphe und der vergebliche Kampf gegen die Sucht, doch was genau dieses intensiv und schnell gelebte Leben ausmachte, kann uns auch Amy Berg nicht erklären. Geht vielleicht doch nur mit Speed oder anderem Dreckszeug.

 

   Also, ein paar nette Erinnerungen an die „gute alte Zeit“, ein Haufen guter Musik, ein paar ledrige alte Gesichter, die man lang nicht mehr gesehen hat (die man aber auch nicht sonderlich vermisst hat, um ehrlich zu sein), und die neuerliche Einsicht, dass wirklich gute, eigenwillige, eigenständige Dokumentarfilme selten zu sehen sind. Auch dieser hier gehört nicht dazu. (1.2.)