An (Kirschblüten und rote Bohnen) von Naomi Kawase. Japan/Frankreich, 2015. Kirin Kiki, Masatoshi Nagase, Kyara Uchida, Etsuko Ichihara, Myoko Asada, Miki Mizuno
Ich nehme jetzt einfach mal den Faden aus dem Vorjahr auf und beginne mit einem herzlichen Salut auf das neue Filmjahr und die Hoffnung, es möge wieder die eine oder andere Hintertür zu neuen Horizonten öffnen. Auf geht‘s.
Essen und das Leben, die Liebe, der Tod oder auch die Weisheit allgemein sind in Wohlfühlfilmen immer schon eine wohlfeile Verbindung eingegangen. Ausnahmen bestätigen die Regel, ist klar. Eine davon geht übrigens ausgerechnet auf das Konto eines Japaners: Juzo Itami fabrizierte einst vor vielen vielen Jahren jene köstliche sexy Food-Farce „Tampopo“, die ebenso anschaulich wie höchst delikat illustrierte, wie (und wo…!) Essen als Aphrodisiakum eingesetzt werden könnte. Genial, anarchisch, durchgedreht, gut, aber darum soll es hier ja nicht gehen. Naomi Kawase ist erwartungsgemäß von diesen Gefilden ziemlich weit entfernt, sie setzt wie in ihren früheren Filmen (sofern sie denn hier überhaupt sichtbar waren…) auf Innerlichkeit und Kontemplation, und sie tut dies mit ihrer bewährten Könnerschaft, wenn auch insgesamt ein wenig süßlicher als zuvor – für mich hier und da vielleicht schon etwas zu süßlich.
Sentaro hat eine kleine Imbissbude, wo er Pfannkuchen mit süßer Bohnenpaste verkauft (Dorayaki oder so ähnlich heißt das Zeug). Er ist finanziell in Schwierigkeiten (zum Schluss erfahren wir den Grund dafür, nämlich einen Gefängnisaufenthalt nach einer Schlägerei) und noch vom Goodwill der Besitzerin abhängig, die ihn hier seine Schulden abarbeiten lassen. Er sucht eine Aushilfe, und eines Tages stellt sich eine alte Dame namens Tokue vor, ein wunderliches Mütterchen, das verformte Hände hat, dafür aber eine mörderisch gute Bohnenpaste zubereitet, die nix mit dem Fertigfutter zu tun hat, das er immer benutzt hat. Er stellt sie ein, und der Laden boomt plötzlich. Zu den regelmäßigen Gästen gehört auch die junge Schülerin Wakana, die zuhause mit ihrer verwahrlosten Mutter leben muss und daher oft bei Sentaro am der Theke sitzt. Dann aber taucht die Besitzerin auf und erklärt ihm, Tokue sei eine Leprapatientin, die noch immer draußen am Stadtrand in einer alten Leprakolonie lebt, und daher könne er sie auf keinen Fall weiter beschäftigen. Sentaro macht ungeachtet dessen noch eine Weile so weiter, dann aber zieht sich Tokue freiwillig zurück, als sie merkt, dass der Umsatz plötzlich wieder zurückgeht – offenbar aufgrund von Gerüchten, die Wakanas Mutter verbreitet hat. Sentaro und Wakana besuchen Tokue draußen in der alten Leprasiedlung und erfahren viel darüber, was die infizierten in Japan auch noch im zwanzigsten Jahrhundert durchmachen mussten. Ausgesetzt, entrechtet, zwangssterilisiert, häufig, wie auch im Falle Tokues, zu Abtreibungen gezwungen, fristeten sie selbst nach dem Krieg noch ein Leben als Ausgestoßene, die von der Gesellschaft wie Abschaum behandelt wurden. Dennoch erleben Sentaro und Wakana Tokue und ihre beste Freundin Yoshiko als humorvolle, kluge, lebensbejahende alte Damen, die nicht nur einen wahren Schatz genialer Rezepte verwalten, sondern auch über jede Menge Lebensweisheit verfügen. Sentaros Chefin taucht erneut auf, diesmal mit ihrem schlunzigen Neffen im Schlepptau und kündigt Umbau- und Erneuerungsmaßnahmen an. Kurze Zweit später erfahren Wakana und er von Tokues plötzlichem Tod durch eine Lungenentzündung. Sentaro weiß nun, was er tun muss, er lässt den Imbiss sausen und verkauft von nun an auf eigene Rechnung die Dorayakis nach Tokues Rezept.
Wie gesagt, hin und wieder schleichen sich ein paar seichte Töne ein, wird das Ganze für meinen Geschmack arg gefühlig, dann aber gelingen Kawase aber auch viele ihrer bewährt eindringlichen Momente, in denen sie darüber reflektiert, worauf es im Leben ankommt, und das man auf sich, sein inneren Stimme und Impulse hören sollte. Natürlich ist die Personenkonstellation ziemlich schematisch - hier der müde, träge, mutlose Stadtmensch, der jeden Morgen ausgelaugt und frustriert an die Arbeit geht und diese ohne jede Überzeugung verrichtet, dort die exzentrische, aber feinsinnige, weise alte Frau, die gelernt hat, auf die Bäume, den Wind und den Mond zu hören und zu achten, und die auf diese Weise sogar ihren Frieden mit ihrem grausamen Schicksal machen konnte, letztlich sogar über mehr Kraft und auch Lebensfreude verfügt, als einer wie Sentaro, dem es im Vergleich zu ihr noch gut ging, auch wenn er selbst seine Probleme hatte. Durch ihr Beispiel kann er seine Lethargie, sein Selbstmitleid überwinden und seinen Weg finden. Das haben wir schon oft in der einen oder anderen Form gesehen, weshalb mich die Klischees zwischendurch auch mal ein wenig gestört haben, andererseits jedoch findet Kawase immer wieder poetische, leise Töne, die mich dann doch wieder berühren, und sie findet in der Person Tokues und ihrem Erleben ein starkes Sinnbild dafür, wie man sein Leben auch unter unmöglichsten Umständen annehmen und zu etwas Lebenswertem machen kann. Sicherlich spielt hier auch noch eine Menge japanischer Naturphilosophie eine Rolle, die unsereinem vielleicht ein wenig zu esoterisch anmuten mag, vor allem, wenn man ein trockner Fisch ist so wie ich, trotzdem aber gibt‘s den einen oder anderen scharfen Blick auf eine Gesellschaft, die nach wie vor lieber ausgrenzt statt zu integrieren, in der gelebte Menschlichkeit keine Selbstverständlichkeit ist. All dies trifft natürlich nicht nur auf Japan zu, aber hier geht’s nun mal darum. So gesehen interessiert mich die letzte Viertelstunde, in der Tokues Geschichte stärker in den Fokus rückt, deutlich mehr als all das Gewese um die perfekte Bohnenpaste (obwohl ich Dorayaki durchaus gern mal probieren würde), denn das rückt den gängigen Wohlfühlstandards schon sehr nahe, während zum Ende dann andere, ernstere Akzente gesetzt werden, die mich eher an Kawases großartige Filme wie „Der Wald der Trauer“ oder „Still Life“ erinnern. Das Niveau dieser beiden erreicht „Kirschblüten und rote Bohnen“ ganz gewiss nicht, er ist durchaus sehenswert, hat seine schönen Momente, hat auch mich aber nicht den gleichen intensiven Eindruck gemacht wie erwähnte Filme. (5.1.)