La belle saison von Catherine Corsini. Frankreich, 2015. Izïa Higelin, Cécile de France, Noémie Lvovsky, Kévin Azaïs, Laetitia Dosch, Benjamin Bellecour

   Delphine ist eine Bauerstochter aus dem Limousin, handfest und erdverbunden, doch spätestens nach dem Abschied ihrer bisherigen Freundin, die heiraten und die Gegend verlassen wird, gerät auch sie ins Träumen. Schließlich landet sie in Paris an einer Hochschule, doch eigentlich ist sie auf etwas Anderes aus, nämlich Freiheit. Sie liebt Frauen, musste sich daheim immer verstecken, und kommt nun in Kontakt mit feministischen Gruppe, die ihr eine neue Welt eröffnen. Wir schreiben das Jahr 1971, und trotz der Barrikaden von 1968 ist von einem wirklichen Gesellschaftswandel noch nichts zu sehen. Die Frauen haben erkannt, dass sie sich organisieren müssen: Selbstbewusste Aktionen, freche Parolen, gezielte Provokationen gegen das unbewegliche Männerestablishment, hitzige, euphorische, optimistische Meetings in männerfreien Zonen. Delphine sitzt anfangs am Rande, hört zu, begeistert sich mehr und mehr, und sie lernt Carole kennen, eine Spanischlehrerin, die zu den Wortführerinnen der Gruppe gehört. Carole ist nicht lesbisch, doch auch sie verliebt sich schnell in Delphine, die auf ihre ruhige Art so anders ist als ihre agitierten, artikulierten Mitstreiterinnen. Eine Zeitlang versucht sie, die Beziehung zu ihrem Freund aufrecht zu erhalten, doch das klappt nicht, die Liebe zu Delphine ist zu stark. Dann kommt ein Anruf von zuhause, der Vater hatte einen schweren Schlaganfall, und Delphine reist sofort ab, um der Mutter mit dem Hof zu helfen. Auf dem Land ist alles so geblieben, wie immer, nicht von den Aufregungen in der Hauptstadt ist bis hierher geschwappt, auch Delphines stiller Verehrer Antoine ist noch da und hat noch immer nicht verstanden, dass Delphine gewiss nichts von ihm will. Carole kommt einige Zeit später nach, und erst scheint alles gut zu laufen, doch als ihre Beziehung bekannt wird, reagiert Delphines Mutter extrem heftig und abweisend, wirft Carole hinaus, und Delphine, die zunächst ihre Koffer packt und mit Carole zurück nach Paris fahren will, spürt am Bahnhof, dass sie es nicht schafft und geht zurück nach Hause. Die beiden Frauen trennen sich und werden nicht mehr zusammenkommen. Carole lebt fortan lesbisch, Delphine kauft sich im Süden einen eigenen Hof.

   Mit ihrem wunderbaren „Eine Affäre“ hatte Catherine Corsini bereits gezeigt, wie großartig sie einfache Liebesgeschichten zu inszenieren weiß. Das hat sie nun in „La belle saison“ erneut getan, großartig und ganz einfach. Zwei Frauen aus zwei unterschiedlichen Welten verlieben sich, versuchen es, scheitern, Ende. Ein Brief von Delphine am Schluss versöhnt mit diesem Scheitern, versöhnt auch Carole, die sich anfangs nicht damit abfinden konnte, doch die nun offenbar auch zufrieden lebt und weiterhin schwangere Mädchen berät und sich in Frauenfragen engagiert. Delphine schreibt, auch sie habe viel geweint und an Carole gedacht, doch sie habe erkannt, dass man immer nach vorn sehen und in die Zukunft leben muss, sie hatte ihre Entscheidungen getroffen und ihren Frieden damit gemacht. Statt Rührseligkeit und Selbstmitleid also ein sehr schöner, selbstbewusster, starker Schluss mit zwei Frauen, die nicht am Boden zerstört sind, sondern sich gern erinnern, doch jede für sich die Vergangenheit gut überwunden haben und vollständig in der Gegenwart leben. Typisch für diesen Film, dass trotz der großen Gesten und trotz des zwischenzeitlich durchaus intensiven Liebesdramas am Ende diese stillen Momente nachwirken und besonders beeindrucken.

   Ansonsten wendet Corsini viel Zeit und Raum auf, um die unterschiedlichen, fast konträren Lebenswelten der beiden Frauen vorzustellen. Delphine lebt auf dem Land, ist dort verwurzelt, Teil einer Gesellschaft, die auf ganz friedliche Weise konservativ, traditionell geprägt ist, und die natürlich ganz anders aussieht, wenn man sie von außen betrachtet, wenn man nicht dort aufgewachsen und mit diesen Werten erzogen wurde. Homosexualität ist selbstverständlich tabu, Feminismus weit weg, obwohl es zwischen Carole und Delphines Mutter Monique einige sehr aufschlussreiche Unterhaltungen gibt, in denen Carole Monique ihren tiefen Respekt ausspricht, weil sie den Hof auch ohne ihren Mann schmeißt und nur mit Hilfe ihrer Tochter alle Arbeiten selbst übernimmt. Was für Carole ein Zeichen weiblicher Stärke ist, erscheint Monique selbstverständlich und keiner Erwähnung wert. Sie bedauert höchstens, dass kein Mann zur Stelle ist, würde aber nie auf den Gedanken kommen, ihre Leistung irgendwie herauszustellen, als etwas Besonderes zu betrachten. Unentwegte Selbstreflexion trifft auf stilles In-sich-Ruhen, das erst dann vorbei ist, als Monique die beiden jungen Frauen im Bett überrascht. Dann nämlich zeigt sich, wieviel Repression unter ihrer ruhigen Oberfläche zutage kommt, wieviel Angst, Unsicherheit und Wut in Monique vergraben sind. Alles wird auf Carole abgeladen, auf die böse Verführerin aus der fernen großen Stadt, gegen die sie ihre heile kleine Welt mit allen Mitteln verteidigen wird, während die Tochter nach ihrer Rückkehr mit einem selbstzufriedenen, fast triumphierenden Lächeln willkommen geheißen wird. Diese Szenen gehören zu den stärksten des Films, und Noémie Lvovsky spielt sie hinreißend. Ansonsten tragen Izïa Higelin und Cécile de France die Geschichte bravourös, beeindrucken sowohl im Duo als auch solo und sind ein wesentlicher Faktor für die starke Intensität des Films. Higelin legt ihre Delphine folgerichtig als eher zurückhaltend, beobachtend an, betont ihre innere Stärke und Aufrichtigkeit, de France gibt sich temperamentvoll, impulsiv, kämpferisch, und so repräsentieren sie in gewisser Weise jeweils die Welt, aus der sie kommen. Corsini inszeniert gradlinig, vermeidet souverän Klischees, Wertungen, Parteilichkeit, auch die sehr intimen erotischen Szenen kommen ohne Prätentionen oder Kunstanstrengung aus, sie lässt das turbulente Großstadtreiben mitsamt der sendungsbewussten Agitationen und Debatten eher skizzenhaft zur Entfaltung kommen, ohne allerdings zu vereinfachen und zu schematisieren, sie widmet sich im Besonderen dem Leben auf dem Land, das durchaus auch zu etlichen sehr schönen Impressionen inspiriert, die wiederum nicht nur dem Wohlfühlfaktor dienen, sondern auch Delphines Zerrissenheit spiegeln: So sehr sie sich hier in ihrer vertrauten Welt eingeengt fühlt, so sehr hängt sie andererseits auch daran, vermag sich abrupt zu lösen, so wie Carole es fordert, muss ihr eigenes Tempo finden, selbst wenn es um den Preis dieser Liebesbeziehung geschieht. Der Film möchte nie mehr sein, als er ist, eine Liebesgeschichte mit ein bisschen Unterbau, Hommage an die frühen Feministinnen, ein Plädoyer für sexuelle Freiheit. Das ist in jeder Hinsicht geglückt, und deshalb ist der Film auch so gut. (10.5.)