Lou Andreas-Salomé von Cordula Kablitz-Post. Österreich/BRD/Schweiz, 2016. Katharina Lorentz, Nicole Heesters, Liv Lisa Fries, Katharina Schüttler, Matthias Lier, Merab Ninidze, Julius Feldmeier, Alexander Scheer, Harald Schrott, Petra Morzé, Birte Carolin Sebastian
Was für eine Vita – geboren 1861 im russischen Zarenreich, gestorben 1937 im deutschen Nazireich, Ikone der Frauenbewegung, geschätzte Philosophin und Psychoanalytikerin, Geliebte Rilkes, Muse Nietzsches und Schülerin Freuds, ein Leben mitten im geistigen Europa, getrieben von Freiheitsdrang, Neugier, Klugheit und ihrem sprichwörtlichen Narzissmus. Wie kriegt man eine solche schillernde, brillante, vielgestaltige Frau in einen einzigen zweistündigen Film unter?
Nach diesem Film kann es nur eine Antwort geben: Gar nicht. Ein zweifellos ehrgeiziges, spannendes Projekt mit den besten Absichten, nichtsdestoweniger ein für meinen Geschmack auf ziemlich vielen Ebenen misslungener Film, dem es weder gelingt, mir den Menschen Lou von Salomé näherzubringen, noch den historischen und künstlerischen und kulturellen Kontext, in dem sie sich bewegte, den sie prägte, und der sie wiederum prägte. Cordula Kablitz-Post hatte, diesen Eindruck muss ich jedenfalls haben, keine klare Idee, wie sie sich der Person Salomé nähern sollte, was sie zeigen, was weglassen sollte, wo vor allem der thematische und emotionale Schwerpunkt liegen sollte. Das Resultat ist ein höchst diffuses, lückenhaftes, schwammiges Gebilde, das von vielem ein bisschen anreißt und nichts richtig auf den Punkt bringt. Dramaturgisch wie stilistisch extrem uneben, mit einigen amüsanten und auch interessanten Sequenzen und dann wieder länger andauernden Passsagen der Langeweile. Geschliffene Wortfolgen gehen in hölzerne, gespreizte Dialoge über, elegante, originell ausgedachte Standbilder, in denen sich allein die Salomé bewegt wechseln sich ab mit biederem Epochenkino. Schön früh während des Zusehens merkte ich, nee, das isses nicht, vielleicht hab ich einfach auch zuviel erwartet.
Die Erzählstruktur ist recht konventionell, ein Leben in Rückblenden, erzählt von der Salomé selbst, die anno 1933 von einem Bewunderer Besuch bekommt und ihn kurzerhand zu ihrem Biographieschreiber ernennt, misstrauisch beäugt von der „Haushälterin“, die sich später auch als jemand anderes entpuppt, nämlich als Stieftochter aus einer früheren Beziehung des Gatten mit seiner Haushälterin. Salomé fängt an in ihrer Kindheit, ein Porträt des Nesthäkchens als ungezähmter Wildfang, dann geht’s weiter in die Jugend, ein Porträt der Sechzehnjährigen als wissbegieriger Freigeist, dann der erste unangenehme Zusammenstoß mit dem anderen Geschlecht, das erste unausgesprochene Gelübde, sich niemals auf Sexuelles einzulassen, dann die Flucht aus dem Elternhaus in die Schweiz, wo sie bei Paul Rée lebt und über ihn Nietzsche kennenlernt, von beiden bewundert und umworben, beide auf Abstand haltend, dann die Beziehung zu dem jüngeren Rilke, auch nie ganz auf Augenhöhe, zum Teil fast schon mütterlich, letztlich aber doch auch körperlich, dann die merkwürdige (und nie recht erklärte) Zweckehe mit Friedrich Carl Andreas, und so geht es episodenweise weiter, bis ins Berlin der Dreißiger, zu den ersten Verfolgungen, den ersten Verhaftungen, den ersten Bücherverbrennungen, doch wie es mit Salomé während der Nazizeit weiterging, bleibt unklar, wir erfahren lediglich, dass sie ihrem Mann nach Göttingen folgte, wo sie auch starb.
Vieles bleibt unklar, bruchstückhaft, gerade auch vieles, was dringend hätte eingehender beleuchtet oder erklärt werden müssen. Vieles auch, was wirklich interessant und essentiell ist und zu einem Verständnis Salomés und ihrer Zeit unabdingbar gewesen wäre. Wie war das mit dem Feminismus? Wie mit dem Berliner Kreis? Wie war es nun mit ihrem offensichtlich höchst zwiegespaltenen Verhältnis zur Erotik, also dem Dionysischen oder dem Apollinischen, und wie ist ihre Kehrtwende mittendrin motiviert, als sie plötzlich mit jedem schläft, der nicht bei drei auf dem Baum ist? Wie war ihr Selbstverständnis als Frau, als Künstlerin, als Denkerin? Das Stichwort Narzissmus fällt zwar, doch kriegen wir absolut keine Verbindung zu Salomé. Wie war‘s in der Nazizeit? Wesentliche Nebenfiguren, wie etwa auch ihr Mann bleiben total unscharf, andere werden höchsten ikonenhaft eingesetzt, wie etwa Freud, wieder andere schwanken zwischen Karikatur und ernsthafterem Porträt, wie etwa Rilke. Gerade die Frauenbewegung, die Salomé ja offenbar auch für sich vereinnahmte, kommt überhaupt nicht zum Zuge. Und so hängen all die vielen Themen, mit denen sich Salomé zeit ihres Lebens beschäftigte, über die sie auch schreib, mehr oder minder im luftleeren Raum hängen, ich habe als Zuschauer nichts, mit dem ich mich wirklich auseinander setzen kann, und das ist angesichts des spannenden Lebens Salomés viel zu wenig. Man könnte sagen, der Film besteht zu einem nicht geringen Teil aus Nebensächlichkeiten, verliert sich in belanglosem Geplänkel, verschwendet vor allem endlos kostbare Minuten an den Herrn Pfeiffer, den Biographen Salomés, einen einmalig stockigen Kerl mit papierraschelnden Sentenzen, dessen ständige Präsenz mich zunehmend genervt hat. Die Regisseurin kann weder inhaltlich noch künstlerisch nennenswerte Akzente setzen, die Erzählung plätschert so dahin, und wären die vielen erstklassigen Schauspieler nicht, so gäbe es hier wirklich wenig Erfreuliches.
Doch apropos Schauspieler – auch hier ist Kablitz-Post ein eklatanter Fehlgriff unterlaufen. Liv Lisa Fries, Katharina Lorenz und Nicole Heesters sind sämtlich klasse und sehr überzeugend, keine Frage, der Teufel steckt hier eher im Konzept. Fries darf nur die 16jägrige spielen, während Lorenz die kaum machbare Aufgabe hat, dreißig Jahre von 20 bis gut 50 zu überbrücken, was irgendwann nicht mehr glaubhaft ist, egal wie gut die Schauspielerin das macht. Hier sitzt sie folglich mitten zwischen den Stühlen - für die 20jährige ist sie deutlich zu alt, für die 50jährige wiederum viel zu jung. Doof und unnötig, es sei denn, dies ist ein künstlerischer Kniff, den ich Einfaltspinsel nicht kapiert habe. Zudem ist zwischen Fries und Lorenz eigentlich keine Ähnlichkeit zu erkennen (ich jedenfalls erkenne sie nicht), in der Erzählung trennen die beiden aber nur ganze vier Jahre, und es macht irgendwie überhaupt keinen Sinn, dass die Salomé sich in dieser kurzen Zeit dermaßen grundlegend verändert haben soll.
Das zum großen Teil flüchtige, am Ende unbefriedigende Eilen durch die verschiedene Zeitebenen legt den Gedanken nahe, das es besser gewesen wäre, sich auf eine einzige Epoche zu konzentrieren und anhand ihrer dann die wesentlichen Dinge zu Lou Andreas-Salomé zu sagen. So jedenfalls ist es nichts geworden, nichts Halbes und nichts Ganzes, wie man so schön sagt, und das ist angesichts der vielversprechenden Möglichkeiten und der zweifellos äußerst interessanten Persönlichkeit Salomés doppelt schade. Biopics inszenieren sich eben doch nicht von selbst, auch wenn‘s ein Leben wie aus einem Roman war. (30.6.)