Ma ma von Julio Medem. Spanien, 2015. Penélope Cruz, Luis Tosar, Asier Etxeandia, Teo Planell, Àlex Brendemühl, Silvia Abascal
Por ellas heißt es am Ende, für alle Frauen, und in der Tat ist dieser Film eine einzige grandiose Hymne an die Frauen, wie ich sie eigentlich noch nie, oder zumindest seit sehr langer Zeit nicht mehr gesehen habe. Und natürlich denk ich an den anderen großen der zeitgenössischen spanischen Filmemacher, den ollen Pedro Almodóvar, der es ebenso wie Medem mit den Frauen hat und dem ebenso wie Medem schon einige ganz wunderbare Frauenfilme gelungen ist. Vermutlich sagt das was über die Mutter-Sohn-Bindung im katholischen Spanien oder so. Egal, man muss das gar nicht immer tiefenpsychologisch ausloten, man kann sich auch mal nur hinsetzen und genießen, und welcher Film eignete sich besser dafür als dieser.
Magda scheint vom Schicksal verfolgt – ihren Job als Lehrerin wird sie verlieren, weil in Spanien die Zeiten katastrophal sind und über ein Viertel der Menschen bereits arbeitslos. Ihren Mann verliert sie auch, weil der ständig irgendwelche Studentinnen vögelt. Und dann kriegt sie eines Tages von ihrem Gynäkologen Julián die erschütternde Diagnose – Brustkrebs. Sie wird ihre rechte Brust verlieren, sie wird ihre Haare verlieren, die elende Chemo wird sie zerrütten, und dann weiß man trotzdem noch immer nicht, ob sie überlebt. Sie versucht, ihr Leben irgendwie zusammenzuhalten, vor allem wegen Dani, ihres Sohnes, der jetzt gerade auf die Pubertät zusteuert. Dani ist begeisterter und talentierter Fußballer, enttäuscht, weil sie selbst so wenig Ahnung hat und so selten zuschaut, und als sie es eines Tages doch mal tut, lernt sie Arturo kennen, einen Scout für Real, und der bekommt just als sie im netten Gespräch sind, einen Anruf: Frau und Tochter hatten einen Verkehrsunfall, Tochter ist bereits tot, Frau liegt im Koma. Magda begleitet ihn ins Krankenhaus, und besucht ihn auch während der nächsten Tage, obgleich sie selbst die zehrende Chemo über sich ergehen lassen muss. Arturos Frau stirbt schließlich, die beiden werden ein Paar, und auch sonst scheint Magda wieder auf sie Sonnenseite der Statistik gerutscht zu sein, denn die OP verläuft gut, der Krebs scheint besiegt. Doch dann kommt der Schock – die andere Brust ist auch befallen, der Krebs hat bereits gestreut, ist inoperabel, Julián gibt Magda noch ein halbes Jahr. Auch jetzt beschließt Magda, ihr Leben weiter zu genießen, und weil mit ihr und Arturo im Bett nichts läuft, lässt sie sich von Julián in einen Sexclub mitnehmen, aus dem sich übrigens Arturo und Julián bereits kennen. Julián führt sie drei Männern zu, mit denen sie ordentlich Spaß hat, und das Resultat sieht sie kurz darauf, als sei einen Schwangerschaftstest macht. Ein Bild auf Juliáns Schreibtisch hat sie immer schon fasziniert, das Bild der kleinen Natasha, die Julián und seine Frau eigentlich aus ihrem Heim in Sibirien abholen und adoptieren wollten, bis auch ihre Ehe den Bach runterging. Dieses Bild vor Augen hat Magda noch zwei Ziele: Sie will ein Mädchen zur Welt bringen, und sie will dieses Mädchen noch sehen, bevor sie stirbt. Und diese Ziele wird sie auch erreichen.
Auf die Frage, wie man dermaßen viel Schicksal in einen zweistündigen Film unterbringen und nicht im Leid und Tränen absaufen kann, gibt es keine einfache Antwort. Ich kann nur sagen, dass mich dieser Film so bewegt hat wie lange keiner mehr, wahrscheinlich weil Medem ganz einfach mit soviel kompromisslosem Gefühl zur Sache geht, mit soviel entwaffnender Offenheit, Verletzlichkeit und Liebe zu seinen Personen, dass ich gar nicht anders konnte als sehr berührt zuzusehen. Medems Filme sind ja immer so, sehr poetisch, sehr eigenwillig, total unkonventionell, erotisch, riskant, in vielem vergleichbar mit denen seines oben erwähnten Landsmannes. „Ma ma“ macht keine Ausnahme, auf ihn treffen all diese Attribute locker zu, nur scheint Medem die Emotionsschraube nochmals um etliche Umdrehungen angezogen zu haben. Glück und Leid, Zärtlichkeit und Sehnsucht, Einsamkeit und Trauer, alles wird mit maximaler Intensität empfunden und eben auch auf die Leinwand gebracht, und zwar so, und das ist die ganz große Kunst in diesem Fall, dass es niemals falsch, aufgesetzt, kalkuliert oder gar kitschig wirkt. Medem hat sich von Alex Iglésias einen eher dezenten Soundtrack komponieren lassen, der in den starken Momenten eben nicht triumphiert und dominiert, sondern tatsächlich eher dämpfend wirkt, und das hat mich persönlich sehr beeindruckt. Medem braucht keine melodramatischen Effekte, um seine Geschichte wirken zu lassen, er hat nur diese Geschichte, er hat seine bedingungslose Solidarität mit allen handelnden Personen hier und er hat Schauspieler, die sich einfach über jeden Verdacht der Banalität hinwegsetzen. In Almodóvars „Volver“ hatte die Cruz vor Jahren bereits einen sehr eindrucksvollen Part, doch mit „Ma ma“ hat sie sich selbst ein Denkmal gesetzt, hat ihre ultimative Rolle gespielt, und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es für sie nochmal eine Steigerung geben könnte. Wie sie einerseits voll in der Magda aufzugehen scheint und andererseits immer wieder heraustritt aus der Rolle und uns direkt ansieht, stolz, schön, stark, das ist ganz groß. Die Kamera liebt sie, Medem liebt sie, und das kann ich in jedem Moment verstehen. Flankiert wird sie von Tosar und Etxeandia, die in vieler Hinsicht Gegenpole männlicher Typen darstellen. Tosar ist der introvertierte, herbe Typ, Etxeandia der weiche, feminine. Er gibt ein paar wunderbare Songs zum Besten, Szenen, in denen Medem wiederum total aus der Story an sich herausfällt und sich und uns einige Minuten puren Gefühls gönnt. Zum Schluss sehen wir die kleine Natasha umringt von ihren drei Jungs, die für sie singen, über das Leben und was das Leben ausmacht. Wer da nicht zum Tempo greifen muss, der ist wohl noch stockiger als ich.
Darum geht’s nämlich eigentlich, um das Leben und die Lust am Leben, und ich, der sich damit leider seit fünfzig Jahren eher schwer tut, hatte zum ersten Mal den Eindruck, dass sich etwas davon auch mir mitgeteilt hat. Insofern fand ich den Film nicht nur umwerfend schön, sondern sogar auf eine ganz elementare Weise inspirierend. Das kommt nur ganz selten vor. Ein Film wie dieser kommt sowieso nur ganz selten vor. Zum Glück. (13.7.)