Madame Bovary von Sophie Bartes. USA/Belgien/BRD, 2014. Mia Wasikowska, Henry Lloyd-Hughes, Ezra Miller, Logan Marshall-Green, Rhys Ifans, Paul Giamatti, Laura Carmichael
Mehr als anderthalb Jahrhunderte hat der olle Schülerquäler mittlerweile auf dem Rücken, und doch ist Flauberts Roman so faszinierend wie eh und je. Faszinierend scheinbar auch nach wie vor für die Leute vom Film, jedenfalls ist dies die soundsovielte Kinoversion (die mit dem schönsten Titel kommt natürlich aus Teutschland und heißt „Die nackte Bovary“…), wobei mir Chabrols Meisterwerk mit Isabelle Huppert noch in lebhafter Erinnerung ist, obgleich das tatsächlich schon wieder fünfundzwanzig Jahre zurück liegt. Kinners, wie doch die Zeit vergeht…
Sophie Bartes‘ Neufassung kann sich vielleicht nicht ganz mit M. Claude messen, ich finde jedoch, dass es sich um eine durch und durch gelungene und sehr angemessene Verfilmung handelt. Es gibt nur leichte Änderungen dem Roman gegenüber, beispielsweise fällt die gemeinsame Tochter des Ehepaares Bovary unter den Tisch, doch erstens habe ich sie nicht wirklich vermisst und zweitens kommt es vor allem darauf an, Flauberts Ton zu treffen, das Unparteiische, Neutrale, nicht Wertende, und das ist für mein Gefühl hier ziemlich gut gelungen. Bartes hat nicht ganz den Insektenforscherblick Chabrols (aber wer hat den schon…), doch ist es ihr gelungen, unsere Haltung der Emma gegenüber in einer kunstvollen Balance zu halten. Das anfängliche Mitgefühl für die lebenslustige junge Frau, die dem drögen Stoffel Charles in einem Kuhkaff der Normandie ausgeliefert ist und dort langsam aber sicher verkümmert, weicht langsam anderen, differenzierteren Empfindungen. Emma versucht, aus ihrem einsamen, nüchternen, schmuck- und freudlosen Gefängnis auszubrechen, lässt sich von dem gewieften Geschäftemacher Lheureux um den Finger wickeln und zu immer maßloserem Konsum hinreißen, was man noch unter den Stichworten Eitelkeit und Torheit ablegen könnte, doch dann stürzt sie sich nacheinander in zwei Affären mit einem jungen Juristen und einem Marquis aus der Gegend, was unser Bild von ihr dann doch deutlich wandelt, zumal sie blind zu sein scheint für die Realität, dass sie nämlich für bewusste Herren nie mehr ist als ein Abenteuer und keiner von ihnen auch nur einen Gedanken daran verschwendet, sich ernsthaft mit einer verheirateten Frau einzulassen. Flauberts kühler Blick auf die Gesellschaft, auf die der Frau zugedachte Rolle wird in einigen prägnanten Momenten präzis eingefangen, genau wie sein ebenso kühler Blick auf seine Emma Bovary, die sich mehr und mehr verstrickt in die Folgen ihres Tuns, die geradewegs auf ein Tragödie zusteuert, und all dies unter den Augen ihres Ehemannes, der sieht und nicht erkennt. Die konstante Steigerung der Spannung, die Zuspitzung des Dramas wird überzeugend nachempfunden und sehr detailliert entwickelt. Emmas Wut und Enttäuschung, aber auch ihre Selbstsucht und Blindheit für die zu erwartenden Konsequenzen kommen immer stärker, schmerzhafter zum Durchbruch, gleichzeitig verschärfen sich die ablehnenden, ignoranten, feigen Reaktionen der Männer um sie herum. Außer von Charles wird sie von allen anderen benutzt und fallen gelassen, als sie zu anstrengend, zu fordernd wird. Was nicht heißen soll, dass Charles letztlich der einzig Gute in diesem Spiel ist – wirklich gut kommt hier niemand der Protagonisten davon, die Tragödie der Emma Bovary ist eine Tragödie, an der jeder der Beteiligten seinen Anteil hat. Die Gewichtung wird dabei uns überlassen, und das gelingt auch diesem Film, der sich nicht in die klischeehaften Strukturen des Melodramas fallen lässt. Rein äußerlich unterscheidet er sich wenig von herkömmlichen Literaturverfilmungen und Kostümdramen, er ist sehr stimmungsvoll gestaltet, optisch ausgesprochen schön sogar, legt viel Wert auf die Darstellung der ländlichen Strukturen im Gegensatz zu den städtischen in Rouen, nimmt sich fast zwei Stunden Zeit, seine Geschichte sorgsam und eindringlich aufzubauen. Im Mittelpunkt steht, eingerahmt von zumeist jungen, aber gut ausgewählten Herren (und den alten Charakterköpfen Ifans und Giamatti natürlich), Mia Wasikowskas Emma Bovary, und die trägt den Film wirklich sehr souverän. Nach der Alice und der Jane Eyre ist die Emma nun schon die dritte „Klassikerrolle“, und auch diese füllt sie brillant aus, bringt ihre spezielle Ausstrahlung, fragil, etwas spröde, etwas introvertiert und verschlossen, voll zur Geltung und steht der Huppert in nichts nach. Auch ihre Emma ist keine normale tragische Heldin, keine, die „nur“ für die Liebe stirbt oder den gesellschaftlichen Konventionen zum Opfer fällt. Das trifft natürlich zum Teil zu, doch gehört noch mehr zur Person Emmas, und Wasikowska versteht es wie schon Huppert, auch die schwierigen, kontroversen Seiten zum Vorschein zu bringen. Sie beherrscht die zwei Stunden vollständig, tut es wie gewohnt unaufdringlich und mit fantastischem Sinn für Nuancen und Details.
Alles in allem also Literaturkino der guten Sorte, gewissenhaft, komplex, attraktiv, und wenn die ollen Klassiker nach wie vor solch spannende Filme inspirieren, dann kann das meinetwegen gern so weitergehen. Die zweite Alice ist übrigens schon in der Warteschleife, mal sehen, ob die Mia sich dort auch so gut schlägt wie bei Mr. Burton. (17.1.)