Mahana von Lee Tamahori. Neuseeland, 2016. Akuhata Keefe, Temuera Morrison, Nancy Bruning, Regan Taylor, Maria Walker, Jim Moriarty, Sienna McKinlay, Kyra McRae, Tuhiwhakauraoterangi Wallace-Ihakara, Ngahuia Piripi, Yvonne Porter

   Nach vielen Jahren im Niemandsland (dem gleichen Land, das so viele seiner Kollegen aus Down Under beherbergte) ist Mr. Tamahori nun zurück dort, wohin er gehört. Das ist eine gute Nachricht. Die bessere Nachricht ist aber, dass dabei auch noch ein schöner Film herausgekommen ist, ein sehr schöner sogar, den man mit ein bisschen Mutwillen fast schon als klassischem Heimatfilm, bezeichnen könnte. Im Ernst, sowas wurde haufenweise in den 50ern produziert, große Familiendramen vor großer Landschaft. Und bei Tag besehen ist dies hier gar nichts anderes.

   Wir haben zwei große Familienclans, nämlich die Mahanas und die Poatas, die nicht nur um die jährliche Krone der besten und schnellsten Schafscherer wetteifern. Seit Tamihana, der Patriarch der Mahanas, einst jenes Mädchen schwängerte, das längst Rueni Poata versprochen war, und sie damit zwang, mit ihm zu leben und seine Kinder großzuziehen, liegt ein Schatten über der Gemeinde. Erst der vierzehnjährige Simeon Mahana hat Courage und Selbstbewusstsein genug, diese jahrzehntelang errichtete Mauer des Schweigens einzureißen. Er selbst hat sich in ein Poata-Mädchen verguckt und hat im Gegensatz zu seinem eigenen Vater und seinen Onkeln und Tanten keine Furcht vor dem despotischen Opa, der seinen Clan mit eiserner Hand regiert und daran gewohnt ist, dass sein Wort als Gesetz gilt. Er bringt die Dinge in Bewegung, was dazu führt, dass die Mahana-Familie fast gespalten wird, doch erst sein offener Widerstand gegen den Alten bringt auch die Großmutter dazu, über das zu sprechen, was früher geschah, und eben auch die alte legende zu revidieren, nach der Tamihana die Braut knapp vor der Trauung auf einem Pferd tollkühn raubte und für sich gewann. Und ihre Konsequenzen zu ziehen: Sie beerdigt den krebskranken Ehemann, sie trauert um ihm, so wie es sich für eine Ehefrau gehört, doch danach ist sie frei, und ihre Liebe zu Rueni Poata hat weiterhin Bestand, so wie auch seine Liebe zu ihr.

   Man findet hier also so gut wie alle Zutaten, die für ein klassisches Heimatdrama notwendig sind, und Tamahori scheint sich dessen auch sehr bewusst vergewissert und seine Geschichte genau in diesem Sinn erzählt zu haben. Eine gefühlvolle Hommage an sein Volk und sein Land, eine spannende, mitreißende Erzählung. Keine düstere Tragödie wie sein Debut „Once were warriors“, das ihm die Tür nach Hollywood (besagtes Niemandsland) aufstieß, aber auch absolut keine seichte Seifenoper, obgleich das potentiell möglich gewesen wäre. Stattdessen ein Film, der neben allen Privatthemen auch einiges über die Situation der Maori zu berichten hat und dies so geschickt integriert, dass keine Ethnostudie entstanden ist, sondern ein ziemlich organisches Ganzes. Das Zusammenleben mit den weißen Siedlern in der Kleinstadt trägt zum einen Züge einer kolonialen Gesellschaft, zeugt zum anderen aber auch von einem komplexeren Gebilde, von Lebensumständen, die die Leute dazu gezwungen haben, auf andere als auf strikt hierarchische Weise miteinander zu leben du zu arbeiten. Wir befinden uns irgendwo in den frühen 60ern, im Kino wird „3:10 to Yuma“ mit Glenn Ford und Van Heflin gezeigt, bald läuft „Flaming Star“ mit Elvis an, sämtlich heiß begehrte Ereignisse auf dem Land, und wir haben hier eine Maorigemeinschaft, die nicht von Alkohol und Gewalt zerrüttet, sondern weitgehend intakt, wenn auch gänzlich bezogen auf die weißen Farmer ist. Denn die sind die Arbeitgeber, die verteilen die lukrativen Scheraufträge an die Familien, und obwohl wir in diesem Film keine Szenen explizit brutaler Unterdrückung zu sehen bekommen, ist diese Abhängigkeit, die dann doch eine klare Hierarchie impliziert, stets präsent. Noch interessanter ist die Szene bei Gericht, die Simeons Schulklasse mit einem System konfrontiert, das ganz klar auf Segregation und Diskriminierung basiert. Die Maori dürfen ihre Sprache nicht sprechen, haben vielfach gar keine Möglichkeit, sich zu verteidigen oder auch nur Stellung zu beziehen, werden locker aus der Hand zu Freiheitsstrafen verdonnert, ohne dass sich der mild gelangweilte Richter jemals die Mühe macht, den Sachverhalt eingehender zu beleuchten. Hier tritt die koloniale Herrschaft noch ungeschminkt zutage, hier haben sich die weißen Kolonialherren eine Rechtsprechung zurechtgelegt, die die Maori zu mehr oder minder sprach- und rechtlosen Objekten degradiert. Tamahori eignet sich dabei die Haltung Simeons an: Statt des geplanten und vorbereiteten Lobgesangs äußert er seine Meinung, seinen Protest ganz ruhig, unaufgeregt und dennoch klar und mutig. Die Maori selbst nehmen das verblüfft zur Kenntnis – sie sind es nicht gewohnt, dass jemand die Verhältnisse anprangert, haben sich weitgehend längst damit abgefunden. Simeon hat, obwohl er das eigentlich nicht zugeben will, die Charakterstärke seines Großvaters geerbt, und dieser erkennt das letztlich auch, weiß, dass allein Simeon die Eier hat, die große Familie zusammen zu halten. Folglich ist es auch Simeon, der nach Tamihanas Tod die Wahrheit über seien und Großmutters Vergangenheit erzählt und damit endlich den Bann löst, der die Familie seit zwei Generationen lähmt und gefangen hält.

 

   Für ein richtiges Epos im 50er-Jahre-Stil fehlt dem Film die ganz große, pompöse Geste, aber das ist natürlich nur gut und richtig, weil die 50er gottseidank vorbei sind und weil Tamahoris Erzählung kraftvoll genug ist. Was nicht heißen soll, dass er kein effektbewusster Regisseur ist, das hat er im Niemandsland schon gelernt. Und so finden wir imposante Landschaftspanoramen, dräuende Wetterstimmungen und eine Schafschurrallye, die mitreißender ist als so manche Spotberichterstattung. Ich musste an diesen schönen alten Film mit Robert Mitchum denken, wie hieß er doch gleich, in dem er einen Schaftreiber in Australien spielt, der sich in solchen Wettbewerben verdingt –ach ja, „The Sundowners“, und Deborah Kerr ist gleich mit von der Partie (nicht als Schaf, neinnein …). Nur dass Tamahori mit Exotik und Romantik nichts am Hut hat, denn trotz aller eingesetzter Stilmittel ist dies kein verklärendes Melodrama, kein Film, der hinter das Wissen seiner Zeit zurückfällt, erst recht kein Film, der beschönigt, mildert. Auch kein so sperriges Nationalepos wie Keri Hulmes einzigartiger Roman „Unter dem Tagmond“, aber es ist eben eine Frage des Zugangs, des Anspruchs. Innerhalb dieser Grenzen ist „Mahana“ durchaus ein sehr eindrucksvoller, sehenswerter, optisch äußerst attraktiver Film, der einfach mal wieder etwas breiter und tiefer atmet als so manches sterile Produkt moderner Zeiten. Gerade im Kino hab ich sowas zwischendurch mal sehr gern, weswegen ich diese zwei Stunden auch richtig genossen habe, nicht zuletzt natürlich auch, weil man vom fünften Kontinent leider leider so selten mal was auf die Leinwand bekommt. Vielleicht sollten es die Filmemacher von dort alle so wie Tamahori machen, und wenigstens gelegentlich mal wieder eine Geschichte von zuhause erzählen. (6.9.)