Mon roi (Mein Ein, mein Alles) von Maïwenn. Frankreich, 2015. Emmanuelle Bercot, Vincent Cassel, Louis Garrel, Isild Le Besco, Chrystèle Saint Louis Augustin, Patrick Raynal
Tony trifft Georgio. Die beiden kennen sich flüchtig, Georgio erinnert sich nicht, Tony aber schon. Tony ist Anwältin, Georgio hat ein Restaurant. Tony ist eher bodenständig, hat eine hässliche Scheidung hinter sich und letztlich nicht soviel Glück bei den Männern gehabt. Georgio liebt das Leben, den Jet Set, die Frauen und ein kurzes Abenteuer. Die beiden verlieben sich, erleben eine tolle Zeit zusammen und heiraten. Sie wird schwanger, doch die ersten Misstöne sind schon längst da. Er verhält sich zunehmend unberechenbar, kümmert sich intensiv um eine alte Freundin, lässt Tony aber immer wieder allein, mietet sogar eine eigene kleine Wohnung an, damit ihm alles nicht zu eng wird. Der Gerichtsvollzieher rückt an, pfändet auch Tonys Möbel, weil er Steuerschulden hat, und eines Morgens liegt da neben ihm im Bett eine kleine Brünette, die er angeblich gar nicht kennt. Tonys ihrerseits reagiert mit Ausrastern, mit wüsten Szenen, trinkt, wirft Psychopharmaka ein, die ganze Situation eskaliert mehr und mehr. Dann die Scheidung, die aber auch keine klaren Verhältnisse bringt, im Gegenteil scheinen sie sich wieder näher zu kommen, vor allem Georgio will von Trennung nichts wissen, und das Ringen um den kleinen Sohn wird zum Teil auch hässlich. Im Skiurlaub dann stürzt Tony, erleidet eine schwere Knieverletzung, muss monatelang in die Reha, und hat dort, endlich mal in anderer Umgebung und in Gesellschaft erfrischend neuer Menschen, die Möglichkeit, ihre Zeit mit Georgio Revue passieren zu lassen.
Das Schlachtfeld des Lebens, oder auch: Miteinander geht nicht, ohne einander aber auch nicht. Tony und Georgio stehen für alle, die sich an ihrer Beziehung endlos abarbeiten, die Liebe als Kampf erfahren und verstehen und die irgendwie versuchen (vergeblich versuchen…), den Rausch der ersten Wochen und Monate in den folgenden jahrelangen Alltag zu retten. Am Anfang ist alles leicht, schweben sie, einander selbst völlig genügend, durch Zeit und Raum, doch früher oder später kommt die Landung, und ab hier beginnen sie unüberbrückbaren Differenzen im Erleben. Er macht wieder mehr sein Ding, geht seiner Wege, bleibt in seinen Kreisen, sie hat nur die Wahl, sich dort einzufügen, auch wenn ihr die Leute nicht sehr viel bedeuten und sie mit ihnen auch nicht sehr viel gemeinsam hat. Und je intensiver sie beide reagieren, umso tiefer wird die Kluft. Sie versucht nach Frauenart, ihren Claim abzustecken, vor allem gegen die Konkurrenz aus früheren Tagen, er entzieht sich nach Männerart, hat gleich schon Bammel, dass sie ihn ganz für sich allein haben will. Undsoweiter, kennen wir. Er macht sich rar, redet nicht mehr, stellt sie mehr als einmal vor vollendete Tatsachen, sie macht immer mehr auf keifendes Weibchen, obwohl das eigentlich nicht ihre Art ist, doch sieht sie keine andere Möglichkeit, bei ihm Gehör zu finden. Dazwischen aber auch wieder schöne Momente, die ihr wieder Hoffnung geben, er könne vielleicht doch mehr auf ihre Bedürfnisse eingehen. Über allem aber stellen sie fest, dass sie grundlegend verschiedene Erwartungen an das Leben haben: Er möchte das ewige Auf und Ab, das hat für ihn was mit Herzschlag, mit Leben zu tun. Sie braucht’s eher ruhig, gleichmäßig fließend, möchte Sicherheit und Verlässlichkeit. Da scheint es zwischen ihnen keinen gemeinsamen Nenner zu geben, und den Frust darüber erleben beide sehr intensiv, wobei der Fokus natürlich sehr deutlich auf ihrer Wahrnehmung liegt, die auch der Autorin/Regisseurin näher liegt, die sie uns sehr viel glaubwürdiger und intensiver nahebringen kann, weswegen letztlich auch meine Anteilnahme und Sympathien recht klar verteilt waren. Das finde ich persönlich nicht schlimm, zumal mich die Männerperspektive in Liebesdramen ohnehin nur wenig interessiert (das eigene Erleben genügt hier völlig…), und bietet mir als Zuschauer auf viel mehr Reibungspunkte, denn natürlich ist Tony auch alles andere als ein glatter Stromlinientyp, sondern durchlebt selbst etliche Krisen und liegt mit ihrem Verhalten auch nicht immer richtig, doch gerade diese Unmittelbarkeit, die Verletzlichkeit, die ungefilterte Emotionalität machen die Charakterisierungen der beiden aus, und da hat der Film seine größte Stärke. Emmanuelle Bercot und Vincent Cassel spielen mit hinreißender Intensität, und Maïwenns Regie unterstützt sie famos, bleibt immer dicht dran, lässt keine Distanzierung zu, keine Objektivierung, und das ist auch nichts, was ich in diesem Fall gebraucht hätte. Es geht ja auch nicht darum, zu werten oder gar einen der beiden dauerhaft ins Unrecht zu setzen, es geht um eine Liebesgeschichte unter vielen, und wie mühsam es sein kann. Maïwenn lässt sich viel Zeit, findet auch immer wieder Gelegenheit, das jeweilige Umfeld der beiden ins Spiel zu bringen, den Bruder und die Schwägerin Tonys etwa, die zu Georgio ebenso auf Distanz bleiben wie umgekehrt seien alten Freunde zu ihr. Das ist ein Partyvolk mit viel Alkohol und Kokain, wilden Nächten in exklusiven Clubs und einer allgemein recht legeren Einstellung, und gerade weil Tony so gar nicht Teil dieser Szene ist, werden ihr Misstrauen und ihre Eifersucht stets von neuem befeuert, und ihre dummen Szenen wiederum treiben ihn unweigerlich auf die alten Freunde zu. Doch welche Alternativen gibt es, wenn man sich als Paar nicht völlig vom alten Leben abschotten will? Eine Erfahrung, die wir wohl alle in einer oder anderen Form schon gemacht haben, sofern wir nicht mehr mit unserem Sandkastenfreund zusammen sind. Bei allem ist sie aber stets diejenige, die eher nachgibt, die überhaupt mehr gibt, die wenigstens versucht, seine Leute kennenzulernen und sich zu arrangieren, während er ziemlich kompromisslos sein Ding durchzieht und sich später gern als Spaßpapi profiliert, gegen den die gestresste Mami automatisch verlieren muss. Kennen wir auch, jaja. Tonys Skiunfall kommt sozusagen zur richtigen Zeit, bevor sie total die Kontrolle verliert. Sie wird so gezwungen, einmal zur Ruhe zu kommen, zu sich selbst, endlich mal wieder für sich selbst etwas zu tun und mit ein wenig Abstand über die letzten Jahre nachzudenken. Die letzte Szene, die die beiden zusammen im Lehrerbüro zeigt, und in der sie wesentlich souveräner und lockerere wirkt als er, zeugt vielleicht von den Früchten dieser Auszeit und davon, dass sie zu neuer Stärke gefunden haben könnte.
Einerseits ein Film der großen Gefühle, auch einiger Extreme, andererseits aber auch eine Geschichte aus alltäglichem Erleben, dementsprechend gar nicht so sehr überhöht oder angestrengt auf Effekt gestrickt. Großartiges Schauspielerkino, großartiges Gefühlskino, und ich find’s besonders toll, weil die Franzosen mal wieder gezeigt haben, dass sie nicht nur in seichten Wohlfühlgewässern unterwegs sind, Ich brauch diese Gewissheit einfach von Zeit zu Zeit, weil mir ihr Kino halt immer noch so am Herzen liegt. (30.3.)