Cézanne et moi (Mein Leben mit Cézanne) von Danièle Thompson. Frankreich, 2016. Guillaume Gallienne, Guillaume Canet, Alice Pol, Déborah François, Pierre Yvon, Sabine Azéma, Isabelle Candelier, Gérard Meylan, Laurent Stocker

   Die Freundschaft zwischen Emile Zola und Paul Cézanne begann um 1852 und dauerte circa fünfunddreißig Jahre bis zum bitteren Zerwürfnis der beiden Künstler. Am Anfang waren die beiden Schüler in Aix-en-Provence, am Schluss war der eine ein renommierter Autor und eine geachtete Persönlichkeit des öffentlichen Lebens und der andere ein schwieriger Außenseiter, ein Maler, der noch einige Jahre auf seine endgültige Entdeckung bzw. Anerkennung warten musste. Dazwischen entfaltet sich eine turbulente Zeit zwischen Paris und der Provinz, zwischen Künstlerzirkeln, ländlichen Ateliers und den zunehmend feudalen Behausungen Zolas, wird erzählt von Liebschaften, Ehen, Künstlern und Modellen, Zweckbeziehungen, streitbaren Auftritten Cézannes, ewigen Schlichtungen des besonnenen Zola, Cézannes Ringen um Anerkennung bei den Impressionisten, die er auf der anderen Seite verachtet, Zolas zunehmender Ruhm als Autor kämpferischer, sozialkritischer Romane. Die Pariser Kommune hinterlässt ihre Spuren, Zola gilt als nationale Koryphäe in politischen und moralischen Fragen, während Cézanne auf ewig das unerkannte Genie zubleiben scheint. Die beiden treffen sich oft monatelang nicht, doch wenn sie sich wieder begegnen, sind sofort die alte Vertrautheit, die alte Zuneigung wieder präsent, nur langsam, ganz langsam schleichen sich Misstöne in die Freundschaft. Cézanne wird immer verbitterter, aggressiver, er provoziert, attackiert oft ohne Grund, und auch die nach vielen Jahren geschlossene Ehe mit der Mutter seines Sohnes lässt ihn keinen Frieden finden, während Zola auf der anderen Seite eher gesetzter, bürgerlicher wird, auf seine Weise aber auch nicht wirklich glücklich, denn seine Ehe bleibt kinderlos, wird kaum noch vollzogen. Dann porträtiert er in seinem Roman „L’œuvre“ seinen gescheiterten Maler auf der einen und einen erfolgreichen Schriftsteller auf der anderen Seite, und Cézanne fühlt sich sofort direkt angesprochen (obwohl angeblich eher Edouard Manet gemeint war), macht seinem Freund wütende Szenen, jener wütet zurück, und schließlich ist der Bruch nicht mehr zu heilen. Zola stirbt 1902 als berühmter Autor, Cézanne 1906 als ein Maler, dessen tatsächliche Bedeutung für die Moderne erst posthum offenbar wurde.

 

   Stoff genug für eine ganze Serie, sollte man meinen, doch Danièle Thompson war so sportlich, diesen ganzen Wust in knappe zwei Stunden packen zu wollen. Ihren Sportsgeist in allen Ehren, doch der entstandene Film stellt mich irgendwie nicht so ganz zufrieden. Er eilt im veritablen Schweinsgalopp durch fünf faszinierende, prallvolle Jahrzehnte zwischen Privat- und Kunstgeschichten, und ein ganz kleines bisschen Politik gibt’s auch noch. Die Chronologie wurde gründlich zerpflückt, vor allem zu Anfang und gegen Ende hüpft die Erzählung vor und zurück, reiht oft nur ganz kurze Schnipselchen aneinander, während sich im Mittelteil gottseidank einige sehr gute, längere Sequenzen finden, die endlich die notwendige Intensität und Ruhe finden, die dem Thema gerecht werden. Doch Thompson hat auch als Drehbuchautorin, und sie ist eine wahrlich sehr routinierte Drehbuchautorin, wie man weiß, das große Problem, mit einer Überfülle an Themen und Ereignissen und Fakten umgehen zu müssen, und ich finde, dass sie das diesmal nicht sonderlich überzeugend getan hat, sprich, dem Film fehlt ein bisschen der konsequente rote Faden. Er reißt hier und da ein bisschen was an, doch wenn man es genau nimmt, fehlen dann doch so viele Informationen und Details, dass ich mir als relativ uninformierter Zuschauer dennoch kein Gesamtbild machen kann, weder von den Personen Zolas und Cézannes, noch von ihrem Umfeld, auch nicht von den künstlerischen und politischen Strömungen, denen sie ausgesetzt bzw. die sie selbst aktiv beeinflusst haben. Zwar gibt‘s ne Menge namedropping zwischendurch, die gesamte Kolonie der Impressionisten ist dabei (Pissarro, Manet, Monet, Renoir und wie die Burschen alle heißen), Guy de Maupassant taucht ebenfalls kurz mal auf, Balzac und Flaubert werden im Vorübergehen erwähnt, es gibt auch ein paar Anspielungen in politischer Richtung, doch eigentlich bleibt alles angedeutet, unscharf, und wer sich nicht wirklich auskennt in der Zeit, wird kaum einen Zugang dazu finden. Das gleiche gilt für Zola und Cézanne selbst, ihr Wirken und auch ihr Privatleben, alles wird in kleinen Dosen verabreicht, hier ein bisschen, dort ein bisschen, und alles was man sieht, ist für sich genommen so interessant, dass ich zumindest es gern ein wenig gründlicher und ausführlicher erlebt hätte. Was hat Cézanne als Maler ausgezeichnet, was Zola als Schriftsteller? Was waren ihre Eigenarten, ihre Interessen, ihre Obsessionen, was hat sie als Künstler vereint, was getrennt? Und ich denke, man könnte das in einem Film wenigstens umrissweise unterbringen, ohne gleiche ´ne Kunstvorlesung daraus zu machen. Mich jedenfalls hätte das sehr interessiert, und es hätte sicherlich auch einiges über die Beziehung der beiden als Schaffende ausgesagt. Außerdem sieht man im Abspann so viele herrliche Cézanne-Gemälde, dass ich gern noch etwas mehr über seine Malerei gelernt hätte. Thompson gelingt durchaus die eine oder andere eindrucksvolle Szene, von der prachtvollen Optik und den hervorragenden Darstellern mal ganz zu schweigen, und was ich ihr sowieso zugutehalte, ist ihre entschiedene Distanz zu jeglicher Art von Wohlfühlmentalität. Ihr Film ist bei aller Sprunghaftigkeit jederzeit herausfordernd, alles andere als seicht ohne Frage, doch hätte ich persönlich mir gewünscht, Thompson hätte sich vielleicht dazu entschieden, eine einzige oder jedenfalls nur wenige Situationen herauszufiltern, anhand derer sie dann die Geschichte von Zola und Cézanne ebenso gut hätte aufrollen können. So untergräbt sie sich immer wieder selbst, gibt uns keine Chance, einem Thema nachzugehen, einer Stimmung nachzuspüren, den Personen etwas näher zu kommen. Das hat mir eigentlich am meisten leidgetan, dass Zola und Cézanne trotz all den vielen intensiven, leidenschaftlichen Debatten, Diskussionen, Auseinandersetzungen und auch in guten Zeiten eigentlich fremd bleiben, obgleich es über jeden von ihnen sehr viel zu erzählen, sehr viel zu erklären gäbe, gerade auch im intimen, ganz persönlichen Bereich. Natürlich kann ein einziger Film dies alles unmöglich schultern, und vermutlich musste etwas in der Art von „Cézanne et moi“ dabei herauskommen, oder höchstens noch ein Fünfstundenfilm à la Rivette oder so. Den ich in diesem Zusammenhang ohne Zweifel und jederzeit vorgezogen hätte. (11.10.)