Midnight Special von Jeff Nichols. USA, 2016. Michael Shannon, Jaeden Lieberher, Joel Edgerton, Kirsten Dunst, Adam Driver, Sam Shepard

   Ein mit übersinnlichen Kräften begabter Junge und ganz viele Leute, die sich um ihn rangeln. Eine extremistische Sekte sieht in ihm eine Art Erlöser, der sie dem bereits vordatierten Tag der Bestimmung zuführen soll. FBI und NSA hängen an seinen Fersen, weil er möglicherweise über Informationen verfügt, die für die nationale Sicherheit relevant sein könnten. Und dann ist da noch sein Vater, ein ziemlich abgefuckter Typ, der ihn vor alledem beschützen möchte und zu diesem Zwecke einen alten Kumpel, einen State Trooper, engagiert, der ihm tatkräftig unter die Arme greift. Bevor also die Sekte oder Uncle Sam zugreifen können, schnappt Paps sein Söhnchen, schnappt sich auch noch dessen Mutter, von der er längst getrennt lebt, und so macht sich die Vierergruppe auf den Weg rüber nach Louisiana, verfolgt von jeder Menge schwerem Gerät und einer sehr unsicheren Zukunft entgegen. Die vollzieht sich schließlich in Form einer ziemlich unheimlichen Begegnung der dritten Art in den Sümpfen Louisianas. Denn Sohnemann stammt eigentlich gar nicht von der Erde sondern von einer Spezies, die einen anderen Planeten bevölkert und ein paar echt fesche Tricks auf Lager hat…

   Klingt schräg, ist auch schräg, aber alles in allem auf sehr angenehme Weise. Jeff Nichols, der schon mit „Take Shelter“ bewies, wie gut er sich auf ominöse, suggestive Bilder und Geschichten versteht, hat hier die Schraube noch mal um einige Umdrehungen angezogen und sein Sci-Fi-Drama um einige höchst US-amerikanische Themen und Motive angereichert. Dabei macht er nicht mal ein großes Fass auf, was ich in diesem Fall schon wieder ein bisschen schade fand, denn wenn es um monströse Bigotterie oder staatliche Überwachungshysterie geht, darf man doch ruhig mal etwas auf die Kacke hauen, finde ich. Die Sekte kommt besonders am Anfang zum Zug, ein obskurer, grotesker Haufen, der wie gehabt von einem ebenso charismatischen wie kaltschnäuzigem Führer gelenkt wird, und dieser Führer benutzt ein ausgeklügeltes Zahlenwerk, um seine Schäfchen dorthin zu treiben, wo sie ihm am nützlichsten sind, und um sie so zu manipulieren, dass sie willfährig an seinen Worten hängen. Doch wenn es um die Wahrung seiner Interessen geht, wird er auch mal ganz weltlich und schickt einfach ein paar Jungs mit Schießprügel los, die das für ihn regeln sollen. Das geht aber leider in die Binsen, weil Paps und sein Kumpel auch mit Knarren umgehen können und den Konflikt nach bewährter amerikanischer Sitte klären. Schön ist dann auch der Auftritt der Staatsgewalt, schwer uniformierte Jungs, Hubschrauber, die in Massen und völlig sinnlos ständig über dem Gelände kreisen, Panzerwagen und weiß der Geier was noch, alles wegen eines kleinen Jungen, und als dann so ein Brillenbär von der NSA aufkreuzt, müssen die Jungs auch noch den Schwanz einkneifen und ihm den Vortritt lassen - echt ärgerlich.

 

   Statt sich nun ganz der Action hinzugeben, hat Nichols den Film fast hypnotisch langsam inszeniert, fängt die seltsam surreale Stimmung, die alle Personen und ihr Tun umgibt, perfekt ein, färbt die jeweiligen Szenen sehr behutsam ein, mal ein wenig zarter, mal ein wenig dunkler, dann mal ein heftiger Gewaltausbruch und zuletzt eine monumentale Alienfantasie, die dann fast schon wieder massenkonsumtauglich ist. Überall erscheinen gigantische, seltsam geformte, auf ihre Art aber auch bestechend elegante architektonische Konstrukte, die ebenso abrupt wieder verschwinden, als der Junge an Bord gegangen ist, einer der ihren eben, den sie wieder nach Hause holen. Reizvoll ist natürlich die Offenheit der Story, ihre Vieldeutigkeit, die zahlreichen Ansatz- und Interpretationsmöglichkeiten, obwohl es mir wie gesagt gut gefallen hätte, wenn sich Nichols ein wenig weiter aus dem Fenster gehängt hätte – nur ein bisschen. Der blasse, unscheinbare Alton wird zur Projektionsfläche aller möglicher Begehrlichkeiten – mal Erlöser, dann wieder Staatsfeind, und er gibt auch einige eindrucksvolle proben seiner Begabungen, lässt die Augen wie Scheinwerfer erstrahlen, schrottet einen Satelliten, der wie ein Kometenregen auf eine Tankstelle herniedergeht und offenbart zudem intensive telepathische Kräfte, die ihn streckenweise eher belasten las ihm zu helfen. Sein Vater, den Michael Shannon mit der gleichen dumpfen, dunklen Intensität gibt wie den Vater in „Take Shelter“, ist eine ähnlich zwiespältige Gestalt, zum einen sensibel und moralisch, dann aber auch wild und gewaltbereit, alles eine Frage der Nuance und des Moments. Auch sonst ist die Besetzung exzellent – Joel Edgerton gibt den netten Mann fürs Grobe, Kirsten Dunst die Mama, die ihren Sohn am Ende gehen lassen muss, Adam Driver den linkischen NSA-Mann, der immer nur Formulare auszufüllen scheint und am Schluss ebenfalls eine gewisse Sympathie für das Anliegen des kleinen Alton hegt. So lässt Nichols die Atmosphäre oszillieren zwischen abgründig, finster, dann wieder sanft und friedlich, alles gehalten in diesem mitternächtlichen, samtigen, schwebenden Ton, unter dessen gefährlich ruhiger Oberfläche ständig etwas Dunkles zutage treten kann. Mir persönlich hat „Take Shelter“ besser gefallen, der war etwas greifbarer, aber „Midnight Special trägt seinen Namen sehr zu recht und zeigt auf jeden Fall einen Filmemacher mit ganz eigenem Stil, der sich wohltuend und deutlich abhebt vom Mainstream-Einerlei, und das ist auf jeden Fall schon mal ein guter Grund, sich den Film anzusehen. (23.2.)