Nous trois ou rien (Nur wir drei gemeinsam) von Kheiron. Frankreich, 2015. Kheiron, Leïla Bekhti, Gérard Darmon, Zabou Breitman, Jonathan Cohen, Eriq Ebouaney, Carole Franck, Khereddine Ennasri, Michael Vuillermoz
Autor und Regisseur Kheiron erzählt die Geschichte seines Vaters, seiner Familie, seines Landes, seiner Emigration, seines Exils. Das irrwitzig wechselvolle Leben des Hibat, geboren in einem kleinen Ort am Rande der großen Berge, in eine vierzehnköpfige Großfamilie, gelitten unter der Diktatur des Schah, zusammen mit einigen seiner zahlreichen Brüder mutig auf den Barrikaden, verfolgt, bedrängt, verheiratet mit der hinreißenden Fereshteh, die ebenfalls bereit ist, für die Politik zu kämpfen. Dann stürzt tatsächlich die eine Diktatur, nur um eine neue, noch schlimmere ersetzt zu werden, nämlich die der Mullahs des Ayatollah Khomeini. Hibat und Feretesh wissen, dass es im Iran keine Zukunft für sie gibt, und so entschließen sie sich, zunächst mal für einige Zeit zu fliehen. Mittlerweile gibt es einen kleinen Sohn, und als Hibat doch tatsächlich zögert und erwägt, ihn daheim bei den Großeltern zu lassen, grätscht Feretesh energisch dazwischen und gibt die Losung für ihre Lebensgeschichte aus: Wir drei zusammen oder gar nicht. Und da ihr Gatte vor ihr und ihrem Zorn noch viel mehr Angst hat als vor dem Ayatollah, wird es natürlich so gemacht. Die strapazenreiche Flucht geht quer über die Berge bis rüber in die Türkei, von dort weiter nach Paris. In Paris landen sie in Seine Saint-Denis, in einem gruseligen Sozialbaughetto, das ihre kühnsten Alpträume übertrifft, doch Hibat und Feretesh sind Kämpfer und nicht gewillt, sich mit den bestehenden Verhältnissen abzufinden. Sie versuchen, vor Ort Sozialarbeit zu machen, versuchen, aus dem bunten multikulturellen Gemisch eine Art Gemeinschaft aufzubauen und vor allem schwierige, kriminelle Jugendliche zu integrieren, und nach vielen Jahren harter, hindernisreicher Arbeit kriegen sie genau das hin. Und am Schluss schafft Hibat sogar, das Motto seiner Gattin zu verinnerlichen: Nur wir drei gemeinsam.
Eine fulminante Hommage an den eigenen Vater, einen offenbar ganz außergewöhnlichen Mann, und die eigene Mutter, eine ebenso außergewöhnliche Frau (beide werden von Regisseur Kheiron und Leïla Bhakti hinreißend dargestellt). Kheiron hat daraus passenderweise auch einen außergewöhnlichen Film gemacht, der auf bislang nicht dagewesene Weise das Grausame, Schwere mit dem Leichten, Komischen verbindet, ein Film, der uns in einem Moment schockiert und im nächsten Tränen lachen lässt. Und der außerdem schafft, weder das Schockierende zu verharmlosen, noch das Komische albern wirken zu lassen. Zunächst mal schlägt der Erzähler ein enormes Tempo an, nimmt uns aus eine haarsträubende biographische Reise mit, die uns einfach durch ihr unbändiges Temperament mitreißt. Er weiß genau, wo er seine liebevolle Erinnerung ein wenig aus dem Ruder laufen lassen darf, und wo wer innehalten muss, um auch den furchtbaren Ernst der Lage gebührend zu würdigen. Und so ist der Schah einerseits ein törichter Einfaltspinsel, der Anlass für ein paar unglaubliche und total überraschende Gags ist, und andererseits würden wir Zuschauer nicht auf den Gedanken kommen, sein mörderisches Regime auf die leichte Schulter zu nehmen. Dafür genügen Kheiron einige wenige äußerst pointierte Momente und Bemerkungen, die den Film im Ganzen immer wieder auszeichnen. Familienleben, Verlobung und Heirat werden turbulent und hinreißend witzig geschildert, die Lebensumstände im Iran weniger. Und beim Ayatollah ist der Spaß dann sowieso vorbei, die islamistische Tyrannei erhält kein Gesicht mehr und kann auch nicht zum Gegenstand respektloser Witze herangezogen werden. Hier hilft nur noch die Flucht, und auch hier findet sich Zeit, die Gefühle eines Mannes zu zeigen, der im Begriff ist, sein Land zum ersten Mal zu verlassen und der tief im Innern wohl schon ahnt, dass es für immer sein wird. Die Zeit in Frankreich schlägt insgesamt einen deutlich leichteren Ton an, manchmal habe ich den Eindruck, ein nettes Sozialmärchen vor mir zu haben, und in der Tat verliert Kheiron hier und da ein wenig seinen Zugriff, denn eine Sozialutopie, so sympathisch sie auch ist, funktioniert nur dann wirklich, wenn sie gut geerdet ist. Immerhin behält Kheiron sein enormes Tempo bei, gibt sich selbst nie die Chance, womöglich selbstzufrieden oder seifig zu werden, und immerhin bleibt der Film extrem unterhaltsam, etabliert neue, liebenswürdige Typen, geht weiterhin mit entwaffnendem Humor und vor allem wunderbarer Selbstironie zu Werke und schafft es so über die eine oder andere Untiefe hinweg. Natürlich ist die Kluft zwischen Ernst und Komik in der Pariser Banlieue nicht ganz so dramatisch wie in der Diktatur im Iran, was dennoch berührt, ist die ungebrochene Energie dieser beiden Menschen und ihr fester Entschluss, sich genau wie daheim nie mit bestehenden Missständen abzufinden, sondern sich einzusetzen, aktiv zu sein, etwas zu tun dafür, dass die grundverschiedenen Leute hier im Ghetto friedlich miteinander leben, wobei Fereteshs Fokus noch mehr auf Frauenfragen liegt, und da hat sie auch reichlich Arbeit zwischen Aufklärung, Familienplanung, afrikanischer Polygamie und islamischem Dogma.
Alles in allem ein großartiger Film, ebenso unterhaltsam wie bewegend, ein Film über Menschen, die tatsächlich zwei grausame Diktaturen ertragen mussten, und der dennoch nicht in Trauer und Apathie versinkt, sondern ein Zeichen setzt für Lebensfreude und Entschlossenheit. Gerade die Komik federt vieles ab, fängt vieles auf, in der ersten Hälfte die erdrückende Realität des Alltags im Iran, in der zweiten Hälfte die mitunter vielleicht etwas seichte Schilderung des Lebens im sozialen Brennpunkt außerhalb von Paris. Das würde ich normalerweise nie verzeihen und sofort mit dem Unwort „Wohlfühlfilm“ abstempeln, hier aber bin ich auf diesen Gedanken nicht gekommen, weil uns Kheiron zwischendurch immer daran erinnert, woher Hibat und Fereshteh kommen und wofür sie stehen. Und letztlich scheint dies sogar eine wahre Geschichte zu sein, selbst in ihren märchenhafteren Momenten. Im Gegensatz zu Audiards „Dheepan“ wird hier auf jeden Fall beim Thema Flucht und Exil ein deutlich anderer Akzent gesetzt, und beide zusammen genommen ergeben dann vielleicht ein ganzes Bild. (4.7.)