Paterson von Jim Jarmusch. Frankreich/BRD/USA, 2016. Adam Driver, Golshifteh Farhani, William Jackson Harper, Barry Shabakah Henley, Chasten Harmon, Rziwan Manji, Masatoshi Nagase

   Für gewöhnlich benötigt man ungefähr fünf oder zehn Minuten, um einen Jim-Jarmusch-Film zu identifizieren (falls man mal zu spät zur Sneak Preview kommt), weil sein ganz persönlicher Stil halt so unverwechselbar ist. Eine Welt, die äußerlich durchaus an unsere Welt im Ganzen andockt, die aber bevölkert wird von einer Spezies, die nur bei Jarmusch vorkommt. Liebenswürdige, schräge, stoische Leute, allesamt ein klein wenig abseits des Mainstream, die miteinander eine wunderbar coole, komische, streckenweise auch absurde Kommunikation pflegen, die über alle möglichen abseitigen Dinge oder auch über Gott und die Welt im allgemeinen diskutieren. Gelegentlich gibt’s auch mal Gewalt in einem Jarmusch-Film, doch die liebsten sind mir die friedlichen, versponnenen, so wie dieser.

   Okay, diese zwei Stunden fühlen sich recht lang an, zumal nach einem Spätdienst bis kurz vor elf in der Nacht, aber das ist der Preis, den ein Jarmusch-Film mir halt abverlangt, take it or leave it. Zudem stellt „Paterson“ meine eigenen, mittlerweile gründlich verdorbenen Erwartungen und Gewohnheiten und Aufmerksamkeitsphasen auf eine heilsame, wenn auch anstrengende Probe. Statt sich um Nebensächlichkeiten wie Spannungsbögen, kalkulierte Dramaturgie oder gar kommerzielle Effekte zu kümmern, bummelt Jarmusch gemeinsam mit uns durch diesen Film, lässt uns teilhaben an einer Woche im Leben des Busfahrers Paterson aus Paterson, NJ. Von dieser Stadt mag man bislang nicht sehr viel gehört haben, dennoch ist sie bemerkenswert, Heimat Allen Ginsbergs oder auch Lou Costellos (oder, wie mir Wikipedia versichert, Don Martins, meines alten MAD-Favoriten) und vor allem Gegenstand eines berühmten Gedichtzyklus‘ von William Carlos Williams.

   Der ist auch Lieblingsdichter unseres Helden, der selbst dichterische Ambitionen hat und seine Werke sogfältig und verschwiegen in einem Notizbuch verewigt und den wir nun durch seinen Alltag begleiten. Der sieht mehr oder weniger immer gleich aus. Aufwachen ganz ohne Wecker um ungefähr viertel nach sechs, neben Laura, schön wie aus 1001 Nacht, eine kurze verschlafene Umarmung, zum Frühstück Froot Loops, dann zum Dienst, dort ein Gespräch mit einem ewig jammernden Kollegen, und los geht’s mit dem Bus, zwischendurch ein paar Gespräche unter Fahrgästen aufgeschnappt, abends nach Hause, Briefkasten geradegerückt, ein Gespräch mit Laura nach dem Motto „Wie war dein Tag?“, dann ihren Hund Marvin ausgeführt und auf dem Weg schnell noch ein Bierchen in der Stammkneipe inklusive Begegnungen mit dem Besitzer und einigen anderen Stammgästen. Und dann ist der Tag auch schon vorbei und der nächste kommt und der sieht dann genau so aus. Und gerade als wir uns fragen, du liebe Güte, der gute Jim wird doch wohl nicht alle Tage der Woche so durchziehen wollen, stellen sich erste Abweichungen, Irritationen ein. Laura macht sanften Druck, Paterson möge doch endlich mal sein geheimes Notizbuch rausrücken und die Gedichte anderen Lesern zugänglich machen. Sein Bus bleibt tagsüber auf offener Strecke mit einem Defekt liegen. Ein Kneipengast kann die Trennung von seiner Geliebten partout nicht überwinden und fuchtelt mit einer Pistole herum, die allerdings nur Schaumstoff verschießt. Und schließlich nutzt der chronisch eifersüchtige Marvin (jede zärtliche Geste zwischen Paterson und Frauchen wird grollend besabbert) einen Kinoabend der beiden, um Patersons bis dahin stets gut verstautes Notizbuch gründlich zu zerfetzen. Davon ist auch der langmütige Paterson nicht ganz unberührt, doch auf einem melancholischen Sonntagsspaziergang zu den berühmten Wasserfällen trifft er auf einen Lyrikfreund aus Japan, der ihm ein neues Notizheft schenkt und ihn damit animiert, weiterzumachen, und tatsächlich sieht es aus, als werde sich Paterson von seinem Enthusiasmus erneut anstecken lassen. Tja, und dann ist auch schon wieder Montag…

 

   Eine sanfte Komödie über den Alltag und den Lauf der Zeit. Die penible Wiederholung der gleichen täglichen Abläufe erzeugt fast schon eine Beckettsche Komik, doch dringt Jarmusch nicht in irgendwelche grotesken Verzerrungen und Deformierungen vor, sondern bleibt ganz entspannt im Hier und Jetzt, überhöht es nur ein ganz klein wenig, zeigt uns die leise Komik, die fast unweigerlich entsteht, wenn man Tag für Tag wieder und wieder die gleichen Dinge tut, einfach weil man es so gewohnt ist und klängst nicht mehr darüber nachdenkt. Paterson hat sich in seinen ganz persönlichem Trott installiert, doch wirkt er nicht darin gefangen oder zermürbt, sondern ganz bei sich, ein Stoiker der positiven Art. Seine Lyrik ist genau wie er, unspektakuläre, skurrile Alltagsbeobachtungen und -gedanken, die dennoch zum Teil überraschenden Tiefgang offenbaren oder überraschende Formulierungen bieten. Gedichte über Streichhölzer und manchmal auch die Liebe, keine Stromlinienlyrik, sondern eher im Geiste seines Vorbildes W.C. Williams, der ihm einerseits Beispiel und Ansporn ist, den er aber andererseits auch auf ein so hohes Podest stellt, dass er sich nicht dazu aufraffen kann, sein Talent mit anderen zu teilen und vielleicht sogar was draus machen zu wollen. Ab und zu bedrängt ihn seine eifrige, rastlose Laura, an die Öffentlichkeit zu treten, was ihm sowieso zutiefst widerstrebt, und er muss sich ihrer erwehren, doch gehen beide mit soviel Liebe, Respekt und Geduld zur Sache, dass einfach keine Missstimmung zwischen ihnen entstehen will. Er weicht ihr freundlich aus, hält sie taktvoll hin, isst den merkwürdigen Rosenkohl-Pie, obwohl es ihn sichtlich Kraft kostet, und erduldet ihre unerschöpfliche Dekorationswut mit fast schon heldenhaftem Gleichmut. Sie hingegen tobt sich unverdrossen aus, wechselt ständig die Pläne, die Ideen zwischen Kunst und Cup-Cakes, pinselt auf Teufel komm aus alles in Schwarzweiß und bildet alles in allem eine Art Gegenpol zu seinem friedvollen Phlegma. Die beiden haben sich ihr Leben miteinander eingerichtet und fühlen sich wohl, und dieses entspannte Miteinander prägt den ganzen Film. In der Stammkneipe wird abends über Jazz, Schach, Patersons kulturelles Erbe und Trennungsschmerz gesprochen, dann gibt‘s noch einen Rapper im Waschsalon, dessen Improvisation Paterson spontan beeindruckt, ein ebenfalls dichtendes kleines Mädchen auf einer Treppe, dessen Lyrik fast so klingt wie seine eigene und die ihn spontan noch viel mehr beeindruckt, den ewig von Geldnöten und Familiensorgen klagenden Kollegen und den schwärmenden Japaner am Schluss. Skurrile, eigentümliche Begegnungen, die ihre ganz eigene Logik und Dynamik entfalten, auf jeden Fall aber ihren eigenen Charme haben und ganz leise ihre Spuren in Paterson hinterlassen, die sich maximal in einem minimalen Lächeln äußern. Adam Driver ist der optimale Jarmusch-Protagonist, ein liebenswertes Poker-Face, ein Schlacks mit sparsamer Motorik, und eben das ganze Gegenteil zu der wunderbaren Golshifteh Farhani, die dem ganzen Stillleben das dringend notwendige Quäntchen Temperament einhaucht. Mir hätte auch noch ein adäquater Soundtrack gut gefallen, für den Jarmusch als ausgewiesener Kenner normalerweise immer zu haben ist, der aber diesmal leider ein wenig zu dezent ausgefallen ist. Aber sonst macht der Mann auch mit „Paterson“ wieder eine ganz eigene Kategorie auf, und ich glaube, ich sagte es schon beim Film davor, wie respektgebietend es ist, dass er sich in all den Jahren so treu geblieben ist. (30.11.)