Paula – mein Leben soll ein Fest sein von Christian Schwochow. BRD/Frankreich, 2016. Carla Juni, Albrecht Abraham Schuch, Roxane Duran, Joel Basman, Stanley Weber, Nicki von Tempelhoff, Dominik Weber, Bella Bading

   Und noch ne Künstlerbiographie, ich weiß selbst nicht mehr, die wievielte in den letzten wenigen Jahren, und dabei hab ich noch etliche an mir vorüberziehen lassen. Qualitativ hat es bisher wenige gegeben, für die ich mich so richtig erwärmen konnte, aber Christian Schwochows Film über Paula Modersohn-Becker gehört definitiv dazu. Natürlich kommen auch diesmal sofort sogenannten die Experten heran und lamentieren über verkürzte Darstellungen, über Auslassungen, Verfälschungen, und meinetwegen mögen sie recht haben, und ich geb zu, dass es mich in anderen Fällen auch eher gestört hat, aber eigentlich nur dann, wenn ich den Eindruck hatte, hier wird die Wahrheit wirklich grob missbraucht zugunsten einer seichten, sprich kassenträchtigen Allgemeinsicht. Und von einem Spielfilm im Unterschied zum Dokumentarfilm erwarte ich eher kein lückenloses Abfragen aller biographischen Daten, sondern dass es gelingt, der sogenannten inneren Wahrheit auf die Spur zu kommen und gleichzeitig ein attraktives Stück Kino zu produzieren.

   Genau das hat Schwochow meines Empfindens nach ziemlich gut hingekriegt. „Paula“ ist ein Film, der mich einerseits bestens unterhalten und mir andererseits die eindrucksvolle Person der Malerin näher gebracht hat, beides schön gegeneinander abgewogen. Hat man auch nicht oft bei diesen Biopics. Er konzentriert sich auf die letzten Lebensjahre Paulas zwischen Worpswede und Paris, nimmt sich hier einige Freiheit insofern, als er unterschlägt, dass Paula durchaus mehrere längere Aufenthalte in Paris hatte und nicht nur diesen einen, wie hier suggeriert wird. Auch Paulas Leben vor Worpswede spielt keine Rolle, ebenso wenig die Tatsache, dass Paula Becker durchaus kein völlig unbedarfter Backfisch war, sondern eine junge Frau mit entsprechend bürgerlichem familiären Hintergrund und künstlerischer Vorausbildung. Wie immer würde ich auch sagen, dass ein paar zusätzliche Szenen in dieser Richtung zu einer vollständigeren Charakterisierung hätten beitragen können, ebenso ihre regelmäßigen Reisen nach Paris und ihre intensive Beziehung zur dortigen Kunstszene. Ich finde aber auch, dass die Drehbuchautoren hier recht erfolgreich versucht haben, die Essenz Paula Beckers zu erfassen und zwar im Rahmen eines normalen zweistündigen Spielfilms. Nun hat ihr Leben leider nicht besonders lange gedauert, doch sie hat es ihrem Vorsatz gemäß intensiv gelebt, und genau diese Intensität, dieser Lebenswille, ihre Neugier, ihre Energie und ihre Entschlossenheit kommen sämtlich sehr gut zum Ausdruck, jedenfalls was mich betrifft, und also kann Schwochow nicht alles falsch gemacht haben.

   Wir sehen Paula also in der Künstlerkolonie unter der drakonischen und durchaus dogmatischen Leitung Mackensens, dem sie insbesondere ein Dorn im Auge ist, wir sehen ihre Freundschaft mit Clara Westhoff, die später Rilke (in seiner Zeit nach Lou Andreas-Salomé, siehe oben…) heiraten und ihm nach Paris folgen wird, wir sehen ihre Annäherung an Modersohn und ihre Versuche, auch im Rahmen einer bürgerlichen Ehe weiterhin als Künstlerin selbstbestimmt zu bleiben, wobei sie vorher schon viel Kraft aufwenden musste, um sich den ewigen Anwürfen Mackensens zu widersetzen und ungeachtet dessen ihren eigenen Stil zu finden und zu vervollkommnen, was ihr ihrer eigenen Ansicht nach bis zuletzt nie gelungen ist. Und wir sehen ihren Ausbruch nach Paris, heraus aus der Worpsweder Enge und der ebenfalls einengenden Ehe mit Modersohn. In Paris trifft sie Clara und Rilke wieder, bewundert die frühen Werke von Cézanne und schafft sich einen Liebhaber an, nachdem Modersohn nie mit ihr schlafen wollte aus Angst, sie könne schwanger werden. Sie scheint entschlossen, die Ehe endgültig aufzulösen, doch Modersohn kann sie noch einmal dazu bewegen, zu ihm zurück und damit zurück nach Worpswede zu gehen. Dort wird sie dann doch schwanger, so wie sie es sich schon lang gewünscht hatte, bringt eine Tochter zu Welt und stirbt kurz danach im Alter von nur einunddreißig Jahren, hat aber dennoch ein riesiges, eindrucksvolles Werk hinterlassen. Eine der herausragenden deutschen Künstlerinnen, die erste gar, die ein eigens nach ihr benanntes Museum erhielt (nämlich in Bremen, wo sie mit ihrer Familie längere Zeit lebte). Ist das nun ein Grund zur Freude oder ein Grund zur Trauer über den hoffnungslos patriarchischen Kunstbetrieb – was er heute fast noch genauso wie damals ist, falls irgendwer denkt, wir seien wesentlich weiter gekommen in den letzten einhundert Jahren.

   Es gibt hier mehrere zentrale Themen, die fast gleichrangig nebeneinander stehen und wie ich finde zu einem überzeugenden Ganzen geknüpft wurden. Die Situation der Künstlerin in der männerdominierten Gesellschaft, ihre künstlerische Entwicklung, ihre Versuche, die verschiedenen Rollen unter einen Hut zu bekommen, ihre verschiedenen Freundschaften und Liebesbeziehungen. Ihr Credo: Mein Leben soll ein kurzes, intensives Fest sein. Ihr Ziel: Drei gute Bilder malen, bevor ich sterbe. Beides scheint sie erreicht zu haben, wobei es erwartungsgemäß besonders für sie als frau beträchtliche Hindernisse auf diesem Weg geben musste. Der abfällige Mackensen, der aus seiner Misogynie keinen Hehl macht, der im Grunde fürsorgliche, aber viel zu verzagte Modersohn, der erst spät zu einem entschlossenen Fürsprecher seiner Frau wird, aber auch die Künstler in Paris, die Frauen ebenfalls nicht recht ernst nehmen und sie eher als schmückendes Beiwerk für sich nutzen. Einer wie Rilke nimmt sie als gleichwertige Künstlerin zunächst gar nicht für voll, bis er irgendwann dann doch die bahnbrechenden Qualitäten ihrer Bilder erkennt und auch anerkennt. Ein Schicksal teilt sie immerhin mit vielen ihrer männlichen Kollegen – die Bedeutung ihres Werkes wird erst nach ihrem Tod erkannt und gewürdigt.

 

   Schwochow hat zuallererst mal ein richtiges Fest fürs Auge daraus gemacht, einen überaus üppigen, optisch berauschenden Film, den ich unabhängig von allem anderen erstmal sehr genossen habe. Der ruhige Erzählrhythmus lässt Zeit für Stimmungen und Reflexionen, und was das Beste ist, wir bekommen auch Zeit und Muße, uns der Kunst selbst zu widmen, ihrer Entstehung, ihrer Bedeutung. Das klappt, in dem wir ganz einfach Bilder zu sehen bekommen, genau wie es in einem Film über Kunst sein sollte, leider aber nicht immer so ist. Wir sehen ihr beim Malen zu, beobachten ihre Emotionen, ihre Leidenschaft, und sehen dann mit Staunen ihre kargen, manchmal fast wirkenden Formen, die so gar nicht zu dem Zustand passen wollen, in dem die Künstlerin zu Werke gegangen war. Optisch also eine feine Sache, schauspielerisch hätte ich auch nichts zu meckern, möchte aber doch bei aller Anerkennung für Carla Junis bemerkenswerte Präsenz bemerken, dass mir ihre Darbietung manchmal ein bisschen zu clownesk vorkommt, so als wollte sie aus jeder ihrer vielen Szenen ein eigenes kleines Kabinettstückchen machen. Sehr unorthodox, sehr schalkhaft, sehr charmant manchmal, aber eben auch ziemlich modern, und ich weiß nicht, ob das wirklich so zu einer Frau von vor einhundert Jahren passt. Kein gewöhnliches Porträt einer historischen Figur jedenfalls und auf jeden Fall ein wirkungsvoller Hinweis auf die Eigenständigkeit und Energie dieser Künstlerin, die mit diesem Film alles in allem eine würdige Hommage erfährt. (15.12.)