Stille hjerte (Silent Heart) von Bille August. Dänemark, 2014. Ghita Nørby, Paprika Steen, Danica Curcic, Morten Grunwald, Pilou Asbæk, Jens Albinus, Vigga Bro, Oskar Sælan Halskov

   Und nochmal ALS, diesmal die dänische Variante mit einer anderen Perspektive und einem anderen Schwerpunkt. Seit Esther ihre Diagnose hat und weiß, dass sie an einer besonders aggressiven, rasch verlaufenden Form erkrankt ist, steht für sie fest, dass sie den Zeitpunkt ihres Todes unbedingt selbst bestimmen und ihren Tod wenn irgend möglich auch noch selbst herbeiführen will. Ihr Mann war Arzt, hat Zugang zu den entsprechenden Medikamenten und unterstützt ihren Plan voll. Die beiden Töchter ziehen nach langen Gesprächen mit, für Esther ist wichtig, dass die gesamte Familie geschlossen hinter ihr steht, andernfalls möchte sie ihr Vorhaben nicht in die Tat umsetzen. Nun kommt das letzte Wochenende: Alle treffen sich nochmal im Elternhaus draußen auf dem Land, verbringen ein wenig Zeit miteinander, essen und reden und verabschieden sich schließlich, bevor Esther ihre Tabletten einnimmt. Die beiden Töchter sind denkbar verschieden – Heidi ist die handfeste, die pragmatische, die mitten im Leben steht und alles im Griff hat, Sanne ist die labile, die psychisch wacklige, die schon einen Suizidversuch hinter sich hat, und die mit ihrem Kifferfreund Dennis aufkreuzt, der auf den ersten Blick wenig vertrauenerweckend ausschaut. Esthers Planung gerät in Gefahr, als Sanne erste Zweifel äußert, und Heidi plötzlich einstimmt, wenn auch aus anderen Gründen. Ein Missverständnis ist daran schuld, und die Eltern müssen dies erst aus der Welt räumen, bis die Töchter doch zustimmen und erkennen, dass sie sich dem Willen ihrer Mutter beugen müssen und nicht ihren eigenen durchsetzen dürfen. Also stirbt Esther in den Armen ihres Mannes wie geplant, nachdem Sanne ein Ablenkungsmanöver für den unbedacht herbeigerufenen Notdienst inszeniert hat.

   Ein sehr schön gediegen inszeniertes, theaterhaft konzentriertes Familiendrama, dessen poetische Bildsprache gelegentlich an Meister Bergman denken lässt, und das sich auf jeden Fall durch einen angenehm dezenten, zurückhaltenden Tonfall auszeichnet, soll heißen, hier wird nicht gebrüllt und laut gelitten, hier wird kein großes Melodrama vom Zaun gebrochen, hier drängt sich nichts dem Zuschauer auf. Tja, und das ist eigentlich auch genau die Schwäche des Films, der angesichts des emotionalen, kontroversen Themas so diskret daherkommt, dass ich zumindest keine richtige Position gefunden habe, zu der ich mich irgendwie verhalten konnte. Ich nehme mal an, dass die Beteiligten für ein selbstbestimmtes, würdevolles Sterben angesichts der tödlichen Krankheit votieren, doch echte Leidenschaft erlebe ich hier nicht, keine intensiven Diskussionen keine Kämpfe. Immer, wenn sich mal Ansätze bieten, wird die Szene früher oder später weggeblendet und das Thema auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht wieder aufgenommen. Die Familienstrukturen werden kaum beleuchtet, wir erfahren nie so recht, was das Zusammenleben dieser vier früher ausmachte, was es mit Sannes psychischen Problemen auf sich hat, wie die Vorgeschichte von Esthers Entschluss aussieht, ob es dort vielleicht Konflikte, Auseinandersetzungen gegeben hat. Wenn beispielsweise alte Fotos gewälzt werden, könnten sich ohne weiteres Erinnerungen, auch an schwierige Ereignisse einstellen, die noch mal ein anderes Licht auf die Familie werfen. Doch so etwas kommt einfach nicht vor Wir sehen eine Gruppe trauriger, bedrückter Menschen, die irgendwie nie so richtig miteinander ins Gespräch kommen, die zwar deutliches Konfliktpotential offenbaren, doch ist August so dezent zu Werke gegangen, dass er auch die Spannung vergessen hat und sein Kammerspiel deshalb recht eindimensional bleibt. Das ist besonders schade, weil er eine Handvoll hervorragender Schauspieler zur Verfügung hat, die ohne Schwierigkeiten sehr viel mehr aus ihren Rollen hätten herausholen können, doch die Regie bleibt gedämpft, irgendwie ein wenig leblos, und so können die Akteure kaum mehr als Grundzüge ihrer Figuren skizzieren, aber nicht in die Tiefe gehen, und die Männer schon gar nicht. Wie ich oben erwähnte, erinnern etliche der schön kadrierten Stillleben an einige von Bergmans Filmen, doch eine mögliche Gemeinsamkeit erschöpft sich im Oberflächlichen, denn bei Bergman ist es stets voll zur Sache gegangen, und selbst wenn manch einer moniert hat, dass bei ihm rein gar nichts unausgesprochen bleibt, so sind seine Filme unvergleichlich intensiver, spannender als Augusts gepflegte Variante, die mich letztlich nicht mal so recht für ihr Thema interessieren kann. Denn wir erfahren auch nicht, wie es in Esther aussieht, erleben nicht, wie sie mit ihrem Entschluss ringt, was sie in die Waagschale wirft, und obwohl sie mehrmals behauptet, Angst zu haben, spiegelt sich das in der Inszenierung kaum wider.

 

   Ich kann jetzt auch nicht sagen, dass mir der Film missfallen hat, dazu ist er viel zu gekonnt inszeniert und gespielt und schließt eben an eine gute alte Tradition des Psychokammerspiels an. Das war bislang aber noch nie so sehr Bille Augusts Sache, und ob es nun daran liegt, dass er mit zu viel Respekt an die Sache herangegangen ist oder ob es andere Gründe gibt, unterm Strich bin ich der Ansicht, dass hier sehr viel mehr herauszuholen gewesen wäre, und gerade die Dänen selbst haben das bereits etliche Male bewiesen und getan. August hat sich einfach zu lange im internationalen Großfilm getummelt und kein rechtes Händchen für solch intime Produktionen, und ob er das noch lernen wird (oder will), wage ich mal zu bezweifeln. (1.4.)